Eigentlich will ich nur einen kurzen Spaziergang machen. Währenddessen vibriert mein Handy, ich habe eine neue Nachricht auf Tinder von Pablo: braungebrannt, dunkle Haare, Drei-Tage-Bart und offenbar sehr gelenkig, wie ich seinen Yoga-Fotos entnehmen kann. Was ich an diesem regnerischen Tag denn so machen würde, will er wissen.
Ich muss zugeben, dass ich floskelhafte 08/15-Anschreiben nicht so gerne mag und auch Yoga etwas öde finde. Mich interessiert wenig, ob der Hund nun herauf oder herab schaut. Dennoch lasse ich mich auf das Gespräch ein, weil ich sonst nichts Besseres zu tun habe, und schließlich wirkt der Mann auch ganz sympathisch.
Wir plaudern, stellen fest, dass wir recht nah beieinander wohnen, machen Witze darüber, dass ich mir ja bei Bedarf eine halbe Tasse Zucker von ihm leihen könnte, alles fein. Und dann schlägt Pablo vor, ob wir nicht spontan zusammen ein Stück spazieren und Bier trinken wollen. Spontanität, das gefällt mir. Wir verabreden uns an einer nahegelegenen S-Bahn-Haltestelle.
Ich sollte meine Entscheidung noch bereuen.
Nur 20 Minuten später begrüßen wir uns leicht nervös und umarmen uns ungelenk. Pablo lässt mich keinen Satz ausreden, erzählt dann von seiner Arbeit im Marketing, von seiner Heimatstadt Madrid, davon, dass es schwer ist, in Berlin Freunde zu finden, weil alle immer nur kurze Zeit hier bleiben. Der übliche Small Talk eben. Minus das ständige Unterbrechen. Aber das ist vielleicht der Nervosität geschuldet, finde ich also nicht so schlimm.
Als Pablo hört, dass ich beruflich schreibe, ist er ganz begeistert. Nicht etwa, weil er wissen will, worüber ich schreibe – sondern weil er auch schreibt. Gedichte. Auf Spanisch. Die er mir sofort auf seinem Handy zeigen muss, um meine professionelle Meinung einzuholen.
Ehrlicherweise kann ich das nie so richtig nachvollziehen, wenn ich sage, ich bin Autorin, und dann jemand erst mal seine eigenen Schreibversuche auspackt und sie bewertet haben will. Das ist so bisschen, als würde ich einen Bäcker kennenlernen und ihm als Erstes zwingen, meinen selbstgebackenen Pumpernickel zu probieren, bevor er überhaupt eine Chance hat, mich kennenzulernen. Oder als würde ich einem Finanzbeamten zeigen, wie schön ich Steuererklärungen mache. Sowas kann man ja zu einem späteren Zeitpunkt noch tun.
Ich werfe trotzdem einen Blick auf die Gedichte, weil ich nicht unhöflich sein will. Und beginne, mich zu langweilen.
Das ist bei einem Date üblicherweise der Punkt, an dem ich anfange, zu knutschen. Wenn klar ist, dass wir beide uns irgendwie nett, aber eben nicht allzu nett finden, kann das die Stimmung ganz schön retten. Nicht aber bei Pablo. Mit Pablo funktioniert das nicht. Denn Pablo beginnt jetzt, über Work-Life-Balance, Yoga und – ich fasse es nicht – Schlaf zu reden. Und er hört nicht auf.
Pablo hat nämlich gerade ein Buch über Schlaf gelesen und ist tief begeistert von dem Thema. Ob ich wüsste, dass es normal ist, dass wir zwischendurch nachts aufwachen? Ja, wusste ich. Ob ich wüsste, dass nicht jeder acht Stunden Schlaf braucht? Ja, wusste ich. Ob ich wusste, dass Menschen unterschiedliche Biorhythmen haben? Ja-ha, auch das wusste ich.
Obwohl ich mehrfach versuche, das Thema zu wechseln, unterbricht Pablo seinen Monolog nicht. Er findet es sehr wichtig, wirklich jedes Detail aus seinem Buch wiederzugeben. Im immergleichen Singsang spricht er über Schlafhygiene, die Bedeutung von Träumen, Entspannugstechniken. Erzählt, wann er schlafen geht, wann er an welchen Tagen aufsteht, wann er wirklich am allerbesten schlafen kann.
Ich gebe auf, gebe mich dem Rauschen hin, lehne mich zurück und lasse meine Gedanken schweifen... chrrrrp...
Ich bin natürlich nicht eingeschlafen. Aber ich gebe es zu, ich wäre es gerne.
Ich finde es schön, wenn Menschen sich für Dinge begeistern können. Auch für die einfachen, kleinen Dinge des Lebens, es muss nicht immer alles große Geschichte sein. Ich selbst finde Dialekte, Make-up-Tutorials und tragische Königinnen spannend und könnte wahrscheinlich stundenlang darüber sprechen. Und auch, wenn es mir manchmal schwerfällt, versuche ich, meinen Mitmenschen das nicht anzutun, wenn sie nicht dieselben eigenartigen Interessen teilen.
Ich schaue auf die Uhr. Es sind erst eineinhalb Stunden vergangen – sie fühlen sich an wie eine halbe Ewigkeit. Pablo ist so nett, aber so unfassbar langweilig, dass ich schon wieder ganz nervös werde. Ich will fliehen, also mache ich einen neuen Versuch: "Pablo, entschuldige, dass ich dich unterbreche, aber ich muss weg. Ich muss meinen Hund abholen."
"Oh, ist das hier in der Nähe? Soll ich mitkommen?"
"Nee, das passt schon, ich würde dann auch noch ein wenig bei meinem Kumpel bleiben, der auf den Hund aufpasst."
"Wir können uns auch danach noch treffen?"
"Nein."
"Und du musst wirklich jetzt los?"
"JA."
Pablo wirkt irritiert. Ich glaube, wir haben dieses Date völlig unterschiedlich wahrgenommen. Mir fällt der Satz von einem Kumpel ein, der mal sagte: Wir finden ein Gespräch immer dann gut, wenn wir das Gefühl haben, es geht um uns selbst. Und immerhin kenne ich jetzt Pablos Schlafverhalten in- und auswendig.
Wir laufen noch ein Stück zusammen und verabschieden uns nach wenigen Minuten. Ich bin erleichtert. Pablo und ich werden uns nicht wiedersehen. Er ist sicherlich ein netter Kerl, aber es hat einfach nicht gepasst.
Wochen später treffe ich Pablo zufällig auf der Straße, blöderweise mit einem anderen Date. Ich hatte mich seit unserem Treffen nicht mehr bei ihm gemeldet, er wirft mir einen eiskalten Blick zu und zischelt nur ein hartes, kurzes "Hi". Dass ich mich jetzt schäme, habe ich wohl auch ein bisschen verdient.