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Ehemalige Pflegerin: "Ich verstehe jeden, der den Beruf aufgibt"

Körperliche Belastung, emotionaler Stress: Wer in der Pflege arbeitet, erlebt einen dauerhaften Ausnahmezustand. (Symbolbild)
Körperliche Belastung, emotionaler Stress: Wer in der Pflege arbeitet, erlebt einen dauerhaften Ausnahmezustand. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / Antonio_Diaz
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Ehemalige Altenpflegerin: "Ich verstehe jeden, der den Beruf aufgibt"

29.04.2021, 09:2029.04.2021, 13:42
paula maaß
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Paula Maaß, 28, arbeitet in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung in Berlin. Früher war sie Altenpflegerin – hat sich aber dazu entschlossen, den Beruf aufzugeben.

Bei watson spricht sie über Missstände in der Pflege, mangelnde Wertschätzung während der Corona-Pandemie und darüber, warum sie jeden verstehen kann, der den Pflege-Beruf aufgibt.

"Nach meiner Erfahrung als Altenpflegerin weiß ich: Der Job macht dich kaputt, seelisch sowie körperlich."

Wenn ich früher nach einer Spätschicht nach Hause gekommen bin, hatte ich häufig nur fünf Stunden Zeit, bis der Frühdienst begann: Fünf Stunden, in denen ich runterkommen musste, meine Gedanken sortieren, schlafen. Oft lag ich noch wach, weil ich nach dem vergangenen Tag zu aufgekratzt war, um zur Ruhe zu kommen.

Nach manchmal nur drei Stunden Schlaf hieß es dann wieder: Aufstehen, fertigmachen, ab ins Pflegeheim, wo ich mich mit nur einer weiteren Pflegekraft um bis zu 36 Bewohnerinnen und Bewohner kümmerte.

Nach meiner Erfahrung als Altenpflegerin weiß ich: Der Job macht dich kaputt, seelisch sowie körperlich. Ich kann jeden verstehen, der ihn aufgibt. Auch ich bin aus der Pflege ausgestiegen, als ich gerade einmal 23 Jahre alt war.

Für Zwischenmenschlichkeit bleibt kaum Zeit in der Pflege

Ich habe meine Ausbildung zur Pflegefachkraft in Thüringen gemacht, von 2011 bis 2014. Schon damals zeichneten sich dieselben Probleme wie heute ab: zu niedrige Bezahlung, zu wenig Personal, zu viele Bewohner, die in zu kurzer Zeit versorgt werden mussten. Fürs Zwischenmenschliche, ein ausgiebiges Gespräch oder eine nette Geste bleibt häufig keine Zeit.

Die meisten Leute, die ich kenne, entscheiden sich aus altruistischen Gründen für diesen Beruf. Sie steigen ein mit dem Gedanken: "Ich möchte euch helfen." Sie steigen aus mit den Worten: "Ich kann euch alle nicht mehr sehen." Und wer kann es ihnen verübeln?

Ich erinnere mich, dass ich teilweise allein auf fremde Stationen geschickt wurde, um die Pillen und Tabletten an die Bewohner zu verteilen – eine Aufgabe mit viel Verantwortung. Wegen des ständigen Personalmangels werden auch unerfahrenere Arbeitskräfte für solche Aufgaben eingesetzt.

"Meine Güte, da ist einfach jemand gestorben heute."

Ich erinnere mich, wie in meinen Schichten hin und wieder ein Bewohner starb. Dass man noch, während man seinen eigentlichen Aufgaben nachging, versuchen musste, nebenbei diesen Todesfall zu erfassen und alle notwendigen Schritte einzuleiten. Und dass man häufig erst lange nach der Schicht zu Hause dasaß und dachte: "Meine Güte, da ist einfach jemand gestorben heute."

Ich erinnere mich auch, dass ich oftmals im Urlaub darüber nachdachte, wie ich meine Schichten hinbekomme, sobald ich wieder da bin. Man ist als Pflegerin einfach konstant so stark gefordert, dass es einen selbst in der Freizeit nicht loslässt, die Familie und Partnerschaft beeinträchtigt – so lange, bis man es eben nicht mehr kann.

Ich habe es irgendwann nicht mehr ertragen.

Ich wollte nicht mehr unter diesem Druck arbeiten, dieser geringen Wertschätzung, die die Arbeitsbedingungen ausstrahlen, wollte Menschen nicht mehr als Zimmernummern sehen, die man möglichst fix abarbeitet.

Die Probleme sind seit Jahrzehnten bekannt

Heute arbeite ich immer noch in einem sozialen Beruf, aber einem, der mir mehr Luft zum Atmen gibt: Mittlerweile bin ich Betreuerin in einem Beschäftigungs- und Förderbereich für Menschen mit Behinderung. Dort habe ich mehr Gelegenheit, mich mit den Beschäftigten auseinanderzusetzen – und habe gleichzeitig nicht den Eindruck, mich kaputt zu arbeiten.

Paula Maaß, 28, arbeitet mittlerweile in Berlin.
Paula Maaß, 28, arbeitet mittlerweile in Berlin.Bild: privat

Zu vielen Pflegekräften halte ich dennoch Kontakt und sehe, wie sie vor allem jetzt, während der Pandemie, leiden. Die Probleme, die seit Beginn der Corona-Krise offensichtlich werden, sind nicht neu: Schließlich ist schon seit Jahrzehnten bekannt, dass zu wenige Menschen in den Pflegeberuf einsteigen und zu niedrig bezahlt werden. Hinzu kommt die Privatisierung der Krankenhäuser, die wirkt, als würde man Öl ins Feuer gießen.

"Ich bin wütend auf – ja, auf wen eigentlich?"

Und das ist eigentlich das Traurige an der Lage: dass die Probleme schon so lange bestehen und offenbar nicht einmal eine globale Pandemie wirklich dazu beiträgt, dass sich in der Pflege etwas ändert. Dass die Menschen für die Pflegekräfte schon vor einem Jahr geklatscht haben, war ja ganz süß. Am Ende brauchen wir allerdings etwas ganz anderes: nämlich eine Reform des Systems und vor allem mehr Geld, um vorrangig junge Menschen dazu zu motivieren, eine Ausbildung in der Pflege zu machen.

Ich weiß, das sind alles keine neuen Forderungen. Und ich merke, dass ich mütend werde, weil ich diese Worte immer wieder von mir selbst höre: Ich bin müde, weil die Lage mühselig ist und sich einfach nichts ändert. Und ich bin wütend auf – ja, auf wen eigentlich? Viele hetzen nun gegen Gesundheitsminister Jens Spahn. Aber er hat den Pflegenotstand nicht allein verursacht. Dennoch liegt es nun an ihm, etwas zu ändern.

Es bringt alles nichts, wenn die Menschen nicht gesund sind

Ich würde mir wünschen, dass sich zum Thema Pflege eine Kommission zusammenfindet von Experten aus verschiedenen Bereichen – nicht nur von Politikern, sondern auch Menschen, die tatsächlich in der Pflege gearbeitet haben. Es ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, dass so ein reiches Land wie Deutschland es nicht hinbekommt, ein Pflegesystem auf die Beine zu stellen, dass sich nicht selbst konsumiert. Ich kann einerseits verstehen, dass an vielen Ecken und Enden gespart wird, weil die Wirtschaft schließlich auch funktionieren muss. Das bringt allerdings nichts, wenn die Menschen nicht gesund sind.

Ich sage immer, wer abbeißt, muss auch kauen können. Nachdem wir also nun vor allem in der Corona-Pandemie so viel über die schlechten Arbeitsbedingungen von Pflegekräften und Personalmangel gesprochen haben: Jetzt muss auch das entsprechende Geld fließen, um diese Probleme aus der Welt zu schaffen.

Protokoll: Agatha Kremplewski

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