Angefangen hat es wahrscheinlich mit der Kohlsuppe.
Bisher hatte ich jede Diät meiner Mutter einfach hingenommen. Weight Watchers, Apfelessig oder auch FDH (Friss die Hälfte) stand ich als Kind völlig gleichgültig gegenüber.
Doch die Kohlsuppendiät erschien mir too much. Das Weißkohlversprechen war: Gewichtsverlust durch Entwässerung. Und so sah ich ihr dabei zu, wie sie sich eine ganze Woche lang, jeden Tag, diese Suppe reinzwängte. Ich war erst neun. Aber damals bekam ich eine Idee davon, was Frauen und ihrem Körper von der Gesellschaft abverlangt wird.
Davor hatte ich nie über meinen Körper nachgedacht. Warum auch, in dem Alter? Durch die Kohlsuppe zweifelte ich zum ersten Mal daran, dass er, so wie er war, auch okay war.
Heute würde ich sagen: Die Kohlsuppe hat mir einen ordentlichen Knacks in Sachen Bodypositivity verpasst. Seitdem habe ich mich oft gefragt, ob ich dünn genug bin. Ob ich weniger essen sollte, damit ich weniger wiegen kann. Das tue ich noch heute oft.
Daran ist nicht nur die Kohlsuppe meiner Mutter schuld. Es gibt viele Dinge, die zu diesem gestörten Verhältnis beigetragen haben: Ich bin wie fast jedes Mädchen in den 90ern mit Barbies aufgewachsen. Meine Schwester und ich hatten alles. Vom Barbie-Luxus-Trailer bis zur Pferde-Ranch. Und natürlich auch Dutzende dieser Barbie-Puppen, die uns viel zu früh unbarmherzig vorführten, wie ein Frauenkörper im besten Fall auszusehen hat. Curvy-Barbies gab es damals natürlich nicht.
Es war normal, dass Duschgel-Werbung entblößte Model-Brüste und attraktive Frauen-Oberschenkel in Nahaufnahme zeigte. Claudia Schiffer und die anderen Supermodels waren überall. Es war die Zeit der perfekten Frauen. Natürlich beeinflusste mich das. Meine Freundinnen und ich liebten als Jugendliche die "Bravo". Wir haben die Super-schlank-Tipps genauso gelesen wie den Test, welcher Bikini unserer Figur besonders schmeicheln würde. Wir wollten schön aussehen.
Dann hat mir mit 13 ein Typ in der Ferienfreizeit gesagt, ich hätte ein gebärfreudiges Becken. Ohne ganz verstanden zu haben, was er damit sagen wollte, war mir klar, dass ich seinen Kommentar wohl kaum als Kompliment verbuchen konnte. Ich war extrem verunsichert. Wohl auch, weil 13 ein Alter ist, in dem man am liebsten überhaupt keinen Körper hätte, weil der sowieso nur Probleme macht. Der Gedanke, damit negativ aufgefallen zu sein, war für mich kaum zu ertragen.
Vielleicht war das der Auslöser, warum ich angefangen habe, für Fotos nur noch mit überkreuzten Beinen zu posieren. Haben sich Männer mal gefragt, warum so viele Mädchen das so machen? Sie wissen: Mit überkreuzten Beinen sieht man schlanker aus.
Nur ein Gedanke kam mir damals in der Ferienfreizeit nicht: dass dieser Kommentar über mein Becken völlig unangebracht war. Weil es Bodyshaming war. Bodyshaming heißt, dass Menschen aufgrund ihres Aussehens beleidigt, diskriminiert oder gedemütigt werden. Natürlich ist das kein Problem, das nur Frauen betrifft. Aber Frauen werden in unserer Gesellschaft noch viel stärker aufgrund ihres Körpers bewertet. Deshalb lernen Frauen früh, ihren Körper zu vergleichen – und damit auch, ihn nicht zu mögen.
Die österreichische Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner, die sich mit Schönheitsidealen der Gesellschaft auseinandersetzt, erklärte im Schweizer Radio "SRF": "Selbsthass bei Frauen ist sehr gut belegt. Viele Frauen haben ein absolut verdinglichtes, verzerrtes Selbstbild: Sie sehen ihren Körper wie durch ein Raster und nehmen nur noch vermeintliche 'Problemzonen' wahr."
Simone de Beauvoir schrieb in ihrem berühmtesten Werk "Das andere Geschlecht" schon vor über 70 Jahren: "Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es." Sie argumentierte, dass Männer und Frauen sich nicht automatisch feminin oder maskulin verhalten, sondern dass sie darauf konditioniert werden. Und zum Frausein gehört heute vor allem: schlank sein, schön sein.
Immerhin: Im Jahr 2024 regt sich dagegen Widerstand, zum Beispiel auf Social Media. Louisa Dellert spricht auf Instagram immer wieder über Körperwahn und unrealistische Schönheitsideale.
Sie versucht vorzuleben, wie es geht, seinen eigenen Körper zu lieben, statt den Perfektionsstandards der Medien und der Gesellschaft entsprechen zu wollen. "Ich habe so lange und so oft mit meinen Oberschenkeln geschimpft", schreibt sie beispielsweise – "und dennoch versuche ich mich immer daran zu erinnern, dass uns all unsere Körperteile durchs Leben begleiten. Sie sind nicht dafür gemacht, um gut auszusehen. Sie sind dafür da, damit wir leben und erleben können".
Aber natürlich gibt es auf Instagram und Tiktok nicht nur Influencer:innen, die Bodypositivity propagieren. Wie sehr sie miese Kommentare treffen oder wütend machen, davon kann sich selbst Louisa Dellert nicht freimachen.
Diese Widersprüchlichkeit beobachte ich auch an mir selbst. Ich will nicht aufs Äußere reduziert werden. Dennoch messe ich den Äußerlichkeiten selbst viel zu viel Bedeutung bei. Die Supermodels und Barbies, die Sprüche über perfekte und unperfekte Figuren – all das habe ich so verinnerlicht, dass ich mich bis heute nicht davon lösen kann. Viel zu oft stehe ich vorm Spiegel und kontrolliere, ob es nicht doch ein paar Kilogramm zu viel sein könnten. Und natürlich tue ich alles dafür, damit es so weit nicht kommt.
Margarete Stokowski merkt in ihrem Buch "Untenrum frei" durchaus kritisch an: "Man hat eben Aufgaben als Frau, die sich aus dem Körper ergeben." Frauen sollen glatt, schlank, stark und fit sein. Aber so einen Körper kriegt man nicht geschenkt. Wir müssen Sport machen. Diät machen. Cellulite an den Oberschenkeln verstecken. Wir stecken so viel Zeit, Mühe und Ärger in diesen Körper. Und ich habe den Eindruck, es nimmt kein Ende.
Nach dem Fitnessstudio ist vor dem Fitnessstudio. Zweimal pro Woche muss schon sein. Und ich bin nicht allein. Es machen vielen Frauen so. Wahrscheinlich ist es eine kollektive Obsession, die wir bezogen auf unseren Körper haben. Aber dadurch ist es ja noch nicht normal. Problematisch ist nicht der Sport an sich, sondern was dahinter steckt. Wir beschäftigen uns alle viel zu sehr mit dem, was mit dem eigenen Körper vermeintlich nicht stimmt. Wir blicken zu streng und zu wenig wohlwollend darauf.
Genau darüber hat Schauspielerin Saralisa Volm ein Buch geschrieben, das passenderweise "Das ewige Ungenügend" heißt. Im Interview mit watson erklärte sie: "In einer Welt, die den Schönheitsdruck diktiert, ist es normal, schön sein zu wollen. Ich sehe keinen Grund, das einer Einzelperson vorzuwerfen. Die Frage ist nur: Wie können wir nachjustieren, um insgesamt wieder ein entspannteres und neutraleres Verhältnis zu unseren Körpern zu bekommen?"
Die schlechte Nachricht ist: Es kann dauern. Und es ist Arbeit. Viel Arbeit. Denn es ist schwer, sich wirklich zu lösen von dem gesellschaftlichen Ideal, das uns Frauen so viel Druck macht.
Die gute Nachricht ist: Es geht trotzdem.
Ich selbst bin immerhin so weit, dass ich weiß: Kohlsuppe hilft dabei nicht weiter.