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Rassismus im Alltag: Junge Frau erzählt von Situation, die sie sprachlos machte

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Rassismus kann sich auf Betroffene lähmend auswirken: Das zeigt dieses Bild ganz gut.Bild: pexels / mikhail nilov
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Junge Frau erzählt von Rassismus-Erfahrung: "Ich fühlte mich entwürdigt und nackt"

07.08.2024, 19:45
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Es war das erste Mal, dass watson-Autorin Desireé Oostland so etwas erlebt hat. Bisher hat sie Rassismus nur bei anderen mitbekommen. Zuerst hat sie ganz spontan und ungefiltert auf Instagram über diese Erfahrung geschrieben. Weil sie mit ihren Gefühlen – Wut, Sprachlosigkeit, Scham – irgendwo hin musste.

Es geht vielen so, wie es Desireé noch bis vor kurzem ging: Mit Rassismus mussten sie sich nie wirklich auseinandersetzen. Weil sie Glück hatten. Und weil sie deutsch (genug) sind. Aber für viele andere in Deutschland gehört Rassismus zum Alltag dazu. Leider.

Für watson hat Desireé aufgeschrieben, was sie erfahren hat, wie sie damit umgegangen ist – und welche Gefühle das in ihr auslöst. Auch Tage später noch:

Desireé Oostland
watson-Autorin Desireé Oostland wurde in Düsseldorf geboren, ihre Familie kommt aus dem Iran.Bild: watson / privat

"Unser armes Deutschland", sagte die Frau. "Überall nur noch Ausländer." Sie richtet die Worte direkt an mich. Dabei wirkte sie ganz unaufgeregt, leidenschaftslos. Als würde sie über gefrorenen Brokkoli sprechen.

Das war der traurige Tiefpunkt einer Unterhaltung, die ich nicht freiwillig geführt hatte. Ganz bestimmt sogar nicht: Und die ganz unverfänglich angefangen hatte an der Kasse im dm-Markt.

Die Kundin, die gleich nach mir an der Reihe war, beschwerte sich über die Sicherungen an den elektrischen Zahnbürsten. "Das ist diskriminierend", pampte sie den Mitarbeiter an der Kasse an. Der wies sie freundlich darauf hin, dass die Sicherung für alle Kund:innen gelte und daher auch nicht diskriminierend sei. "Dann muss ich wohl in einem weniger asozialen Viertel einkaufen gehen, mit normalen Menschen", entgegnete sie.

"Bei anderen finde ich in den meisten Fällen die richtigen Worte, um einzugreifen. Um der betroffenen Person zu helfen. Dieses Mal war das anders."

Ich verstaute meine Einkäufe, während ich ruhig erwähnte, dass diese Aussage hingegen schon diskriminierend sei.

Sie ignorierte mich. Ich ging. Doch sie rannte mir hinterher.

Nur wenn Rassismus andere trifft, kann ich einschreiten

Meine Eltern verließen den Iran, kurz nach der islamischen Revolution 1979, gemeinsam mit meinen Großeltern. Ich wurde in Düsseldorf geboren. Seit ich den Nachnamen meines Mannes angenommen habe, erkennt man meine persischen Wurzeln nur noch an meinem Äußeren.

Mich ärgern Fragen wie: "Woher kommen Sie eigentlich wirklich?" nicht. Ich kann aber verstehen, dass sie bei vielen Menschen etwas auslösen. Sie suggerieren nämlich: Du siehst so anders aus, als wir.

Was die rennende Frau gesagt hat, habe ich in meinem Leben schon mehrfach gehört. Meist ging es dabei jedoch nicht um mich, sondern um andere. Das letzte Mal um eine Frau mit Kopftuch im Rewe-Supermarkt. Bei anderen finde ich in den meisten Fällen die richtigen Worte, um einzugreifen. Um der betroffenen Person zu helfen. Dieses Mal war das anders. Als es um mich selbst ging, fehlten mir plötzlich die Worte.

Die Frau holte mich ein. "Unser armes Deutschland", sagte sie. "Überall nur noch Ausländer."

"Wie bitte?", fragte ich. Und sie sprach weiter von einer Finca auf Mallorca, die sie nutzen wolle, um vor all den Ausländern zu flüchten. (Ja. Sie nutzte tatsächlich dieses Wort: Flüchten.)

Sie wirkte nicht radikal, aber sie hörte nicht auf, mich zu beschimpfen

Sie nannte mich eine Kanackin. Und sie meinte, ich solle mich zusammentun mit anderen "scheiß Kanacken". Die Frau, die vor mir lief, passte äußerlich so gar nicht zu dem Bild, das ich im Kopf hatte von Menschen, die derartige Aussagen tätigen könnten. Sie wirkte nicht radikal. Sie war nicht älter als 40, trug einen kurzen Tennisrock, Cappy und ein Shirt von Lululemon, dazu Plateau-Sandalen.

Doch sie hörte nicht auf, zu schimpfen. "Nur noch beschissene Ausländer in meinem schönen Deutschland." Ich solle mich doch bloß ansehen, mit meinen schwarzen Augen. Und sie verwünschte mir Dinge, die ich noch immer viel zu brutal finde, um sie hier wiederzugeben.

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Black Lives Matter: eine der wichtigsten Anti-Rassismus-Bewegungen der letzten Jahre.Bild: Unsplash / gabe pierce

Es waren Dinge, die mich sprachlos machten. Ich stammelte nur Worte. Kommentierte ironisch "interessant" oder pustete hörbar Luft aus, einfach, weil mir nichts einfiel, was ich Sinnvolles hätte sagen können. Ich war wie blockiert. Fühlte mich gelähmt.

Kurz bevor wir an einem nahegelegenen Brauhaus vorbeikamen, änderte sich ihre Kommunikation abrupt. Die Frau, die mir eben noch hinterhergelaufen war, rief mir nun laut zu: "Lassen Sie mich in Ruhe." Sie sagte: "Gehen Sie in das Ghetto, in das Sie hingehören." Und alle konnten es hören. Ich blickte mich um. Konnte immer noch nicht sprechen. Aber es reagierte auch niemand anders. Da war nur: Stille. Und ein paar besorgte Blicke, die aber nicht mir galten.

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Die Situation wirkte auf mich wie ein Trancezustand. In dem Moment empfand ich noch ein anderes Gefühl: Scham. Ich fühlte mich entwürdigt und nackt, scannte die Umgebung, damit bloß niemand zuhört, aber irgendwie wünschte ich mir gleichzeitig genau das: Ich hoffte so sehr, jemand würde genauer zuhören.

Über Instagram fand ich meine Worte wieder

Zu Hause wich meine Blockade einer Wut. Ich konnte nicht anders. Ich fing an, zu weinen. Aus Wut über die Bloßstellung, die mir widerfahren war. Aber ich war auch wütend über mich selbst, über meine in diesem wichtigen Moment fehlende Schlagfertigkeit. Überhaupt nicht zu wissen, was man sagen soll, fühlt sich unwürdig an. Ich hatte das Gefühl, mich selbst und viele andere Menschen im Stich gelassen zu haben.

Über Instagram fand ich dann doch zu meiner Sprache zurück. In meinen Storys habe ich über den Vorfall geschrieben. Und dieses Mal war die Resonanz riesig: Die meisten reagierten mitfühlend und schockiert. Einige meiner Freund:innen oder Familienmitglieder schienen hingegen vertraut mit Situationen wie diesen. Ein Bekannter schrieb: "Früher dachten sie es, heute sprechen sie es aus." Von den Erfahrungen der anderen zu hören, zu wissen, ich war nicht die Einzige und damit nicht alleine, das hat geholfen.

Und doch schaffte ich es einfach nicht, ganz mit der Situation abzuschließen: Wieso war ausgerechnet ich diejenige, die sich auch Tage später noch schlecht fühlte?

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