Hausgrillen, Larven des Getreideschimmelkäfers oder Buffalowürmer: Ab Ende Januar können bis zu zehn Prozent an Insektenpulver in Kekse, Cracker, Pizza, Porridge und vieles mehr beigemengt werden. Wie genau die Insektenbestandteile in den Nahrungsmitteln gekennzeichnet werden müssen, hat die EU noch nicht festgelegt – derzeit gelten noch Übergangsregelungen.
Heißt: Es muss nicht ausdrücklich auf der Verpackung stehen, dass Insektenpulver enthalten ist. Lediglich die Insektenart muss in der Zutatenliste aufgeführt werden.
Aber wie sinnvoll ist es, Insekten, die als vielversprechende Innovation im Lebensmittelsektor gelten, in den Speiseplan zu integrieren? Und wie nachhaltig ist das, wenn fortan Insektenpulver in Sandwiches, Pizza und Backmischungen enthalten ist? Watson hat bei Expert:innen nachgehakt.
"Wenn wir mehr Insekten und weniger andere tierische Produkte wie Schweinefleisch, Hühnerfleisch oder vor allem Rindfleisch essen, brauchen wir viel weniger Flächen für den Anbau der Nahrung dieser Tiere", sagt Jürgen Gross, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie (DGaaE) gegenüber watson. Dadurch könnten mehr Wildflächen erhalten werden, was sich positiv auf die Biodiversität auswirkt. Er ergänzt:
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat Zahlen veröffentlicht, die das bekräftigen, wie Gross erläutert: "Um ein Kilo Rindfleisch zu produzieren, muss ich die 25-fache Menge an pflanzlichem Futter verfüttern. Für Schweinefleisch die neunfache Menge, für Hühnerfleisch die vierfache Menge und bei Insekten nur die zweifache Menge."
Dazu komme noch der bei der Viehzucht exorbitante Wasserverbrauch, der bei der Insektenaufzucht weitaus geringer ausfalle. "Das wird ja auch ein immer wichtigerer Punkt."
Gegen eine vegane Ernährung würde dennoch nichts sprechen. Insbesondere dann nicht, wenn die essenziellen Fettsäuren zum Beispiel durch Hülsenfrüchte gedeckt würden. "Tatsächlich sind Insekten aber eine sehr gute Nahrungsquelle, weil sie viel Omega-3 und Omega-6 enthalten", betont der Experte.
Damit sich Insekten als Nahrung für Menschen anbieten, müssen dem Entomologen zufolge aber eine ganze Reihe an Bedingungen erfüllt sein. So müssten sie etwa die richtige Zusammensetzung an Vitaminen, Mineralstoffen und Fettsäuren haben.
"Und wichtig ist natürlich auch, dass man sie gut züchten kann. Es gibt zum Beispiel Arten, die man wunderbar mit Nahrungsabfällen füttern kann, was natürlich doppelt gut ist, wenn sie nicht im Abfall landen, sondern als Tierfutter herhalten können."
Nicht ohne Grund würden in vielen Kulturen Insekten gegessen. Rund 4000 verschiedene Arten stehen Gross zufolge weltweit auf dem Speiseplan. "Ganz generell bin ich ein sehr großer Freund der Insektenzucht", betont er und ergänzt:
Dass es in Deutschland noch immer große Berührungsangst mit Insekten als Nahrungsquelle gebe, habe auch damit zu tun, wie man an das Thema herangeführt werde. "Das Essen von Insekten ist überhaupt nicht eklig. Ich koche auch zu Hause mit Insekten, meine zehnjährigen Zwillinge essen Insekten sehr gern – die haben überhaupt keine Berührungsangst."
Gross glaubt – und hofft – dass sich die Berührungsangst der Menschen gegenüber Insekten als Nahrungsmittel mit der Zeit legt. "Es gibt ja mittlerweile auch Insekten in Form von Proteinpulver, damit kann man wunderbar Kuchen und Brot backen. Das fällt dann natürlich auch leichter, als wenn man ganze Mehlwürmer isst", sagt der Experte.
Gezüchtet werden die von der EU zugelassenen Insekten in Zuchtanlagen, die riesigen flachen Schubladen mit Luftlöchern gleichen. Werden die Insekten in Pulverform als Lebensmittel vertrieben, benötigen die Unternehmen eine entsprechende Zulassung. Darin sind auch Bedingungen für die Zucht sowie die Weiterverarbeitung der Insekten festgelegt.
Insekten sind Lebewesen, wodurch sich bei ihrer Zulassung als Nahrungsmittel sogleich Fragen zur artgerechten Haltung, geeignetem Futter und ihrer Tötung stellen. Haltungsvorschriften darüber, wie viel Platz welchen Insekten zusteht, gibt es in Deutschland bislang noch nicht. Auch zum Einsatz von Arzneimitteln wie Antibiotika oder Fungiziden sowie einer möglichst schonenden Tötung sind noch Fragen offen, wie die Verbraucherzentrale schreibt.
In der EU-Verordnung wird in Punkt der Tötung aktuell von "Gefrieren, Waschen, Hitzebehandlung, Trocknung, Ölextraktion (mechanische Extrusion) und Mahlen" gesprochen.
"Bioland hat Ende 2022 eine Insektenlobby gegründet", erklärt Claudia Lotz, Sprecherin vom Bundesverband Tierschutz auf Anfrage von watson. Sie ergänzt:
Der Bundesverband Tierschutz werde die Entwicklungen daher im Auge behalten. "Wird die Zucht von essbaren Insekten vorangetrieben, müssen klare gesetzliche Vorgaben her."
Zwar wisse man über die meisten Insektenarten sehr wenig, als dass klar gesagt werden könne, ob sie Schmerzen, Unwohlsein oder Stress empfinden könnten. Aber: "Wir wiederholen gerade – so unsere Befürchtung – alle Fehler, die wir in der Massentierhaltung gemacht haben", sagt Lotz. Wieder würden Tiere eingepfercht – "und wir beruhigen uns mit dem Hinweis, dass sie keine Ansprüche an ihre Haltung, an das Futter stellen, kaum Wasser brauchen und von ihrem qualvollen Tod nichts spüren. Doch stimmt das?"
Laut Lotz gebe es erste Erkenntnisse über kognitive Fähigkeiten von Insekten. Dem Bundesverband Tierschutz genügt das, um sich gegen die Zulassung von Insekten als Nahrungsmittel auszusprechen. Sie ergänzt:
Von Rindern, Schweinen und Hühnern auf Insekten umzusteigen, sei keine Lösung um der Erderwärmung entgegenzuwirken.