Regional und saisonal, am besten bio und kaum tierische Produkte: Die Ansprüche an unsere Ernährung werden immer höher. Bild: blickwinkel / R. Schoenenberg
Analyse
Wir alle müssen essen. Heute, morgen, übermorgen. Doch unser Ressourcenverbrauch ist zu hoch. Würden alle leben, essen und konsumieren wie wir in Deutschland, bräuchten wir laut einem UNICEF-Bericht fast drei Erden.
Dass das nicht hinkommt, ist offensichtlich.
Wie aber können wir unsere Ernährung auch in Zukunft sichern und an die Bedingungen der Erderhitzung anpassen? Eine Zukunft, die geprägt sein wird von immer mehr Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürrephasen, spätem Frost und ausbleibenden Wintern. Was können, sollen oder müssen wir essen, um unsere Ernährung an eben solche Bedingungen anzupassen?
Melanie Speck ist Ökotrophologin und forscht als Projektleiterin der Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren des Wuppertal Instituts in eben diesem Bereich.
Melanie Speck ist Ökotrophologin und Projektleiterin der Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren.bild: Wuppertal Institut / Sabine Michaelis
Ernährung in Zentraleuropa vorerst gesichert
Die Antwort auf die Frage, wie wir essen sollen, ist für die Wissenschaftlerin eindeutig: gänzlich anders als heute.
"Was sich aber aus meiner Sicht ändern wird, ist, dass wir nicht mehr wie gewohnt auf exotischere beziehungsweise importierte Lebensmittel zurückgreifen können."
Ökotrophologin Melanie Speck
"Ich kann einen Überblick für die nächsten zehn bis 20 Jahre geben, mehr wage ich aktuell nicht", sagt Speck im Gespräch mit watson. Zwar geht die Wissenschaftlerin davon aus, dass wir in Zentraleuropa trotz extremer Wetterlagen unsere Ernährungssicherheit in Form einer ausreichenden Versorgung mit Kalorien und Nährstoffen bewahren können. "Was sich aber aus meiner Sicht ändern wird, ist, dass wir nicht mehr wie gewohnt auf exotischere beziehungsweise importierte Lebensmittel zurückgreifen können."
Wassermelone und andere exotische Früchte werden in Zukunft teurer werden.Bildagentur-online / Blend Images/Vladimir Serov
Die Palette der Produkte, auf die Speck anspielt, ist endlos lang. Von Kokosöl über Kaffee und Schokolade bis hin zu Papayas, Avocados und Limetten. Der allmorgendliche Kaffee wird dann zur ökonomischen Frage: "Das heißt, ich kann es mir leisten, wenn ich es mir denn leisten will, weil es einfach teurer sein wird", erklärt Speck. Auch Missernten oder gar Ernteausfälle könnten immer wieder zu Verknappungen führen.
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Ein Ernährungssystem, das krisenfest, klimafreundlich und gesund ist
Um Verknappungen möglichst vorzubeugen und den Ressourcenverbrauch aller zu verringern, hat die EAT-Lancet Komission, die aus Forschenden weltweit besteht, die sogenannte "Planetary Health Diet" entwickelt. Ihr Ziel: Eine gesunde, aber auch ökologisch und sozial vertretbare Ernährung für die gesamte Weltbevölkerung.
Mehr pflanzliche Produkte, weniger tierische.
Mehr Regionales, weniger Exotisches.
Mehr Obst, Gemüse und Nüsse, weniger Zucker und Fertigessen.
Melanie Speck erklärt gegenüber watson:
"Natürlich geht es bei der Ernährung nicht allein um die Nachhaltigkeit, sondern auch gesundheitliche Aspekte. Eine fleischreduzierte Ernährung ist auch aus gesundheitlicher Perspektive viel besser. In Deutschland essen wir aber viermal so viel Fleisch, wie wir eigentlich sollten. Das ist natürlich nicht gut, weder für die Gesundheit – noch für die Umwelt."
Innovationen bräuchte es da aber bei Weitem nicht mehr, denn die Forschung ist im Bereich der Ernährung eindeutig. "Man könnte sich einfach zurückbesinnen auf das, was in Deutschland angebaut wird", sagt Speck. Meint: Hülsenfrüchte, Getreide, heimische Öle aus Raps- oder Sonnenblumen.
Sie ergänzt: "Ich würde auch eher in die Vergangenheit gucken, als dass ich mich an der Küche der asiatischen oder italienischen Länder orientiere, die zwar sehr gesundheitsbewusst ist, aber für uns Deutsche ja überhaupt nicht erstrebenswert, wenn wir jetzt alles mit Zitronengras essen."
Die thailändische Küche etwa ist zwar sehr gesund, bietet sich aber aufgrund exotischer Zutaten nicht für uns an.bild: pexels / Augustinus Martinus Noppé
Speiseplan der Zukunft: Regional an "Planetary Health Diet" angepasst
Auch werde das Essen von Region zu Region anders aussehen. "Das wird zum Teil eine lokale Frage sein – was können wir hier bei uns in Zentraleuropa gut anbauen?" Der Blick durch die regionale Brille werde zu einer Verschiebung des Angebots führen. "Es wird Lebensmittel geben, die nicht mehr so verfügbar sein werden oder sich zumindest stark verteuern werden", wirft Speck ein.
Dazu komme noch die Frage, wie die Ernten insgesamt ausfallen würden. Speck merkt an:
"Es wird wahrscheinlich in einigen Jahren sehr starke Ernten von einzelnen Lebensmitteln geben, weil die mit den herrschenden klimatischen Bedingungen gut gewachsen sind, und dann wiederum auch einige Ernteausfälle."
Wie schaffen wir den Übergang ins neue System?
Doch die eigene Ernährung ist ein konträres Thema: Jeder hat eigene Präferenzen, die auch durch das Umfeld geprägt werden. Der eine isst lieber bio und weniger Fleisch, die nächste gern Fast Food und Hausmannskost. "Aber das kollidiert ja immer mit der Frage, welche Ernährungsumgebung und welches Angebot ich habe", erklärt Speck. "Und wenn das Angebot schon nachhaltiger ist, dann ist es an vielen Stellen einfach eine Entscheidungsfrage."
Ist das Grundangebot nachhaltiger, wird "Fleisch oder vegan" zur Entscheidungsfrage.Bild: iStockphoto / jacoblund
Veganisieren und Substituieren würden der Forschung zufolge helfen. Laut Speck habe die eigene Ernährung aber auch viel mit Gewohnheiten zu tun. Sie mahnt:
"Man sollte aber definitiv nicht in die Verbots- und Verzichtsreduktion reinkommen, wie sie häufig kommuniziert wird. Das hat schon in der Gesundheitskommunikation nicht funktioniert. Sondern man muss einfach leckere, neue Alternativen schaffen, die Fleisch gar nicht mehr notwendig machen."
Aber auch politisch muss laut Speck eine Menge passieren: Subventions-Strukturen müssen sich ändern, der Bio-Landbau weiter ausgebaut werden, die Mehrwertsteuer-Reduktion für pflanzliche Produkte ausgeweitet und Tierbestände abgebaut werden. "Gerade in Niedersachsen sieht man, dass es große Probleme gibt aufgrund der Viehzucht, hier ist ja die Nitratbelastung der Böden ein großes Problem für die Grundwasserversorgung", sagt Speck.
"Wenn ich in Neukölln bin, fragt auch keiner mehr nach Schnitzel."
Ökotrophologin Melanie Speck
Durch die Massentierhaltung ist die Nitratbelastung des Grundwassers insbesondere in Niedersachsen hoch. bild: watson / josephine andreoli
Lassen sich diese Prozesse beschleunigen?
"Teils, teils", sagt Speck. Kurzfristig müsse der Außer-Haus-Verzehr modernisiert werden. "Warum führt man nicht Veggie-Mensen und Kantinen in Schulen, Kitas, Universitäten ein?" Außerdem bräuchte es eine Zuckersteuer und Subventionen für klimaintensive Produkte müssten gestrichen werden. Expertin Speck ergänzt:
"Als Verbraucher:innen können wir natürlich von heute auf morgen unsere Ernährung umstellen, aber das klappt eben nicht so einfach aufgrund der Ernährungsumgebung. Das wäre aber theoretisch ein deutlicher Hebel."
Die freundlichere Alternative: "Das Angebot umstellen – leckere, neue Menüs anbieten, das Fleisch nicht komplett weglassen, aber viel weniger. Und dann nicht weiter drüber sprechen. Wenn ich in Neukölln [Berlin, Anm. d. Red.] bin, fragt auch keiner mehr nach Schnitzel", betont Speck.
Unser Umfeld hat Einfluss auf unsere Ernährungsgewohnheiten.bild: pexels / cottonbro studio
Einfache Tipps der Expertin, wie man möglichst klimafreundlich essen kann
"Von der Hebelwirkung her dürfte man kein Fleisch- beziehungsweise Fleischerzeugnisse mehr essen", erläutert Expertin Speck. Sie ergänzt:
- Keine Lebensmittelabfälle verursachen
- weniger Milchprodukte konsumieren, dafür mehr pflanzliche Alternativen essen
- möglichst bio und regional einkaufen, "also lieber auf Exotisches verzichten"
- auf die Verpackung achten, beziehungsweise diese möglichst vermeiden
- saisonal essen, "hilft natürlich auch, ist aber kein Hebel, weil das vorrangig Gemüse und Obst betrifft und diese Lebensmittelgruppen bereits eine geringe Umweltwirkung mit sich bringen"
- "Und das allerwichtigste: Keine Einkaufsfahrten mit dem Auto machen, immer die Wege verbinden", betont Speck.
Die Spritzgurke ist ein gutes Beispiel für Kuriositäten, die die Natur manchmal bereit hält. Anders als ihr Name zunächst vermuten lässt, ist die Pflanze hochgradig giftig und hat mit einer normalen Salatgurke nichts zu tun. Ihren Namen hat die Spritzgurke wegen ihrer optischen Ähnlichkeit zu Gurken – und aufgrund ihrer ungewöhnlichen Art und Weise, sich fortzupflanzen.