Einseitige und oberflächliche Freundschaften gibt es (zu) oft.Bild: Pexels / marleneleppanen
Nast antwortet
Wir alle fragen uns manchmal, ob mit uns etwas nicht stimmt. Doch wir trauen uns oft nicht, die Frage laut auszusprechen. Aus Angst vor der Reaktion. Das wollen wir ändern – und bitten Bestsellerautor Michael Nast um ehrliche Antworten.
Manchmal muss man stundenlang auf eine Antwort warten oder man hat sogar seit Wochen nichts von Freund:innen gehört. Kommt das öfter vor, kommt man nicht drumherum, sich die Frage zu stellen: Warum ergreife eigentlich immer ich die Initiative?
Es gibt Freundschaften, bei denen man das Gefühl hat, die Verantwortung für den Kontakt liegt immer bei einem selbst. Wenn man nicht aktiv wird, herrscht Stille.
Michael Nast, ist es Freundschaft, wenn ich mich immer als Erstes melde?
Autor Michael Nast antwortet für watson offen und ehrlich auf unbequeme Fragen.Bild: Michael Nast / Privat
Das ist die Antwort von Michael Nast
Es ist aufschlussreich, wie wenig Leute übrigbleiben, wenn man aufhört, sich immer zuerst zu melden. Es ist schon einige Jahre her, da wurde ein Bekannter gezwungen, die Qualität seiner Freundschaften zu überprüfen. Er verlor sein Handy und damit auch alle Nummern. Er nahm an, dass sich die Liste schnell wieder füllen würde, wenn seine Freund:innen anriefen, aber es meldete sich niemand.
Er war offensichtlich nur aus einem Grund Teil ihres Lebens: weil er sich bei ihnen meldete. Ihm wurde die Aufgabe überlassen, ihre Freundschaft zu pflegen. Und auch wenn sie gern mit ihm sprachen, die Gespräche teilweise Stunden dauerten, in denen viel gelacht wurde, gab es für sie keinen Anlass, um sich von selbst bei ihm zu melden. Sie dachten nicht an ihn, er rief sich durch seine Anrufe in ihre Erinnerung, das war das Fundament ihrer Freundschaft.
Das ist Michael Nast
Michael Nast, 1975 in Ost-Berlin geboren, arbeitet seit 2014 als Schriftsteller und Autor. Er hat bisher sechs Bücher veröffentlicht. "Generation Beziehungsunfähig" hielt sich neun Monate auf der Spiegel-Bestsellerliste. 2021 erschien der zugehörige Kinofilm. Aktuell ist er mit seinem Buch "Weil da irgendetwas fehlt" auf
Lesetour.
Ich habe einen ziemlich großen Bekanntenkreis, aber nur wenige Menschen, die ich als Freund:innen bezeichnen würde. Mir geht es weniger um Quantität als um Qualität. Es liegt wohl daran, dass es mich irritiert, wenn ich Menschen begegne, die den Begriff Freundschaft so inflationär nutzen, dass er schon durch die hemmungslose Verwendung seine Bedeutung verliert.
"Wahre Freundschaften sind dabei auszusterben."
Wir scheinen eher in Zeiten von Bekannten zu leben. Wahre Freundschaften sind dabei auszusterben. Wie in den USA, wo man ja in vielen Bereichen sehen kann, wohin auch unsere Reise gehen kann. Dort haben Psycholog:innen die Freundschaften ersetzt. Man geht zum Profi, um ein ernsthaftes Gespräch zu führen. Man erfährt dort nicht die vorgeschriebene gute Laune, die vom Freundeskreis erwartet wird.
Vor einigen Monaten unterhielt ich mich mit einer Frau, die in Köln lebt. Vielleicht stellte ich ihr Fragen, die sie nicht gewohnt war, jedenfalls begann sie irgendwann über die Tragiken ihres Lebens zu sprechen. Über ihre Probleme. Sie wirkte gehemmt, als sie mir davon erzählte, unschlüssig, als gäbe es einen inneren Widerstand, überhaupt darüber zu sprechen.
"Ich rede sehr selten darüber", sagte sie.
"Auch nicht mit deinen Freunden?", fragte ich.
"Nein", rief sie. "Ich will sie ja nicht mit meinen Problemen belasten."
"Aber genau das gehört doch bei einer Freundschaft dazu", sagte ich.
Sie sah mich ratlos an. Als würde sie diesem Konzept von Freundschaft vollkommen verständnislos gegenüberstehen.
Das sind keine Freund:innen, sie nennt sie nur so, dachte ich. Eigentlich sind es Ansprechpartner:innen, mit denen sie Zeit verbringt, um sich nicht einsam zu fühlen.
"Meldet euch beieinander, seid füreinander da, pflegt eure Freundschaften – denn erst das macht sie zuerst zu einer Freundschaft."
Vielleicht müssen wir uns wieder die Frage stellen, was wirkliche Freundschaft ist. Was macht sie aus? Das ist eine gute Frage. In unserer Gegenwart, in der die meisten viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um auf andere zu achten, sogar eine sehr gute.
Also: Meldet euch beieinander, seid füreinander da, pflegt eure Freundschaften – denn erst das macht sie erst zu einer Freundschaft. Wir leben offensichtlich in einer Zeit, in der man diese Wahrheit, die ja jedem bewusst sein sollte, betonen und bekräftigen muss.
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Sexuelle Gesundheit war lange Zeit ein Tabuthema. Und auch noch heute verschweigen viele Menschen Probleme, wie etwa Libidoverlust. Dabei hat unsere Sexualität große Auswirkungen über das Schlafzimmer hinaus.