Ich bin im Westen aufgewachsen und das Kind westdeutscher Eltern. Mein Mann ist aber aus dem Osten, seine Eltern in der DDR aufgewachsen und sozialisiert. Gerade in Sachen Kindererziehung. Das heißt, über mir schlagen ständig verschiedene Weltanschauungen zusammen. Und ich? Werde immer wieder durcheinandergewirbelt und weiß manchmal gar nicht mehr, was ich davon halten soll oder welcher Weg denn nun der beste ist.
Ich habe meine Kindheit und Jugend in Bayern verbracht, lebe aber seit zehn Jahren in Berlin. Das Leben in Berlin und der Kontakt mit vielen Ostdeutschen, gerade auch aus dem ländlichen Raum, hat mein Denken geprägt und dankenswerterweise mein früheres, arrogantes Wessi-Ich begraben. Späße über Klischee-Ostdeutsche würde ich nun im Leben nicht mehr machen. Ich würde sogar sagen, meine Identität ist inzwischen zwischen Ost und West gespalten.
Am stärksten merke ich die Kluft der Weltanschauungen zwischen Osten und Westen in meinem privaten Umfeld beim Thema Arbeit und Kindererziehung.
Ich kenne zwei Welten: die einer Haus- und die einer Karrierefrau. Beide mit Kindern.
Meine Mutter gab ihren Job nach der Geburt ihrer Kinder auf. Zwar hatte sie viele Hobbys und auch Nebenjobs, doch wir Kinder profitierten bis zu unserem Auszug von zu Hause von einer wohligen Nestwärme. Wir wurden schon ziemlich umsorgt, muss ich sagen. Ich liebe meine Kindheitserinnerung an liebevoll zusammengestellte Brotdosen, leckeres Mittagessen beim Nachhausekommen oder das gemeinsame Wandern nach der Schule in den Bergen. Es sind Dinge, die vielleicht nicht möglich gewesen wären, wenn meine Mutter Vollzeit gearbeitet hätte und ich bin ihr sehr dankbar für eine so schöne Kindheit.
All das sind Dinge, die mein Mann nicht kennt. Denn seine Mutter ging, als er ein halbes Jahr alt war, wieder zurück zur Arbeit – und er in die Krippe. Was uns heute vielleicht sehr früh erscheint, war etwas ganz Normales in der DDR. Ich weiß, dass mein Mann es ein bisschen traurig findet, gewisse Kindheitserlebnisse nicht gehabt zu haben, von denen ich heute schwärme. Er bewundert es aber auch, wie erfolgreich und stark seine Mutter ist. Er kann damit leben, dass eine Frau emanzipiert ist, mehr Geld verdient als er und Karriere macht. Er findet es sogar gut. Und, so viel kann ich als seine Partnerin sagen, er hat kein emotionales Defizit davongetragen, nur weil seine Mutter sehr früh wieder in ihrem Vollzeitjob eingestiegen ist.
Wenn ich aber bei meinen Schwiegereltern manchmal von der Möglichkeit schwärme, doch eines Tages meine Stunden zu reduzieren, tritt blankes Entsetzen in ihre Augen. Sie verstehen einfach nicht, warum man so etwas tun sollte. Meine Schwägerin hat sogar drei Kinder und arbeitet Vollzeit. Und meine Schwiegermutter erzählt von Zeiten in der DDR, als sie ihre Diplomarbeit mit einem Baby schrieb und abends noch Hemden nähte, um etwas dazu zu verdienen. Ich bin ganz ehrlich voller Bewunderung für eine so eiserne Disziplin und Arbeitsmoral. Aber will ich das wirklich auch? Und würde ich das überhaupt schaffen?
Meine Mutter macht sich auf der anderen Seite Sorgen, dass ich zu viel arbeite und das Kind mit einem Jahr noch viel zu jung für die Kita war. Ihre Sorgen treten dann auf mich über und verunsichern mich natürlich. Denn ich weiß nicht, welcher Weg der richtige ist. Wie viele Arbeitsstunden pro Woche noch okay sind für meine Tochter oder ob es ihr nicht ziemlich egal ist, ob sie nun sechs oder acht Stunden in der Kita ist.
Meistens greife ich in solchen Momenten auf die Sicherheit von Zahlen zurück und lese mir Studien durch: Denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass es nicht schädlich für Kinder ist, bereits mit einem Jahr die Krippe zu besuchen. Ich merke selbst, wie sehr meine Tochter vom Kontakt mit anderen Kindern und der Förderungen in der Kita profitiert hat. Wie sie nach Hause kam und plötzlich bis zehn zählen konnte, zum Beispiel. Und ich weiß, dass ich nicht nur arbeite, weil ich die Hauptverdienerin in der Familie bin, sondern es auch WILL.
Glücklicherweise arbeite ich ohnehin in meinem Traumjob, was die Sache leichter macht. Aber es ist mehr als das, es ist auch eine intrinsische Motivation, warum ich nach einem Jahr schon wieder in den Job zurück bin: Ich will meine Karriere nicht aufgeben, nur weil ich ein Kind habe. Aber ich will auf jeden Fall so viel Zeit mit meiner Tochter verbringen, wie es nur geht. Weshalb ich so unfassbar dankbar bin, dass es seit Corona mehr Homeoffice gibt, das mir trotz Vollzeit-Job ein bis zwei Stunden mehr Zeit pro Tag mit ihr verschafft.
Wahrscheinlich werde ich aber nie an das Ideal einer Mutter heranreichen, für das Vollzeit-Hausfrauen stehen. Und das ist keine Kritik, sondern eine Respektbezeugung: Care-Arbeit ist auch Arbeit. Und zwar eine ziemlich harte, die endlich bezahlt werden sollte. Props gehen hier raus an alle Hausfrauen, denn ich würde es zugegebenermaßen gar nicht emotional und kräftemäßig schaffen, jeden Tag 24/7 mit meinen Kindern zu verbringen. Aber ein selbstgekochtes Mittagessen zu servieren, wenn sie aus der Schule kommen oder spontan einen Kuchen für die Kita zu backen, weil dort eine Feier ist, das kann und werde ich mit einer Vollzeitarbeit nicht leisten können.
Dieses Jahr bekam mein Kind in der Kita ihre Geburtstagskerzen nicht auf einen Kuchen, sondern um Kinderschokolade herum drapiert. Ein bisschen peinlich war mir das ja schon. Aber auf der anderen Seite: Eine:r muss ja anfangen, diesen Perfektions-Druck zu sprengen, der auf Eltern lastet. Und mein Kind war vollkommen glücklich mit seinem Schokoriegel-Turm.
Lasst uns Fertigbackmischungen und Outfit-Repeating zelebrieren! Es ist keine Schande, keine fetten Geburtstage für Kinder mit kreativen Einladungen, Schnitzeljagd und Geschenketüten für die Gäste zu organisieren, weil es beruflich zu stressig ist! Mein Kind hatte schließlich für seine richtige Party nachmittags einen tollen Kuchen mit Süßigkeiten. Und das reicht vollkommen.
Falls ich doch mal wieder an mir und meinem Arbeitspensum zweifle, lese ich mir gern Instagram-Posts von sanften, bedürfnisorientierten Müttern durch, die Botschaften posten wie: "Du bist gut genug als Mutter.", "Du tust dein Bestes.", "Hauptsache du liebst deine Kinder." Das geht runter wie Öl und beruhigt mich dann immer sehr: Ich gebe das Beste aus beiden Welten – Ost und West – weiter. Und ich tue alles, was ich schaffe für mein Kind, ohne dafür einen Burnout zu erleiden. Außerdem liebe ich meine Tochter abgöttisch. Und das muss dann auch irgendwie reichen.