Nachhaltigkeit
Analyse

Beschleunigt der Krieg in der Ukraine die Energiewende in Deutschland?

Viele Windenergieanlagen stehen in einem Windenergiepark.
Gibt der Krieg in der Ukraine den entscheidenden Stoß, um die Energiewende zu beschleunigen?Bild: dpa-Zentralbild / Patrick Pleul
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"Die Energiewende ist nicht nur aus Klimasicht unumgänglich, sie ist auch eine sicherheitspolitische Notwendigkeit"

28.02.2022, 16:11
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Mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine wird auch die Diskussion um die Abhängigkeit Deutschlands und der EU zu Russland und anderen autokratisch regierten Staaten wieder laut. Der Grund: Die EU deckt rund 90 Prozent ihres Gasbedarfs mit Importen, 40 Prozent davon stammen aus Russland. In Deutschland sind es laut dem Datenportal Statista gar 57 Prozent. Darauf zu verzichten, kann sich die EU kaum leisten – sie finanziert so indirekt den Krieg Russlands in der Ukraine mit.

Dass man aus dieser Abhängigkeit raus müsse, fordern Experten seit Langem – bislang ohne Erfolg. Nach dem kurzfristig einberufenen EU-Krisengipfel zur Beschließung neuer Sanktionen gegen Russland in der Nacht von Donnerstag auf Freitag meldete sich nun aber auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen kritisch zu Wort: Die EU müsse ihre Abhängigkeit von russischen Energielieferungen schnellstens beenden und auf erneuerbare Energien umschalten.

Gibt der Krieg den entscheidenden Anstoß für die dringend benötigte Energiewende?

"Seit sehr vielen Jahren überweisen wir für den Import von Erdöl und Erdgas zweistellige Milliardenbeträge an Länder wie Russland und finanzieren damit auch militärische Konflikte", kritisiert Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, gegenüber watson. "Genauso lange wird bereits dringend empfohlen, dass wir uns von fossilen Energieträgern unabhängig machen und auf heimische erneuerbare Energien setzen sollen. Es ist sehr zu hoffen", so Quaschning, "dass wir nun endlich die Fehler der Energiepolitik der letzten Jahrzehnte erkennen und diese durch einen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien korrigieren." Die Bereitschaft der Bevölkerung für eine schnellere Energiewende sei deutlich gestiegen.

"Die Energiewende war nie nur ein Klimaprojekt, um so schnell wie möglich mit den Emissionen runterzukommen, sondern auch ein Sicherheitsprojekt", erklärt Peter Jelinek, Pressesprecher des klimapolitischen Sprechers der Grünen im Europa-Parlament, Michael Bloss.

"Das bedeutet, je schneller wir bei der Energiewende sind, umso eher sind wir ein unabhängig und souveränes Europa. Wir müssen die Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren nach oben schrauben."
Peter Jelinekpressesprecher von Europapolitiker michael bloss

Mit Putins Krieg gegen die Ukraine zeige sich umso dramatischer, wie abhängig Europa von den fossilen Energien aus Russland ist. Diese Abhängigkeit müsse schnellstmöglich heruntergefahren werden: "Das bedeutet, je schneller wir bei der Energiewende sind, umso eher sind wir ein unabhängig und souveränes Europa. Wir müssen die Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren nach oben schrauben."

Mit der Energiewende würden die "Geldhähne für Putins Kriegskassen" geschlossen

Jede eingesparte Tonne CO2 schützt das Klima – und spart damit Kosten, die durch Dürren, Rekordtemperaturen oder Hochwasser entstehen. Mit der Energiewende, so Jelinek, würde man die Energieversorgung in die Hände der Bürgerinnen und Bürger legen. "Jedes Haus wird durch Solarkraft zum Stromproduzenten, Windparks schaffen vor Ort Wertschöpfung für unsere Kommunen und die Erneuerbaren sind heute schon ein riesiger Jobmotor für unsere Wirtschaft." Das bedeutet: Mit der Energiewende würde das Geld nicht mehr an autokratisch regierte Staaten wie Russland gehen, sondern an die Bürger vor Ort, womit auch die "Geldhähne für Putins Kriegskassen" geschlossen würden, folgert Quaschning für watson.

"Alle Sanktionen, die möglich sind, sollten ergriffen werden."
Lisa Badum (Grüne)obfrau im ausschuss für klimaschutz und energie

Auch die Bundestagsabgeordnete Lisa Badum (Grüne), Obfrau im Ausschuss für Klimaschutz und Energie, erklärt gegenüber watson, wie wichtig es jetzt sei, dass Deutschland und die EU Russland gegenüber deutlich machten, dass das Völkerrecht gelte und Russland einen hohen Preis für den Krieg zu zahlen habe: "Alle Sanktionen, die möglich sind, sollten ergriffen werden." Offensichtlich hätten Teile der Politik unterschätzt, wie weit Putin bereit sei zu gehen.

Sie ergänzt:

"Diese Krise zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, endlich unabhängig zu werden von dreckigem Gas. Es sollte auch den Letzten jetzt erreicht haben, dass wir keine Zeit mehr haben, jahrelang über die Aufstellung von Windrädern in Bayern zu diskutieren. Es geht hier um unsere Energiesicherheit."

Neubewertung von Nord Stream 2 ist laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erforderlich

Bei den Grünen jedenfalls ist man sich einig: "Nord Stream 2 war aus europapolitischer wie aus klimapolitischer Sicht schon immer ein Fehler", wie auch Julia Verlinden, stellvertretende Vorsitzende der Grünen, gegenüber watson erklärt.

Im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz kommt man zu einem ähnlichen Schluss – angesichts der derzeitigen Lage sei nicht auszuschließen, dass dies Auswirkungen auf die Zertifizierung der Pipeline habe, schreibt eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage von watson. Wann die Neubewertung über die Zulassung von Nord Stream 2 abgeschlossen sein wird, ließe sich allerdings noch nicht sagen.

Klimagerechtigkeit und Frieden gehen Hand in Hand

In der Klimagerechtigkeitsbewegung fällt die Antwort auf eine Neubewertung der Gaspipeline klar und deutlich aus. Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer erklärt gegenüber watson: "Wir lernen gerade, dass Gesellschaften und Demokratien nicht vollumfänglich frei sein können, solange ihre Energieversorgung von Autokraten abhängt." Die Antwort auf Putins Krieg in der Ukraine müsse demzufolge "der radikale Ausstieg aus Kohle und Gas und der radikale Einstieg in die erneuerbaren Energieträger sein". Frieden im 21. Jahrhundert heißt, Klimagerechtigkeit einzufordern und die fossilen Energieträger im Boden zu lassen, so Neubauer.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer hält ein Schild "Stop the war!" vor einer Demonstration unter dem Motto "Stoppt den Krieg! Frieden für die Ukraine und ganz Europa" gegen den russisc ...
Klimagerechtigkeitsaktivistin Luisa Neubauer demonstriert gegen Putins Krieg in der Ukraine.Bild: dpa / Jörg Carstensen

Nichts destotrotz stehe die Diskussion um eine Beschleunigung der Energiewende angesichts der Dramatik der Lage derzeit nicht an erster Stelle, wie Carla Reemtsma, ebenfalls Fridays for Future-Aktivistin, gegenüber watson sagt. "Autarker zu werden von fossilen Energieträgern aus anderen Ländern, ist aber auf jeden Fall ein wichtiger Punkt – sowohl klimapolitisch, weil fossile Energien einfach nicht tragbar sind, als auch geo- und außenpolitisch, weil es immer das Risiko einer Abhängigkeit birgt."

Krieg in der Ukraine bringt kurzfristig eher Nachteile für multilateralen Klimaschutz

Neben den Stimmen nach einer schnellen Energiewende werden aber auch diejenigen lauter, die eine Verlängerung der Laufzeit von Kohlekraftwerken fordern. Der Grund: Schon seit den Verwerfungen rund um die Corona-Pandemie klettern die Strompreise in Deutschland in die Höhe. Mit dem Krieg in der Ukraine und den damit verbundenen Sanktionen für Russland könnte Putin auch den Gashahn für Deutschland zudrehen – und die Strompreise damit weiter in die Höhe jagen. Dass es zu einem solchen Szenario und damit einer Verzögerung der Energiewende kommen könnte hat Stefan Kroll, Senior Researcher am Leibniz Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), bis zur Sondersitzung des Bundestages am Sonntag für wahrscheinlicher gehalten. Den Reden der Abgeordneten zufolge, will sich nun aber auch die Politik aus der Abhängigkeit Russlands befreien. Ob es aber tatsächlich zu einer Beschleunigung der Energiewende kommt, bleibt abzuwarten.

"Diese Entflechtung ist aber auch mit Risiken verbunden, was die Umsetzung multilateraler Klima- und Umweltschutzziele betrifft."
Stefan Krollsenior researcher am hsfk

"Krisen sind Situationen, in denen die bekannten Handlungsroutinen nicht greifen", erklärt Kroll gegenüber watson. "Das macht sie so herausfordernd für politische Entscheidungsträger:innen." Da es für ihre Abwendung aber immerzu innovative Lösungen brauche, seien "Krisen immer auch Chancen, aus denen Neues entstehen kann".

Würde Deutschland seine Abhängigkeit von russischen Ressourcen verringern, könne ein Impuls zu solchen Innovationen – und damit ein wesentlicher Beitrag zur Beschleunigung der Energiewende – entstehen. Mit dem Krieg und dem politischen Bewusstsein der deutschen Abhängigkeit russischer Ressourcen werde nun vermutlich eine "Phase der Entflechtung" beginnen, allerdings nicht aus ökologischen , sondern aus strategischen Motiven, wie Kroll relativiert. "Diese Entflechtung ist aber auch mit Risiken verbunden, was die Umsetzung multilateraler Klima- und Umweltschutzziele betrifft."

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