Aufgrund des Ukraine-Kriegs und des russischen Energielieferstopps haben einige Energiekonzerne ihre Gewinne deutlich steigern können. So hat der Krieg die Nachfrage bei Saudi Aramco, dem größten ölproduzierenden Unternehmen der Welt, nochmal gesteigert – sodass der Konzern mit einem Wert von 2,3 Billionen Euro sogar Apple als wertvollstes Unternehmen der Welt überholte. Auch die EnBW Energie Baden-Württemberg AG hat trotz des Ukraine-Kriegs ein Gewinnplus im ersten Quartal verzeichnet.
Gleichzeitig steuert Deutschland momentan im Eiltempo auf eine Energiekrise zu. Um einen Komplettausfall der Energiesicherheit hierzulande zu verhindern, sieht sich die Regierung momentan im Zugzwang, möglichst viele nationale Energiequellen anzuzapfen: Dafür erwägen FDP, CDU aber auch die Grünen inzwischen, auch auf fossile Vorkommen in Naturschutzgebieten zurückzugreifen.
Umweltschutzorganisationen sind über die aktuellen Überlegungen in der deutschen Politik entsetzt. "Seit drei Monaten erleben wir jetzt in der deutschen Energiepolitik einen Roadback zu fossilen Energien, zum Beispiel in Brunsbüttel, hier hatte sich der größte Investor eigentlich im Januar zurückgezogen. Jetzt sollen hier nun doch auf die Schnelle LNG-Terminals gebaut werden."
Wie Ole Eggers vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Schleswig-Holstein im Gespräch mit watson zusammenfasst: "Der Klimaschutz, der uns politisch die letzten 3 Jahre begleitet hat, wird gerade einfach über Bord gekippt." Denn auch andere geschützte Gebieten seien in Gefahr.
Zum Hintergrund: Vor allem Ölvorkommen im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer sind gerade wieder in den Fokus der Energiepolitik gerückt. In diesem, ausdrücklich für Naturschutz ausgewiesenen, Gebiet will der größte deutsche Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea schon seit langem seine Ölförderung auf der Bohrinsel "Mittelplate" erweitern – und bekommt nun unerwartete Rückendeckung aus der Politik.
"Gerade liegt wieder ein riesiges finanzielles Interesse beim Weiterbetrieb der fossilen Energie in Deutschland. Das bildet auch die Basis von 'freundlichen' Angeboten von Energieunternehmen wie Wintershall DEA, die Ölproduktion in Mittelplate und auch in der niedersächsischen Nordsee zu erweitern – sie wollen natürlich auch ein Stück vom Kuchen haben", ordnet BUND-Sprecher Eggers für watson ein.
Neben den neuen Ölbohrungen von Wintershall Dea im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, drohen auch unter dem Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer neue Gasbohrungen. "Dort ist das niederländische Unternehmen One Dyas aktiv, das vor Borkum Gas fördern möchte. Hier wird von der niederländischen Seite aus gebohrt, die Plattform dazu befindet sich in den Niederlanden", erklärt Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe (DUH).
Zerger sagt:
Auch Einschätzungen des Umweltministeriums Schleswig-Holstein haben ergeben, dass Bohrungen auf dem Gebiet des Naturparks gar nicht möglich wären.
Aktuell seien diese Vorhaben zudem noch längst nicht rechtlich geklärt: Naturschutzgebiete in Deutschland werden normalerweise mit nationalem Recht geschützt, Nationalparks seien dann "nochmal eine Stufe drüber" und auch mit internationalen Gesetzen abgesichert.
"Das würde bedeuten, dass mit den aktuellen Gesetzen die Ausweitung der Förderung im Wattenmeer nicht möglich ist und die Politik in vorhandenes Nationalpark-Recht eingreift, um wieder klimaschädliche Produktion möglich zu machen", betont Eggers vom BUND. Dafür müsste sie Bauplanungen für Bohrstationen beschleunigen und auch das Wassergesetz wieder umbauen.
"Bei einem Eingriff in einen Nationalpark werden wir besonders berücksichtigen müssen, welche Rechtsnormen, sowohl auf Landes-, Bundes und EU-Ebene, hier angegriffen werden. Das sind ja Rechte, die die Umweltverbände über viele Jahrzehnte erkämpft haben, und die im Europarecht verankert sind. Diese werden jetzt aber von allen Parteien in Deutschland mit Füßen getreten", sagt Eggers.
Juristisch könnte die Politik aber vielleicht doch noch ein Schlupfloch finden, befürchtet Umweltexperte Zerger von der DUH: "Ob eine Förderung von Öl- und Gas unter Naturschutzgebieten möglich ist, lassen wir gerade noch von Anwälten prüfen. Das Bundesberggesetz als Rechtsgrundlage für die Förderung ist da eine ziemliche Katastrophe."
Aber ganz unabhängig von der gerichtlichen Einordnung seien neue Öl- und Gasbohrungen ganz klar das Gegenteil von Klimaschutz, so das Statement des DUH: