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Ketamin: Wirkung, Partydroge, Einsatz bei Depressionen, Nasenspray

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Ketamin wird oft als Pferdebetäubungsmittel bezeichnet. Es kommt aber auch in der Humanmedizin zum Einsatz.Bild: YAY Images / imago images
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Ketamin-Hype: Zwischen Pferde-Betäubung, Party-Droge und Antidepressivum

Ketamin wurde eigentlich für medizinische Zwecke entwickelt, wird mittlerweile aber auch als Partydroge konsumiert. Gleichzeitig ist die Substanz als Pferdebetäubungsmittel bekannt und wird auch bei der Behandlung von Depressionen eingesetzt. Watson beantwortet die wichtigsten Fragen.
12.05.2025, 18:3812.05.2025, 18:38
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Special-K, Vitamin K, Kate oder Keta – die Substanz, die zurzeit für ordentlich Gesprächsstoff sorgt, hat viele Namen. Tech-Milliardär Elon Musk nimmt nach eigenen Angaben "jede Woche eine kleine Dosis" davon zu sich und die Nase von Rapperin Ikkimel ist vom Sniefen angeblich schon wund. Die Rede ist von Ketamin.

Konkrete Zahlen, wie sehr der Konsum der Substanz in den vergangenen Jahren angestiegen ist, finden sich kaum. Im Europäischen Drogenbericht 2024 ist zu lesen, dass 2021 etwa 0,87 Tonnen Ketamin in der EU beschlagnahmt wurden; ein Jahr später waren es bereits 2,8 Tonnen – ein neuer Höchststand.

Doch was ist Ketamin überhaupt? Wie gefährlich ist die Substanz? Und kann sie wirklich bei Depressionen helfen?

Watson beantwortet die wichtigsten Fragen mit Andrea Jungaberle. Die Psychotherapeutin arbeitete mehrere Jahre in der Notfallmedizin sowie Allgemein- und Unfallchirurgie, bevor sie 2021 die Ovid Clinic Berlin eröffnete, wo sich Patient:innen unter anderem in Ketamin-unterstütze Psychotherapie begeben können.

Was ist Ketamin?

Ketamin ist ein Schmerz- und Narkosemittel, das bereits in den 1960er-Jahren von einem US-amerikanischen Wissenschaftler entwickelt wurde. Damals suchte man nach einem Ersatz für Phencyclidin (PCP), das sich aufgrund starker Nebenwirkungen – Psychosen und hohe Suchtgefahr – nicht zum Einsatz in der Medizin eignete.

Wofür wird Ketamin eingesetzt?

In Deutschland ist Ketamin schon seit Jahrzehnten als Arzneimittel zugelassen und fällt anders als PCP nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Zum einen kommt es in der Veterinärmedizin zum Einsatz, um etwa Hunde oder Katzen, aber auch große Tiere wie Pferde zu betäuben. Deshalb ist die Substanz auch als "Pferdebetäubungsmittel" bekannt.

In der Humanmedizin wird Ketamin vor allem bei Notfällen als Schmerz- und Narkosemittel verabreicht. "Das ist in der Medizin ein geläufiges Medikament. Jede Krankenhausapotheke hat mehrere hundert Ampullen davon herumstehen", erklärt Jungaberle.

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Andrea Jungaberle ist Fachärztin für Anästhesie und Notfallmedizin.Bild: jungaberle / Tatjana Dachsel

Insbesondere intravenös, also über eine Spritze in die Vene, ist Ketamin schnell wirksam und senkt im Gegensatz zu anderen Anästhetika weder die Atemfrequenz noch den Blutdruck. Teils kann es die Herzfrequenz und den Blutdruck sogar leicht erhöhen, was vor allem bei instabilen Patient:innen, zum Beispiel nach Blutverlust, von Vorteil sein kann.

Welche Wirkung hat Ketamin?

Im (Notfall-)medizinischen Kontext wird Ketamin wegen seiner schmerzstillenden und narkotisierenden Wirkung verwendet. Auf Partys und in der Clubszene ist die Substanz aber vor allem beliebt, weil sie bei entsprechender Dosierung Halluzinationen und einen Rauschzustand hervorrufen kann.

Jungaberle erklärt, dass Konsument:innen bei geringer Dosis beispielsweise Musik und optische Effekte stärker wahrnehmen. Bei höherer Dosierung könne man Trance-ähnliche Zustände oder – noch extremer – das K-Hole erreichen. Das beschreibt einen dissoziativen Zustand, bei dem Betroffene die Verbindung zwischen Körper und Geist subjektiv als "getrennt" erleben – viele haben das Gefühl, sie hätten keinen Körper mehr oder würden außerhalb davon existieren.

In solch einem Zustand können Betroffene oft nicht mehr sprechen oder sich bewegen. Die Umgebung wird kaum oder gar nicht mehr wahrgenommen. Ärzt:innen warnen davor, dass gerade unerfahrene Konsument:innen dabei eine Ich-Auflösung erleben oder das Gefühl haben zu sterben.

Wie gefährlich ist Ketamin als Partydroge?

Beim Missbrauch von Ketamin als Rauschdroge muss man mit Übelkeit und Erbrechen, einem erhöhten Blutdruck sowie Angstzuständen und Panikattacken rechnen.

Das Risiko allein durch Ketamin bewusstlos zu werden oder zu sterben, hält Jungaberle für eher gering. "Wir haben einmal erlebt, dass sich jemand eine größere Menge Veterinär-Ketamin pur in die Vene gespritzt hat. Das ist natürlich lebensbedrohlich", meint sie.

Als Rauschdroge wird Ketamin jedoch meist in Form eines weißen, kristallinen Pulvers gesnieft. Und bei der Aufnahme über die Nasenschleimhäute ist es nach Einschätzung der Expertin quasi nicht möglich, eine Dosis aufzunehmen, die zur Bewusstlosigkeit oder dem Tod führt.

Krankenkassen wie AOK und Techniker verweisen allerdings darauf, dass unter Drogeneinfluss ein erhöhtes Unfallrisiko besteht. Und auch der Mischkonsum, also die Kombination von Ketamin mit anderen Drogen wie Alkohol oder Heroin, stellt ein Gesundheitsrisiko dar.

Wie groß ist das Suchtpotenzial?

Langfristig birgt Ketamin als Rauschdroge weitere Risiken, allen voran ein Suchtpotenzial. Dazu ist auf dem Infoportal "drugcom" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu lesen:

"Da es bei dem Konsum von Ketamin schnell zu einer Toleranzentwicklung kommt, ist bei wiederholtem Konsum eine Dosiserhöhung notwendig, damit der gewünschte Effekt einsetzt. Bisherige Studien deuten darauf hin, dass vor allem tägliche Konsumentinnen und Konsumenten Probleme damit haben, ihr Konsumverhalten zu kontrollieren."

Bei chronischem Konsum, also der regelmäßigen Einnahme über einen langen Zeitraum, warnen die Krankenkassen vor weiteren gesundheitlichen Folgen, darunter Gedächtnisprobleme, Lernstörungen, Schäden des Nervengewebes, Nieren- und Blasenprobleme sowie Inkontinenz und ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle.

Hilft Ketamin bei der Behandlung von Depressionen?

Im Regelfall werden Depressionen mit einer Kombination aus Antidepressiva und Psychotherapie behandelt. Dieser Ansatz ist wissenschaftlich anerkannt und gilt als wirksam. Es gibt aber immer wieder Patient:innen, für die diese Behandlungsform nicht ausreichend ist. Ihre Depression gilt als therapieresistent.

Genau für diese Gruppe von Betroffenen kommt eine Behandlung mit Ketamin infrage. Erste Studien haben bereits gezeigt, dass die Substanz eine antidepressive Wirkung hat. In der Europäischen Union ist seit 2019 ein Nasenspray zur Behandlung therapieresistenter Depressionen zugelassen – allerdings nur unter spezifischen Voraussetzungen.

Darüber hinaus gibt es einen Off-Label-Use, wie er beispielsweise in der Ovid Clinic Berlin von Andrea Jungaberle praktiziert wird. Off-Label bedeutet: Ein Arzneimittel wird ärztlich verordnet, obwohl es für diesen speziellen Zweck (noch) keine behördliche Zulassung hat. "Das ist in der Medizin nicht ungewöhnlich", meint die Psychotherapeutin.

Im Vergleich zu anderen Antidepressiva wirkt Ketamin sehr schnell, allerdings flacht seine Wirkung nach einigen Tagen schon wieder ab. Dieses kurze Zeitfenster, in denen es Betroffenen besser geht, wollen Jungaberle und ihre Kolleg:innen mit psychotherapeutischen Mitteln nutzen, um einen langfristigen Effekt herbeizuführen. Das erklärt sie anhand eines Bilds:

"Die Patienten sitzen in einem dunklen Raum und die Substanz öffnet die Tür, sodass man auf die Blumenwiese im Garten schauen kann. Wenn man nur Ketamin einnimmt und nicht therapiert, bleiben die Leute auf dem Stuhl sitzen und die Tür geht immer wieder zu. Mit einer Therapie kann man hingegen lernen, herauszukommen."

Jungaberle betont allerdings, dass es sich dabei nicht um ein "Allheilmittel" handelt. Bei vielen sei es wirksam, bei anderen hingegen nicht. Und wer seit 20 oder 30 Jahren unter Depressionen leide, könne nicht mit drei Monaten Ketamin-unterstützter Psychotherapie geheilt werden.

Die Expertin glaubt aber, dass sich die Behandlungsform künftig weiter durchsetzen wird: "Das wird nie die erste Wahl sein. Aber gerade da, wo Patienten auf der Strecke bleiben, weil sie vielleicht schon fünf Antidepressiva erfolglos ausprobiert haben, kann es eine gute Option sein."

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