Am Freitag wäre eigentlich schon das offizielle Ende des Weltklimagipfels in Glasgow gewesen. Doch noch bis Samstagabend haben die Staaten beim Verfassen des Abschlussberichts um mehr Ehrgeiz bei den Klimaschutzplänen und klare Zusagen zu Finanzhilfen gerungen.
Um einen Überblick über die bisherigen Modifikationen an den Klimaschutzzielen zu bekommen, hat watson die größten Niederlagen, aber auch die bedeutendsten Fortschritte der COP26 zusammengefasst.
Auf der COP26 wurden Pläne zu Finanzhilfen für arme Staaten ausgemacht, damit diese sich an die vielerorts fatalen Folgen der Klimakrise anpassen können. So wurden für den Fonds für die Klimaanpassung der am wenigsten entwickelten Länder 413 Millionen Dollar (360,9 Millionen Euro) zugesagt, davon 100 Millionen Euro von Deutschland. Für den internationalen Anpassungsfonds gingen Rekord-Zusagen in Höhe von 356 Million Dollar ein. Im neuen Entwurf für die Abschlusserklärung des Weltklimagipfels wird damit die jahrelange Forderung armer Staaten aufgegriffen, einen Topf mit Finanzhilfen nach Schäden und Verlusten durch die Klimakrise einzurichten. Die Gelder sollen ärmere Länder unterstützen, die bereits jetzt und in Zukunft von Zerstörungen und erzwungenen Umsiedlungen nach Dürren, Sturmfluten oder Wirbelstürmen betroffen sind, die infolge der Erderhitzung zunehmen.
Jedoch wurden die Verhandlungen davon belastet, dass die Industriestaaten ihre bisherigen Zusage nicht eingehalten haben, den Entwicklungsländern ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel bereitzustellen. In der Neuauflage des Abschlussberichts wollten die Entwicklungsländer deshalb erreichen, dass die Industrieländer die bisherigen Fehlbeträge bis 2024 definitiv ausgleichen. Das wurde jetzt von den Industrieländern verweigert. Damit konnten die Entwicklungsländer nicht festschreiben, dass die Industriestaaten Geld für die vergangenen Jahre nachzahlen. Für die Festlegung, welche höhere Summe die Industriestaaten ab 2026 bereitstellen müssen, wurde in Glasgow ein mehrjähriger Prozess in Gang gesetzt.
Darüber hinaus betonten die Entwicklungsländer, dass der Finanzbedarf, falls denn die riesigen Summen in Zukunft gezahlt werden, angesichts des fortschreitenden Klimawandels auf lange Sicht auch nicht ausreichen wird.
Im neuen Entwurf für die Abschlusserklärung ist die Forderung nach einem Ausstieg aus der Kohle deutlich abgeschwächt worden. In der früheren Fassung hieß es noch, dass die Staaten den "Ausstieg aus der Kohle und aus Subventionen in fossile Energieträger beschleunigen" sollten. Der neueste Entwurf zur Abschlusserklärung rückt jedoch vom Ziel eines totalen Kohleausstiegs ab. Statt des Appells an die Staaten, "ihre Bemühungen in Richtung eines Ausstiegs" aus der Kohlenutzung zu beschleunigen, wurde der Aufruf beschlossen, dass die Staaten die Nutzung von Kohlekraftwerken ohne CO2-Abscheidung "schrittweise verringern" sollten.
Auch bei den Subventionen tat sich wenig: Lediglich "ineffiziente" Subventionen für fossile Energieträger sollen beendet werden, was die weitere Verbrennung von Kohle und Zuschüsse für fossile Energieträger bedeutet. Mit dieser Änderung werden nun lediglich Kohlekraftwerken erfasst, deren ausgestoßenes Kohlendioxid nicht gebunden wird.
Allerdings gab es auch diverse individuelle Zusagen für den Kohleausstieg. Vietnam, der weltweit drittgrößte Kohle-Nutzer, will keine neuen Kohlekraftwerke mehr bauen und für Südafrika als sechstgrößten Kohle-Verstromer wurde mit Beteiligung von Deutschland ein Milliardenpaket für den Kohleausstieg geschnürt.
Auf der COP26 konnte sich ein Bündnis aus rund 30 Staaten sowie Städten, Regionen, Autoherstellern und anderen Unternehmen bilden, die den vollständigen Umstieg auf emissionsfreie Autos bis spätestens 2040 versprechen. Allerdings traten diesem Bündnis weder Deutschland noch andere große Autobauer-Standorte bei, wie Frankreich und Japan. Auch die größten Auto-Absatzmärkte USA und China beteiligen sich nicht an der britischen Initiative. Deutschland begründete sein Veto damit, dass die Erklärung den Einsatz synthetischer Kraftstoffe in Verbrennungsmotoren unmöglich mache.
Trotzdem tragen elf Automobilhersteller laut einem Dokument der britischen Regierung die Initiative mit, darunter als einziger deutscher Hersteller Mercedes-Benz. Große deutsche Player wie VW oder BMW fehlen hingegen auf der Liste der Unterstützer. Nach Angaben der dpa sprach sich der Verband der Automobilindustrie (VDA) erneut für Technologieoffenheit aus und betonte, dass es für einen emissionsfreien Autoverkehr unter anderem ausreichend grünen Strom und grünen Wasserstoff brauche.
Auf dem Weltklimagipfel konnten jedoch auch einige positive Entwicklungen angestoßen werden. So gründete sich ein Bündnis für den Ausstieg aus der Förderung und Nutzung von Erdöl und Erdgas, die Beyond Oil & Gas Alliance. Die BOGA ist eine internationale Koalition von Regierungen und Interessenvertretern, die zusammenarbeiten, um den kontrollierten Ausstieg aus der Öl- und Gasförderung zu erleichtern. Die Koalition wird dabei von den Regierungen von Dänemark und Costa Rica geleitet, die eine internationale Praxisgemeinschaft zum Ausstieg aus der Öl- und Gasförderung schaffen möchten. Viele Umweltschützer begrüßten die Initiative, kritisierten aber, dass ihr vorerst nur Regierungen von rund einem Dutzend Staaten Regionen angehören, darunter Frankreich, Irland und Grönland. Diese Staaten wollen zudem nicht von heute auf morgen auf fossile Energieträger verzichten, sondern Öl und Gas übergangsweise weiter nutzen.
China und die USA haben bei der UN-Klimakonferenz ein überraschendes Klimaschutz-Bündnis geschlossen. Die beiden weltweit größten Klimasünder sprechen sich darin für zusätzliche Anstrengungen bei unter anderem der Reduzierung des Methanausstoßes und beim Kohleausstieg aus und erklären, dass sie eine ständige Kommission zur Zusammenarbeit auf diesem Sektor einrichten werden. "Beide Seiten erkennen an, dass es eine Kluft zwischen den gegenwärtigen Bemühungen und den Zielen des Pariser Klimaabkommens gibt", hatte der chinesische Klimagesandte Xie Zhenhua am Mittwochabend in Glasgow bekannt gegeben. Deshalb wird in den kommenden zehn Monaten in 30 Online-Treffen von Vertretern beider Länder eine Vereinbarung mit "konkreten Plänen" ausgearbeitet,. Beginn soll der kommende Montag sein, wie Biden-Sprecherin Jen Psaki am Freitag nach Angaben der AFP mitteilte.
China stimmte in der Klimaschutzvereinbarung mit den USA auch einer Verringerung des Methangasausstoßes um 30 Prozent bis 2030 zu, wozu sich in der ersten Konferenzwoche rund hundert Länder verpflichtet hatten. Die so erzielten Treibhausgas-Einsparungen würden, nach Angaben der Umweltorganisation Clean Air Task Force, denen bei der Schließung von mehr als 1000 Kohlekraftwerken entsprechen. Die Erderwärmung könnte so um 0,2 Grad verringert werden. Unklar ist aber, wie und wie oft diese Zielsetzung überprüft wird. Außerdem schlossen sich bedeutende Methan-Emittenten wie Indien, Russland und Australien der Vereinbarung nicht an
Sowohl Zhenhua als auch der US-Klimagesandte John Kerry sicherten zudem zu, dass beide Länder in Glasgow auch auf die Fertigstellung des Regelbuchs zur konkreten Umsetzung des Pariser Klimaabkommen hinarbeiteten.
Vor dem Hintergrund der geopolitischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und China hat dieses Bündnis eine große Bedeutung, weil sich hier die beiden größten Klimasünder der Welt treffen und ihre Zusammenarbeit den größten positiven Effekt im Kampf gegen den Klimawandel haben kann.
Im neuen Entscheidungstext zum Abschluss der COP26 wurde festgehalten, dass die Staaten ihre nationalen Klimaschutzziele öfter als bislang geplant überprüfen müssen. Damit sind die Staaten wie vor allem China und Indien dazu angehalten, ihre dafür noch völlig unzureichenden nationalen Klimaziele bereits bis Ende 2022 auf den Prüfstand zu stellen, also drei Jahre früher als bislang geplant. Mit der häufigeren Überprüfung soll somit das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, in Reichweite gehalten werden. Allerdings wurde in den neuen Entwurf der Abschlusserklärung der Zusatz eingefügt, dass dabei jeweils "die besonderen nationalen Umstände" zu berücksichtigen seien.
Dennoch sehen einige Klimaexperten die erstmalige Akzeptanz der Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius als Fortschritt. „Noch in Paris war es undenkbar, die globale Dekarbonisierung bis 2050 zu beschließen. Das ist nun Konsens“, sagte Hans-Joachim Schellnhuber, Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Die großen Durchbrüche würden allerdings selten auf der COP stattfinden, räumte er ein. "Die geschehen vorher, in bilateralen Verhandlungen und unzähligen gesellschaftlichen Veränderungen", so der Klimaexperte.