Seit dieser Woche ist es soweit, nun können auch Kinder zwischen elf und fünf Jahren in Deutschland sich einen Piks gegen das Corona-Virus abholen. Verteilt werden sollen zunächst 2,2 Millionen Kinderdosen des zugelassenen mRNA-Impfstoffs von Biontech/Pfizer, dazu kommen noch Länderkontingente. Geimpft werden soll vornehmlich bei den Kinderärzten, mancherorts, wie in Berlin, auch über extra eingerichtete Impfstraßen in den kommunalen Impfzentren, in Schulen oder bei mobilen Aktionen wie im Zoo oder im Naturkundemuseum. Die Kinderarztpraxen haben laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung bereits 800.000 Dosen angefordert, die bis vergangenen Mittwoch ausgeliefert werden sollen. Jakob Maske, Bundespressesprecher der Bundesvereinigung der Kinder - und Jugendärzte (BVKJ) bewertet den Start der Impfkampagne gegenüber watson positiv: "Die Impfungen laufen gut an. In den Kinder – und Jugendarztpraxen werden überwiegend die schwer chronisch Kranken geimpft. Diese werden überwiegend bis Jahresende ihre erste Impfung erhalten haben. Die Nachfrage ist gut, jedoch auch nicht so, dass das System überfordert wäre."
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) rief in den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Montag dazu auf, von dem Angebot auch Gebrauch zu machen – nicht zuletzt auch, um Schulschließungen zu vermeiden. Jede Impfung helfe, die Verbreitung des Virus einzudämmen.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte bisher lediglich eine Impfung für Kinder in der entsprechenden Altersgruppe empfohlen, die Risikofaktoren für einen schweren Covid-19-Verlauf oder Angehörige mit hohem Risiko haben. Dennoch können Eltern nach individueller Aufklärung auch ihre gesunden Kinder impfen lassen. Bei dem vergangenen Donnerstag veröffentlichten Stiko-Papier handelt es sich noch nicht um eine finale Entscheidung, dieses ist noch im Abstimmungsverfahren mit Fachgesellschaften und Ländern.
Der Impfstoff wurde in der Zulassungsstudie an 1517 Kindern erprobt – sehr seltene Nebenwirkungen sind bei einer so geringen Anzahl an Probanden schwer zu entdecken. Allerdings wurde der Impfstoff in den USA bis Ende November schon Millionen Kindern verabreicht. Neue oder schwere Nebenwirkungen sind bis dato nicht gemeldet worden.
Welche Gründe gibt es aktuell, gesunde Kinder, die nicht in eine von der Stiko-Empfehlung genannten Gruppen fallen, zu impfen? Denn diese Frage treibt viele Eltern um. Zu Recht: Es ist schon ein Unterschied, ob man die Entscheidung für eine Impfung mit recht hohem Nutzen als Erwachsener für sich selbst trifft. Oder für ein kleines Kind, das nach wie vor ein sehr geringes Risiko trägt, schwer an Covid-19 zu erkranken. Watson hat sich die Risiken und Nutzen genauer angesehen, und fünf gute Argumente für eine Impfung der Kleinen gefunden.
Dazu sagt Jakob Maske gegenüber watson: "Bei den über 11-Jährigen ist dies klar durch die Stiko dargelegt: die Folgen der Infektion sind deutlich größer als die möglichen Risiken durch die Impfung. Um diese Frage (Anm. der Red.: nach Nebenwirkungen der Impfung bei unter 12-Jährigen) ausreichend zu klären, bedarf es noch mehr Daten, daher gibt es für gesunde Kinder von fünf bis elf Jahren auch noch keine Empfehlung der Stiko." Für die nicht vorerkrankten unter 12-Jährigen gibt es von der Stiko aus genau diesen Gründen eben noch keine klare Empfehlung. Allerdings sprechen, ebenfalls laut Stiko, auch keine expliziten Gründe dagegen. Denn bisher sind beim einzigen bisher für Kinder in Europa zugelassenen Corona-Impfstoff von Biontech zwischen fünf und elf Jahren keine schweren Nebenwirkungen bekannt. In der Zulassungsstudie hatten viele Kinder ein bis zwei Tage lang vorübergehende Impfreaktionen nach der zweiten Spritze: Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen und Müdigkeit oder rund eine Rötung oder Schwellung rund um die Einstichstelle. Außerdem bekamen einige Kinder Fieber, Durchfall, Schüttelfrost sowie Muskel- und Gelenkschmerzen.
Markus Knuf, Chefarzt der Kinderklinik Worms, sagte zum Magazin Spiegel, es könne zu Komplikationen kommen bei jenen Kindern, die mit Fieber schlecht umgehen können: "Es gibt ganz, ganz selten und ganz vereinzelt Kinder, die dann auch mit Krampfanfällen reagieren, entweder im Sinne eines Gelegenheitsanfalls, Fieberkrämpfe nennt man die, oder ganz seltene Formen von Epilepsien. Die sind da zu nennen, weil das in dem Alter vorkommen kann."
Beim COVID-Survey der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) lag der Anteil der gemeldeten stationär behandelten Kinder vom ersten Januar 2020 bis zum 12. Dezember 2021 im Alter zwischen fünf und neun Jahren bei jeweils 2 Prozent, bei den 10- und 11-Jährigen bei jeweils drei Prozent. Das sind also grundsätzlich sehr geringe Zahlen an schwer an Covid-19 erkrankten Kindern in der fraglichen Altersgruppe. Dennoch besteht die Wahrscheinlichkeit, dass eben auch gesunde Kinder so schwer betroffen sind, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen.
Eine Erkrankung mit Covid-19 birgt weitere Risiken, ähnlich wie bei gesunden Erwachsenen und selten, aber dennoch möglich. PIMS, das "Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome", ist seit Beginn der Pandemie bei Kindern, die serologisch positiv waren, also eine Infektion mit Corona meist symptomlos überstanden hatten, häufiger beobachtet worden. Die seltene, aber schwere entzündlichen Überreaktion des Immunsystems kann auch bei nicht vorerkrankten Kindern zu einer intensivmedizinischen Behandlung führen. Auch sind vereinzelt bei Kindern Herzmuskelentzündungen als Folge eine Corona-Erkrankung aufgetreten.
Und das Post-Covid-Syndrom, genannt Long-Covid, die bisher kaum erforschte Langzeitfolge, droht mit chronischer Abgeschlagenheit, Atem- und Kreislaufproblemen, Schmerzen und mehr. Trotz der Gefahren sieht Jakob Maske vom BVKJ hier auch positive Entwicklungen: "Natürlich sehen wir auch selten Herzmuskelentzündungen, PIMS gab es in Deutschland bisher 478 Fälle, Long-Covid ist bisher noch nicht ausreichend erforscht, um hier schon eine klare Aussage treffen zu können. Sicher gibt es Long-Covid auch in dieser Altersgruppe, jedoch offenbar sehr selten und meist zeitlich begrenzt."
Die möglichen Folgen der Folgeerkrankungen sind dennoch nicht unerheblich, so Maske weiter: "Eine Herzmuskelentzündung kann natürlich zu einer dilatativen Cardiomyopathie mit entsprechender Herzinsuffizienz führen, sieben Prozent der PIMS- Fälle haben ebenfalls anhaltende, meist kardiale Beschwerden. Long-Covid kann zu Abgeschlagenheit, Leistungseinbussen und Müdigkeit führen, in der Regel ist dieses Problem aber nach spätestens vier Wochen nicht mehr vorhanden."
Egal ob PIMS, Long-Covid oder Herzmuskelentzündung – wenn man seine Kinder mit einer risikoarmen Impfung wirksam vor Schlimmerem schützen kann, ist das sicher ein gutes Argument für eben diese Methode.
Die Frage ist im Grunde, ob man das Impfen von Kindern überhaupt losgelöst von der gesellschaftlichen und pandemischen Bedeutung sehen kann. Klar, gesunde Kinder, die ein geringes Risiko tragen, selbst schwer zu erkranken, nun mit einer Impfung für ein Ziel, das Beenden der Pandemie, mit in die Verantwortung zu ziehen, das die Erwachsenen in diesem Land bislang klar verfehlt haben – das scheint nicht fair. Dennoch, auch vorerkrankten Kindern hilft eine hohe Impfrate unter Kindern. Auch Kindern, die aufgrund ihres sozialen Hintergrundes auf Institutionen wie Schule und Kitas mehr angewiesen sind, als andere Altersgenossen, hilft es, wenn die aktuell sehr hohen Infektionszahlen in ihrer Altersgruppe durch eine Impfung gesenkt werden und damit Schulen und Kitas offen gehalten werden können.
Und nicht zuletzt, Kinder sind durch Quarantäneverpflichtungen für Ungeimpfte, die Isolation von ihren Freunden, durch das Maske tragen stark in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Chefarzt Markus Knuf sagte dazu dem Spiegel: "Wenn Sie sich jetzt bitte Neugeborene vorstellen, die vor zwei Jahren geboren worden sind: Die denken, dass Menschen so ein weißes Ding im Gesicht haben. Also Mimik, Gestik, all diese Dinge erlernen wir ja durch Zuschauen im Neugeborenen- und Säuglingsalter. Und wenn das ganze Umfeld auf einmal vermummt ist und auch gar nicht mehr sichtbar ist, dann hat das eklatante Folgen für die Entwicklung der Kinder. Das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Deswegen ist der Punkt 'Wie kommen wir aus der Pandemie heraus', notfalls auch mit Impfungen, schon ein sehr relevanter, auch für kleine Kinder."
So manch erwachsener Skeptiker der derzeit zugelassenen Vektor- und mRNA-Impfstoffe möchte lieber auf einen "klassischen" Totimpfstoff warten, um sich impfen zu lassen. Als Hoffnungsträger gelten hier die sich gerade in der Zulassungen befindenden Impfstoffe von Novavax und Valneva. Doch bei diesen beiden, oft fälschlicherweise als "Totimpfstoff" bezeichneten Vakzinen, handelt es sich um Proteinimpfstoffe.
Für zögerliche Eltern hat Kinderarzt Markus Knuf auch in diesem Punkt laut Spiegel eine Antwort: "Ich weiß schon, das ist eine eigene Impfstoffklasse, die mRNA-Impfstoffe, aber von der Funktion her ist es ein Totimpfstoff. Das sage ich absichtlich. Damit man wegkommt von der ganzen Diskussion "Wir warten jetzt auf den heilsbringenden Novavax-Impfstoff!" – der im Übrigen noch viel weniger ausführlich geprüft ist wie die mRNA-Impfstoffe." Der für aktuell für Kinder zugelassene Impfstoff von Biontech ist bereits millionenfach weltweit erprobt, an Erwachsenen und Kindern. Und hat den strengen Prüfbedingungen der europäischen Arzneimittelagentur EMA stand gehalten, sowie den äußerst vorsichtigen Kriterien der Stiko hierzulande. Und damit ist er so sicher, wie alle anderen für Kinder in Deutschland zugelassenen Impfstoffe.
Trotz aller Argumente für und wider bleibt das Impfen der kleineren Kinder für Eltern eine sehr persönliche Gewissensentscheidung. Aber vielleicht hilft bei der Entscheidungsfindung der Aspekt, dass man mit einer Impfung den Kindern ein Stück weit auch unbeschwertes Kind-Sein zurückgeben kann. Ihnen damit ihr soziales Leben wieder zu ermöglichen. Die Angst nehmen kann, andere anzustecken. Ihnen wenigstens diese Bürde zu nehmen, wenn wir Erwachsenen es schon nicht geschafft haben, die Pandemie für sie zu beenden.
(mit Material der afp und dpa-afxp)