Vom Elevator Boy zu Olaf Schubert in zwei Sekunden – so hat Nico Rolle bis vor Kurzem seine optische Verwandlung beschrieben, wenn er seine Cap vom Kopf nahm. Der 27-Jährige bemerkte bereits vor Jahren, dass ihm immer mehr Haare ausfallen. Mit Mitte zwanzig hatte er schon Geheimratsecken, ganz ähnlich wie der 57-jährige Comedian.
Das war Rolle lange Zeit unangenehm. Eines Tages entschied er sich aber spontan online ein Video hochzuladen, in dem er sich und seinen frühen Haarausfall aufs Korn nimmt. Viel erwartete sich der Zollmitarbeiter davon nicht, aber innerhalb kürzester Zeit hatte das Video Hunderttausende Aufrufe und Zehntausende Likes.
"Und dann wurde mir erst mal klar, wie relatable das Thema ist", erklärt Rolle im Gespräch mit watson. "Das konnten einfach sehr viele nachempfinden, also dass man sich hinter einer Kappe versteckt. Das habe ich auch gemacht, viele Jahre lang."
Aber nach dem Erfolg des Videos wollte er etwas ändern: "Das war ein erster Befreiungsschlag für mich, damit an die Öffentlichkeit zu gehen und sich nicht mehr zu verstecken." Deswegen stand für Rolle auch schnell fest, dass er seine Follower:innen an seiner bevorstehenden Reise nach Istanbul teilhaben lassen wollte.
In der türkischen Millionenmetropole hatte Nico Rolle Ende vergangenen Jahres nämlich einen Termin für eine Haartransplantation. Damit wollte er das Problem mit dem Haarausfall wieder in den Griff bekommen. Und mit dieser Idee ist er nicht allein.
Auf Social Media kursieren schon seit Monaten Videos von jungen Männern, die von ihrer Haartransplantation berichten. Viele sind begeistert und zeigen vielversprechende Vorher-Nachher-Bilder. Der Hype um den Beauty-Eingriff scheint groß zu sein.
Das mag vielleicht auch daran liegen, dass nicht wenige Männer von Haarausfall betroffen sind. Laut Bundesverband der Zweithaar-Spezialisten liegt ihr Anteil bei 40 Prozent. Bei den unter 30-Jährigen sind Schätzungen zufolge ein Viertel betroffen. Die Veranlagung zum Haarausfall ist teils genetisch bedingt; oft beginnt es mit Geheimratsecken und endet mit einer Glatze.
Manche Betroffenen geben deshalb viel Geld für vermeintliche Wundermittel aus, die das Haarwachstum wieder ankurbeln sollen. Die sind aber oft teuer und Studien über ihre Wirksamkeit fragwürdig. Da erhoffen sich mittlerweile viele Männer mehr von einer Schönheitsoperation. Zumal sie auch längst nicht mehr so tabuisiert sind, wie noch vor zehn oder fünfzehn Jahren.
Denn als der britische Fußballer Wayne Rooney 2011 seine Haartransplantation öffentlich machte, musste er sich noch viele Sticheleien von der Boulevard-Presse gefallen lassen. Mittlerweile stehen aber zahlreiche prominente Männer zu ihrem Beauty-Eingriff, zum Beispiel Trainer-Legende Jürgen Klopp oder Ex-Finanzminister Christian Lindner.
Selbst in der aktuellen Staffel von "Germany's Next Topmodel", dem Beauty-Olymp der deutschen TV-Landschaft, spricht ein Kandidat offen über seine Schönheits-OP.
Eine Haartransplantation ist an sich kein übermäßig komplizierter Eingriff und kann dank örtlicher Betäubung für die Patient:innen auch schmerzfrei verlaufen. In der Regel werden am Hinterkopf oder seitlich einzelne oder mehrere Haare entnommen, die anschließend in die kahlen Stellen transplantiert werden. Je nach Aufwand kann der Eingriff vier bis acht Stunden dauern.
Für Nico Rolle ging es in der Istanbuler Klinik um 5.30 Uhr los. Eigentlich hatte er überlegt, nach der OP noch die Stadt zu erkunden, aber dazu war er am Ende nicht mehr in der Lage. "Die Schmerzen waren nicht das Problem, aber da acht Stunden zu liegen, war echt hart", erklärt er gegenüber watson.
Insgesamt hat er gerade mal drei Tage in der Türkei verbracht. Am ersten Tag gab es einige Voruntersuchungen und ein Vorgespräch, in dem auch der Verlauf seines neuen Haaransatzes am Kopf aufgezeichnet wurde. Am zweiten stand die OP an und am dritten ging es nach einer kurzen Nachuntersuchung direkt in den Flieger zurück nach Deutschland.
Am Ende hat Rolle 3500 Euro für seine neue Haarpracht (inklusive Hin- und Rückflug) ausgegeben. Ein Schnäppchen im Vergleich zu den Preisen, die in deutschen Kliniken fällig sind. Dort zahlt man mitunter mehr als das Doppelte für eine Haartransplantation.
Kein Wunder also, dass viele Männer lieber in die Türkei reisen, als sich in Deutschland der Schönheitsoperation zu unterziehen. Insgesamt 1,5 Millionen Gesundheitstourist:innen zählte der türkische Tourismusverband im Jahr 2023; für eine Haartransplantation sind allein aus Deutschland über 100.000 Menschen in das Land am Bosporus gekommen.
Teilweise gehen die Kliniken sogar Kooperationen mit Influencer:innen ein, um für ihre Arbeit zu werben. Doch nicht alle sind am Ende mit der Behandlung zufrieden. Online berichten manche Männer davon, dass ihnen die transplantierten Haare in die falsche Richtung wachsen oder dass sie nach einigen Jahren schon wieder ausgefallen seien.
Auch deutsche Expert:innen sind skeptisch. "Die Risiken in der Türkei sind schwer einzuschätzen", sagt Frank Neidel vom Verband Deutscher Haarchirurgen (VDHC) gegenüber watson. Es gebe dort über 600 nicht-lizensierte "Anbieter" und "Kliniken", die Haartransplantationen durchführen. "Natürlich gibt es auch anerkannte Spezialisten, die auf gleichem Niveau wie in Deutschland operieren", sagt Neidel.
Diese zu finden sei aber nicht einfach, weil im Internet der Wahrheitsgehalt, zum Beispiel von Vorher-Nacher-Bildern, nicht immer überprüft werden könne. Teilweise gebe es in den Kliniken auch Probleme wegen der Sprachbarriere, weil nicht immer ein:e Dolmetscher:in zur Verfügung stehe.
Um auf der sicheren Seite zu sein, empfiehlt Neidel, sich gut über die behandelnden Chirurg:innen und deren Expertise zu informieren. "Vorsicht, wenn tolle Vorher-Nachher-Fotos gezeigt werden, man die Namen der behandelnden Ärzte aber nicht finden kann", mahnt der Experte. Sonderangebote mit Terminzwang oder Anbieter, die aggressiv per Mail und Telefon werben, sollte man aus seiner Sicht ebenfalls meiden.
Nico Rolle hat seinen Aufenthalt in der Türkei durchweg positiv in Erinnerung, auch weil es stets eine deutsche Ansprechperson gab. Nach der Ankunft in Deutschland war für den 27-Jährigen dann erst mal strikte Ruhe angesagt.
"Ich habe mir nach der OP extra zwei Wochen Urlaub genommen. In der Zeit habe ich eigentlich gar nichts gemacht", sagt er. Man solle keinen Sport machen und Regen meiden, weil die Grafts, also die eingesetzten Haare, zu Beginn sehr sensibel sind und leicht wieder ausfallen können. Deshalb musste Rolle in dieser Zeit auch mit einem Nackenkissen schlafen. "Die erste Nacht hatte ich nur drei oder vier Stunden Schlaf", erklärt er.
Doch warum hat er diese Tortur überhaupt auf sich genommen?
"Ich fühle mich mit vollen Haaren deutlich wohler als mit Geheimratsecken", sagt Rolle. Lichtes Haupthaar sehe einfach nicht schön aus und habe natürlich auch Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein.
Das bestätigt auch eine Umfrage des Forschungsinstituts Gallup, in der 62 Prozent der Männer mit Haarausfall angaben, dass dadurch ihr Selbstwertgefühl geringer sei. Jeder Fünfte gab an, unter depressiven Verstimmungen zu leiden. "Das Schönheitsideal ist nun mal volles Haar", meint Rolle. "Und wenn es die Möglichkeit gibt, sich wohler in seinem eigenen Körper zu fühlen, warum soll man sie nicht nutzen?"
Das Risiko, dass ihm in den kommenden Jahren auch Haare am Hinterkopf ausfallen könnten und dann keine Transplantation mehr möglich ist, sei ihm bewusst. Aber: "Mir war es vor allem wichtig, jetzt in meinen 20er- und 30er Jahren richtig gut auszusehen. Wenn ich mal mit 40 oder 50 doch eine Glatze bekomme, dann kann ich damit leben, dass ich mir die Haare kurz schneide."
Aktuell sprießen schon die ersten Härchen, aber bis er wieder volle Elevator-Boy-Locken hat, wird es noch ein paar Monate dauern.