Die verheerenden Brände in Südeuropa sind noch nicht überstanden: Nach Italien, Griechenland und der Türkei, brannte es diese Woche heftig in Frankreich, in der Nähe von Saint-Tropez an der beliebten Côte-d'Azur. Klimaforscher gehen davon aus, dass die Brände durch die große Dürre und durch Hitzerekorde begünstigt werden. Doch die konkreten Verursacher sind oft Brandstifter. So wurden laut der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" bereits erste Verdächtige unter dem Vorwurf festgenommen, absichtlich Feuer gelegt zu haben.
Watson hat mit Experten, mit Brandforschern und Mafiaexperten darüber gesprochen, welches illegale Geschäftsmodell sich hinter der Brandstiftung verbirgt.
Der Brandexperte Lindon Pronto vom European Forest Institute (EFI) nennt zunächst die Zahlen. "In der Regel sind bis zu 98 Prozent der Brände im Mittelmeerraum vom Menschen verursacht und etwa 2 Prozent haben natürliche Ursachen wie Blitzschlag", sagt er. Pronto hat über 15 Jahre Erfahrung mit Großbränden in ganz Europa und war selbst Feuerwehrmann in Kalifornien.
Er sagt, bei diesen 98 Prozent Brandstiftung sei die Ursache je nach Land oder Kontext jedoch sehr unterschiedlich. Als Hauptursachen nennt er die Brandrodung in der Landwirtschaft oder unbeabsichtigte Brände durch ganz alltägliche Situationen – wie zum Beispiel ein heißer Autoauspuff, der trockenes Gras darunter entzündet, weggeworfene Zigarettenkippen oder illegale Grillfeuer.
"Bei ungefähr einem Viertel der von Menschen verursachten Brände bleibt die tatsächliche Ursache unbekannt", sagt der Brandexperte vom EFI gegenüber watson. Aber wie findet man heraus, ob ein Feuer absichtlich gelegt wurde?
Frank Hermann ist beruflich Brandursachenermittler. Er sagt im Gespräch mit watson: "Bei Lauffeuern ist ein sehr eigenes Wissen gefragt. Denn Brände haben immer eine physikalische Grundlage, nach der sie sich ausbreiten und das muss man quasi umgekehrt verfolgen", so Hermann. Er nennt konkrete Beispiele für Indizien der Brandstiftung:
Tatsächlich ist die Definition von Brandstiftung etwas kompliziert. "Beispielsweise kann ein Landwirt sein Land abbrennen – ob legal oder nicht –, um das Gras für seine Tiere zu erneuern. Dies kann zwar als Brandstiftung betrachtet werden, aber aus Sicht des Landwirts ist das traditionelle Abbrennen eine Methode, auf die er für seinen Lebensunterhalt Anspruch hat", erklärt der Brandexperte Lindon Pronto gegenüber watson.
Manchmal ist es auch schlicht das mangelnde Wissen um die Gefahren der Brandrodung, das Schuld an einem Feuer ist: "Manche Menschen werden auch überrascht, wie trocken die Vegetation ist – und verlieren schnell die Kontrolle über ein solches Feuer."
Eduardo Zaffuto von der Antimafia-Organisation Addiopizzo sagt, die meisten Feuer in Italien seien Brandstiftung, doch die kriminellen Motive dafür unterschiedlich. "Soweit wir wissen, gibt es keine einzelne, zentrale 'Feuerstrategie'. Es gibt mehrere Menschen oder Gruppen, die ein Interesse an Brandstiftung haben können. Diese Brandstifter sind zwar Kriminelle, doch sie sind nicht zwangsläufig ein Mitglied einer kriminellen Vereinigung", so Zaffuto gegenüber watson.
Brandexperte Lindon Pronto erklärt einige dieser kriminellen Motive der Brandstifter: "In einigen Regionen wird das Feuer sogar als Waffe in der so genannten 'Strategie der verbrannten Erde' eingesetzt." In der Türkei nutzten das beispielsweise Gruppen wie die PKK, die bereits häufiger Brände gelegt hätten. "In Italien ist die sizilianische Mafia für zahlreiche Brände verantwortlich", so Pronto gegenüber watson. Er erzählt, dass 2016 innerhalb von 48 Stunden mehr als 800 Brände gelegt wurden, die über 5500 Hektar versengten, Häuser niederbrannten und Kinder ins Krankenhaus brachten.
Bei dem hohen Prozentsatz der durch Brandstiftung verursachten Feuer im Mittelmeerraum sei es oft schwer zu sagen, was genau das Motiv ist, sagt auch Pronto. "Aber es ist auch denkbar, dass in wirtschaftlich schwer getroffenen Gebieten einige Menschen Brandstiftung als Ausdruck von Wut und Frustration gegenüber ihrer Regierung nutzen, die sie im Stich gelassen hat."
Der Antimafia-Aktivist Eduardo Zaffuto nennt als mögliche Brandstifter Bauunternehmen, die Bauland wollen, Züchter, die mehr Weide wollen oder Feuer-Ranger, die als Tagelöhner im nächsten Jahr mehr arbeiten wollen.
In einigen Fällen hat sogar das organisierte Verbrechen die Finger im Spiel. Vincenzo Linarello, Vorsitzender der Kooperative GOEL, einem Zusammenschluss sozialer Unternehmen im Kampf gegen die Mafia, sagt: "Laut Angaben der Polizei sind 70 Prozent der Feuer in Süditalien Brandstiftung." Er erklärt, dass die "'Ndrangheta", die heute als stärkste Mafia der Welt gilt, stark in Kalabrien und vor allem in der Provinz Reggio Calabria verwurzelt ist.
Der Brand vom August diesen Jahres wurde in verschiedenen Gebieten des Aspromonte-Parks gelegt, der laut Linarello "schönste Wald mit der größten Biodiversität in Südeuropa". Nach Schätzungen wurden circa 120 Quadratkilometer der Waldfläche verbrannt. "Es gibt zwei Hypothesen: Entweder ist die 'Ndrangheta' so schwach geworden, dass sie anderen erlaubt, Wälder ohne ihre Erlaubnis abzubrennen oder – und das ist realistischer – sie oder ihre Komplizen selbst haben die Feuer gelegt", sagt Linarello.
Das Ziel, das die Mafia mit der Brandstiftung verfolgt, ist "Aufforstung: Die Hoffnung drauf, Geld aus dem Recovery Fund in Aufforstung umzuleiten", so Linarello. Mit Recovery Fund wird das von der Europäischen Union finanzierte Wiederaufbauprogramm bezeichnet, mit dem von der Corona-Krise getroffene Staaten unterstützt werden. Aber auch ein Interesse daran, das verbrannte Land selbst zu nutzen, ist laut Linarello ein Motiv. Manchmal sei es auch einfach "ein Zeichen der Stärke der Mafia gegen den Staat."
Die GOEL-Kooperative, die versucht, gegen die kriminellen Machenschaften der Mafia zu kämpfen, hat drei Forderungen an die italienische Regierung gestellt. Zum Einen eine stärkere Überwachung und Kontrolle der Berge mittels Technologie und physischer Präsenz. Schuldige müssten identifiziert werden und öffentlichkeitswirksam als Abschreckung andere Brandstifter verurteilt werden.
Zweitens müssten die lokalen Gemeinden des Parks mit einbezogen und dazu befähigt werden, das natürliche Ökosystem zu beschützen. Linarello fordert von der Regierung dazu ein präventiveres Vorgehen: "Die Regierung darf nicht Geld schicken, wenn die Wälder gebrannt haben, sondern die lokalen Gemeinden belohnen, wenn die Wälder nicht brennen." Es müsse sich für diese Gemeinden finanziell lohnen, den Wald zu respektieren und zu beschützen.
Drittens solle die Regierung helfen, die Wälder für den Tourismus und die lokale Wirtschaft attraktiv zu machen. Das Geschäft mit der Aufforstung müsse außerdem von Non-Profit-Organisationen und sozialen Unternehmen unter strenger Aufsicht der Regierung und der Strafverfolgungsbehörden geleitet werden, um jegliche Infiltration der Mafia zu verhindern: "Wenn jemand hofft, das private oder öffentliche Geschäft mit der Wiederaufforstung zu kontrollieren, muss er kläglich scheitern", so der Leiter der Anti-Mafia Gruppe GOEL.
Davide Ascoli von der Forschungsabteilung der Landwirtschaft, Forst und Ernährung (DISAFA) der Universität Turin hat noch einen ungewöhnlichen Vorschlag, gegen Brandstiftung vorzugehen: sie zu legalisieren. "Wenn Schäfer reguliert, legal und unter Anleitung von Experten Grundstücke abbrennen können, um mehr Weide zugewinnen, werden diese Brände nicht in der Saison mit hoher Waldbrandgefahr gelegt und somit auch nicht so schnell außer Kontrolle geraten", so der Wissenschaftler gegenüber watson.
Die Folgen der Waldbrände sind – egal, aus welchem Grund sie ausbrechen – verheerend. Zaffuto spricht gegenüber watson von enormen Schäden an der Umwelt, der Vegetation, aber auch der Wirtschaft. "Farmen werden zerstört, Touristen könnten entscheiden, dass Italien als Urlaubsland nicht mehr sicher ist. Und weniger Bäume bedeuten auch Erosion, Erdrutsche, Flutwellen und dies gefährdet schlussendlich Menschenleben."