In Sachen Klimaschutz fehlt der Bundesregierung eine Strategie – mehr noch, sie sei "orientierungslos", erläuterte erst im März die Wissenschaftsplattform Klimaschutz (WPKS) in ihrer Stellungnahme "Lücken in der deutschen Klimapolitik – Herausforderungen für eine wirksame Langfriststrategie". Gemeinsam mit dem Expertenrat für Klimafragen kontrolliert die Plattform, ob die Klimapolitik der Bundesregierung auf dem richtigen Weg ist. Die Antwort darauf ist eindeutig: Nein, ist sie nicht.
Um genau darauf aufmerksam zu machen und die Regierung dazu zu bringen, nachzuziehen mit Klimaschutzmaßnahmen, legt die Letzte Generation ihren Finger in die Wunde – und blockiert Straßen in ganz Deutschland und derzeit allem voran in Berlin. Doch darum, den Verkehr zu stören, geht es den Aktivist:innen nicht. Sie wollen Klimaschutz, um jeden Preis. Und dafür mit Verkehrsminister Volker Wissing sprechen, wie die Gruppe zu Beginn ihr Großblockaden in Berlin am 20. April erneut auf Twitter deutlich machte.
Wenige Stunden später twitterte Volker Wissing: "Über Klimaschutz reden und ringen: ja. Über Blockaden anderen den eigenen Willen aufzwingen: nein! Darüber werde ich mit der Letzten Generation sprechen."
An diesem Dienstag war es endlich so weit – der Gesprächstermin mit den Aktivist:innen und dem Verkehrsminister stand an.
"Wir gehen auf jeden Fall offen in das Gespräch rein und wir hoffen, dass auch Herr Wissing lösungsorientiert in das Gespräch geht", sagte Theodor Schnarr, Mitglied der Letzten Generation vorab gegenüber watson.
Dabei hatte der Verkehrsminister bereits am Dienstagmorgen im Deutschlandfunk gesagt: "Mich überzeugen die Argumente der Letzten Generation nicht." Zudem habe er "null Toleranz gegenüber Straftätern".
Vielmehr wundere es ihn, dass die Gruppe "so wenig sinnvolle Vorschläge macht für Klimaschutz und gleichzeitig so radikal vorgeht und mit Straftaten die Gesellschaft blockiert". Und: Die Regierung tue mehr für den Klimaschutz als von der Gruppe gefordert.
Über diese Aussage kann Schnarr nur den Kopf schütteln. Gegenüber watson erklärte er:
Stattdessen weist Schnarr darauf hin, was derzeit überall auf der Welt aufgrund der Klimakrise passiere – dass zum Beispiel 60 bis 80 Prozent der Ernte in Spanien aufgrund der Hitze und Dürre ausfallen könnten. "Im Zuge dessen finde ich das sehr bedenklich, dass ein Minister solche Aussagen von sich gibt und meint, die Regierung mache doch genug." Vielmehr beweise die Aussage, dass die Regierung die Hilfe von der Bevölkerung brauche.
Die Letzte Generation fordert unter anderem ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket für den Nahverkehr sowie ein Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde auf deutschen Autobahnen.
Es mache aber "keinen Sinn", den Nahverkehr dauerhaft für neun Euro anzubieten und stattdessen auf Investitionen zu verzichten, entgegnete Wissing auf diese Forderung. Es seien auch Haushaltsmittel nötig, um die "Sanierung der Bahn und den Ausbau des ÖPNV" voranzutreiben. Zum Tempolimit erklärte er, das sei eine "Maßnahme, die wenig Klimaschutz bringt" und für die es außerdem keine parlamentarische Mehrheit gebe. Damit müsse die Letzte Generation leben.
Die Regierung habe stattdessen Maßnahmen ergriffen, "die weit über das hinausgehen, die aber auch eine parlamentarische Mehrheit haben und die die Gesellschaft mitnehmen" – zum Beispiel das 49-Euro-Ticket.
Trotz der Differenzen zwischen Verkehrsminister Volker Wissing und den Aktivist:innen der Letzten Generation scheint das Gespräch besser gelaufen zu sein, als gedacht: Angesetzt war der Termin von 14 bis 15 Uhr, doch auch über eine Stunde später ist von den Gesprächspartner:innen nichts zu hören oder zu sehen. "Ich denke, das ist ein gutes Zeichen", sagt Theodor Schnarr – "ein Zeichen der Wirksamkeit".
Und damit sollte er recht behalten.
Es ist 16.09 Uhr, als die drei Aktivist:innen Lea Bonasera, Marlon Profuß und Nils Röckinghausen aus dem Verkehrsministerium treten. Menschlich gesehen sei es ein "sehr gutes Gespräch" gewesen, "sehr respektvoll", erklärte Lea Bonasera gegenüber der Presse. Schon Mitte Mai würden sich die Aktivist:innen erneut mit Volker Wissing zu einem Gespräch treffen – nach der Verabschiedung eines Klimaschutzsofortprogrammes. "Wir nähern uns Stück für Stück an und konnten ihm die Dringlichkeit der Klimakrise deutlich machen."
Damit hätten sie einen guten Schritt in die richtige Richtung gemacht. Doch das sei längst nicht genug, lediglich ein Anfang.
Auf den Protest werde dieser Fortschritt aber keinen Einfluss haben. Bonasera verglich ihre Aktionen mit denen einer Gewerkschaft – sie würden weitermachen, bis es eine "gute, ehrliche" Klimapolitik gebe.
(Mit Material der AFP)