Dass junge Leute zu Beginn ihres Studiums an einer Orientierungswoche teilnehmen, ist ziemlich normal. Auch ist es nicht unüblich, dass während einer solchen Woche Partys mit humorvollen Kennlern-Spielen stattfinden. Was jedoch nicht dazu gehören sollte, sind sexuelle Übergriffe. So geschehen jedoch nun an der Universität in Bielefeld.
Die dortige Fachschaft Wirtschaftswissenschaften hatte für ihre Erstsemester-Studis eine Kneipentour vorbereitet. Als Kennlern-Spiele gab es hierzu einen Laufzettel, auf dem insgesamt 17 Aufgaben standen. Durch das Erfüllen dieser Aufgaben konnten die Teilnehmenden Punkte sammeln, um hinterher einen Preis zu gewinnen.
Allerdings sollten sich die Studis auf sehr fragwürdige Weise kennenlernen: Die besagten Aufgaben sind teils eindeutig als sexistisch zu bewerten. Nachdem eine Person ihren Laufzettel deshalb auf "Reddit" gepostet hat, kam es schnell zu massiver Aufregung und Kritik. Zwei Punkte auf dem Zettel haben dabei für besonders viel Ärger gesorgt:
Doch auch unter den anderen Punkten finden sich einige, die eine Fachschaft nicht von ihren Studierenden erwarten sollte. So hieß es dort, man solle Küsse auf die Wange sammeln, bekäme jedoch mehr Punkte, wenn es einen auf den Mund gibt. Man solle mit dem Barkeeper flirten und bekomme noch Extrapunkte für seine Handy-Nummer. Weitere Aufgaben lauteten, oben ohne ("bzw. mit BH reicht aus") von einer zur anderen (Kneipen-)Station zu laufen, und auf Instagram zu posten, wie man den umstrittenen Song "Layla" singt.
Der besagte Beitrag auf "Reddit" ist auf viel Unverständnis gestoßen. Der Unmut erstreckt sich bisher über mehr als 1100 Kommentare. Einige User:innen geben etwa sarkastische Beispiele für weitere Aufgaben, die noch auf dem Zettel stehen könnten. Unter anderem heißt es dort: "Klaue einem Bettler den Sammelbecher (Frauen), klaue einer Bettlerin den Sammelbecher (Männer)."
In vielen Kommentaren schreiben die Leute zudem, es sei schade, dass eigentlich überholte Klischees doch immer wieder zutreffen würden, und beziehen das darauf, dass der Zettel aus der Fakultät Wirtschaftswissenschaften stammt. Andere fragen beunruhigt, ob sie so etwas auch im Studium zu befürchten hätten. So etwa im folgenden Kommentar:
Auf der Website der Universität Bielefeld hat sich die Fachschaft mittlerweile zu der Sache gemeldet. Dort entschuldigt sie sich bei den Betroffenen und schreibt unter anderem: "Sexualisierte Gewalt gegenüber Personen jeglichen Geschlechts ist auf das Schärfste zu verurteilen und wird von der Fachschaft in deutlichster Form abgelehnt." Um Wiederholungen zu vermeiden, werde man für die Bedeutung des Themas sensibilisieren.
Dieses Statement scheint den User:innen auf "Reddit" nicht so ganz glaubwürdig zu sein. Dort heißt es etwa zynisch, die Fachschaft habe sich den Laufzettel "selbstverständlich nicht selbst ausgedacht" und er sei "ganz von allein" entstanden. Auch schreibt eine Person, die Fachschaft spreche davon, Verantwortung zu übernehmen, ziehe aber keine Konsequenzen aus der Sache.
Inzwischen hat sich auch der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) in einem eigenen Statement zu dem Vorfall an seiner Uni geäußert. Darin fordert der Ausschuss "eine konsequente und transparente Aufarbeitung der Geschehnisse sowie ein[en] sofortige[n] Ausschluss der verantwortlichen Fachschaftsmitglieder".
Die diesjährige Ersti-Woche sei kein Einzelfall – schon lange haben Studienanfänger:innen derlei Erfahrungen machen müssen. "Es kommt immer wieder zu Grenzüberschreitungen gegenüber jungen Student:innen", sagt die AStA-Gleichstellungsreferentin. Insbesondere im Bereich der Fachschaft liege ein Machtgefälle vor: Neben Geschlechtshierarchien spiele es ebenfalls eine große Rolle, ob man zu den erfahrenen Fachschaftsstudent:innen oder den jungen Erstsemester:innen gehört.
Deshalb seien Konsequenzen nötig. Der Bielefelder AStA fordert von der Universität einerseits die Einrichtung eines anonymen Erfassungssystems zu sexualisierter Diskriminierung und Gewalt, andererseits verpflichtende Awareness-Konzepte auf allen Erstsemesterveranstaltungen.
Unter dem Instagram-Beitrag von AStA berichtet eine Studentin von dem Abend:
Um auf die obige Frage zurückzukommen, ob man zu solchen Dingen – seien es fragwürdige Übergriffe oder Trinkgelage – im Studium verpflichtet sei: Nein. Orientierungswochen sind für Studienanfänge üblich und werden in manchen Fällen empfohlen. Die Teilnahme ist jedoch in der Regel freiwillig. Und selbst bei Teilnehmenden gilt: Zu Alkohol-Konsum oder gar körperlichen Übergriffen ist man sowieso nie verpflichtet.