Irgendeinen Grund findet man immer, um sich zu beklagen, oder?Bild: unsplash / Roman Kokoev
Nast antwortet
Wir alle fragen uns manchmal, ob mit uns etwas nicht stimmt. Doch wir trauen uns oft nicht, die Frage laut auszusprechen. Aus Angst vor der Reaktion. Das wollen wir ändern – und bitten Bestsellerautor Michael Nast um ehrliche Antworten.
Hin und wieder muss man sich bei guten Freund:innen auskotzen. Es tut einfach gut und ist auch völlig okay, auch dafür sind Freundschaften da. Denn das Leben, der Job, die Liebe sind kompliziert. Und ein offenes Ohr hilft.
Manchmal jedoch beschleicht einen das Gefühl, mit dem ständigen Jammern auch die Freund:innen zu belasten. Und man fragt sich plötzlich: Beschwere ich mich zu viel? Werde ich damit für die Menschen um mich herum selbst zum Problem? Müsste ich nicht selbst etwas gegen meine Probleme tun, statt immer nur mein Leid zu klagen?
Wir fragen Michael Nast: Bin ich toxisch, wenn ich immer nur jammere?
Autor Michael Nast antwortet für watson offen und ehrlich auf unbequeme Fragen.Bild: Michael Nast / Privat
Das ist die Antwort von Michael Nast
Ich kenne nicht wenige Leute, die sich in jedem unserer Gespräche über ihr Leben beklagen. Detailliert schildern sie die Aspekte ihres Alltags, unter denen sie leiden. Aber so sehr sie sich auch beklagen, sobald es konkret wird, finden sie sehr schnell sehr viele Gründe, die gegen jeden Lösungsansatz sprechen.
Es ist ein erstaunliches Konzept. Obwohl sie sich selbst immer wieder versichern, ihrem Leben eine neue Richtung geben zu wollen, tun sie alles dafür, um die dafür notwendigen Änderungen zu verhindern. Jedes neue Gegenargument wird mit so viel Bedeutung aufgeladen, bis es sich über das eigentliche Ziel schiebt und es unerreichbar macht. Je mehr Hindernisse sie sich selbst in den Weg legen, desto mehr beschweren sie sich.
So gesehen beschweren sie sich über ihr eigenes Verhalten. Und es fällt ihnen nicht einmal auf. Es ist ein seltsam verdrehtes Selbstverständnis, ein Widerspruch, der ihnen nicht aufzufallen scheint.
Das ist Michael Nast
Michael Nast, 1975 in Ost-Berlin geboren, arbeitet seit 2014 als Schriftsteller und Autor. Er hat bisher sechs Bücher veröffentlicht. "Generation Beziehungsunfähig" hielt sich neun Monate auf der Spiegel-Bestsellerliste. 2021 erschien der zugehörige Kinofilm. Aktuell ist er mit seinem Buch "Weil da irgendetwas fehlt" auf
Lesetour.
Wenn ich mich mit solchen Leuten unterhalte, bin ich schnell ziemlich gereizt. Obwohl sie ja offensichtlich unter ihrem Alltag leiden, beklagen sie sich, ohne etwas dagegen zu unternehmen, was ihren Kummer verursacht.
"Wir drehen uns im Kreis und es scheint auch nur darum zu gehen, sich weiter im Kreis zu drehen."
Solche Gespräche führen nie in eine Bewegung, sie beschreiben einen Stillstand. Wir drehen uns im Kreis und es scheint auch nur darum zu gehen, sich weiter im Kreis zu drehen. Vielleicht ist genau das die Idee. Offensichtlich geht es nur darum, sich zu beklagen. Das Jammern wird zum Selbstzweck.
"Erlernte Hilflosigkeit": Warum sie so gefährlich ist
Diese Haltung fällt mir bei immer mehr Menschen auf. Bei Paaren, die unter ihrer Beziehung leiden, sich aber nicht trennen, weil sie es gewohnt sind, nicht allein zu sein oder sie auf die Kinder Rücksicht nehmen wollen. Paare, die keine Beziehung führen, sondern es nur noch so nennen. Die weitermachen und sich an ihrem Alltag festhalten, dessen Struktur alles zu sein scheint, was sie zusammenhält. Bis man zu einem dieser Paare geworden ist, die einem in Restaurants durch ihr endloses Schweigen auffallen.
Oder bei Leuten, die unglücklich in ihrem Beruf sind und nicht kündigen, obwohl sie seit Jahren darüber reden, demnächst zu kündigen.
"Ständiges Jammern, das ist eine Abwärtsspirale, es mündet in Passivität und Ohnmacht."
Aber diese Haltung macht etwas mit dem Verstand. Sie ändert die Wirklichkeit. Aus ihr bildet sich generell ein negativer Blick auf die Welt. Und als Konsequenz daraus entsteht ein psychologisches Phänomen, das man "erlernte Hilflosigkeit" nennt. Bei erlernter Hilflosigkeit nimmt das Gefühl überhand, man könne sowieso nichts ändern.
Ständiges Jammern, das ist eine Abwärtsspirale, es mündet in Passivität und Ohnmacht. Und genau das ist der Grund für meine Gereiztheit. Denn das ist hochtoxisch.
Ganz ehrlich: Wer sich beklagt, und nichts ändert, der braucht sich gar nicht erst zu beklagen. So einfach ist das.
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Bis vor wenigen Jahren lockte das Thema fast niemanden hinter dem Ofen vor. Doch mittlerweile sind Heizungen ein Politikum in Deutschland. Erst brachte der Aufruf von Regierungspolitiker:innen nach solidarischem Verzicht zugunsten der Ukraine das Heizen aufs politische Tableau. Dann lieferten sich die Ampelparteien einen Dauerstreit über Wärmepumpen.