Täglich grüßt das Streik-Chaos. Viele Bahnpassagiere erleben die vergangenen Monate als eine Art Fiebertraum: Kaum hat man den letzten Streik verarbeitet, sich über die nächsten Tage ungestörter – na ja, zumindest streikfreier – Zugfahrten gefreut, kommt bereits die nächste Streik-Ankündigung von GDL-Boss Claus Weselsky daher.
Nun hat der Chef der Lokführergewerkschaft nach den abgebrochenen Verhandlungen mit den Verantwortlichen der Deutschen Bahn mitgeteilt, dass es bald gar unangekündigte Streiks geben wird. Diese sollen zudem wieder länger werden. Weselsky erklärt: "Damit ist die Eisenbahn kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr." Na toll.
Die Äußerungen des GDL-Chefs bereitet Bahnreisenden nun noch größere Albträume, als sie zuvor eh schon hatten. Sie befürchten, dass sie demnächst am Gleis stehen und der Zug einfach nicht abfährt – nicht wegen einer Verspätung, sondern weil spontan gestreikt wird. Für wie lange? Man weiß es nicht. Doch darf die GDL überhaupt unangekündigt streiken? Und dazu ohne Angaben zur Dauer?
Watson hat dazu zwei Rechtsexperten befragt – diese kommen zu unterschiedlichen rechtlichen Einschätzungen.
Zunächst legen die Lokführer:innen im Personenverkehr von Donnerstagfrüh bis Freitag um 13 Uhr die Arbeit nieder. Anschließend soll in "Wellen" gestreikt werden – unangekündigt und länger. Doch das ist rechtlich zumindest fragwürdig.
Was juristische Einschätzungen zu Streiks so schwierig macht: "Das gesamte Streikrecht ist nicht gesetzlich geregelt", wie Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott erklärt. Viele Rechtsfragen seien lediglich aus bislang entschiedenen Fällen abzuleiten. Häufig existiere daher nicht "die richtige Antwort".
So gebe es etwa keine generelle Pflicht, einen Streik vorher anzukündigen. Wirke sich ein Streik auf Dritte aus – beispielsweise auf die Fahrgäste der Deutschen Bahn – "dürfte allerdings eine Ankündigungsfrist einzuhalten sein". Denn die Pendler:innen seien "massiv" beeinflusst und auch das "gesamte Wirtschaftsleben in Deutschland" betroffen.
2019 habe auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass bei Streikentscheidungen die gesamtgesellschaftliche Bedeutung eine Rolle spielen müsse. Dies macht es nach Fuhlrott notwendig, den Streik anzukündigen – und zwar so, dass man in der Lage ist, seine Reise umplanen zu können.
Anwalt Christian Solmecke von der Kanzlei WBS Legal schätzt die Situation etwas anders ein. Streiks und ihre Ankündigungsfristen dürften zwar nicht unverhältnismäßig sein, was aber erst der Fall sei, wenn sie "völlig aus dem Ruder" laufen würden:
Unangekündigte "Wellenstreiks" habe es in begrenztem Maße auch schon gegeben, etwa in der Zeitungsbranche. Eine Grenze der Zulässigkeit sieht Solmecke erst erreicht, wenn Lokführer:innen etwa auf freier Strecke anhalten würden, was von der GDL nicht angekündigt worden sei.
Der Anwalt stellt klar, dass die GDL auch nicht komplett unangekündigte, sondern lediglich kürzer als 48 Stunden zuvor angekündigte Streiks fahren möchte. "Damit soll die Bahn zu einem unzuverlässigen Verkehrsmittel werden, weil nicht mehr rechtzeitig Notfahrpläne eingerichtet werden können."
Genau dieses Ziel ist aus Michael Fuhlrotts Sicht wiederum problematisch. Das Streikziel müsse immer die Verhandlung und der Abschluss eines Tarifvertrages sein:
Es sei unklar, ob das Ziel noch der rechtmäßige Arbeitskampf sei oder die "unrechtmäßige Schädigung des Arbeitgebers". Auch unbefristete Streiks sind laut Fuhlrott fragwürdig, sie seien lediglich die "ultima ratio", die "schärfste Arbeitskampfmaßnahme der Gewerkschaft".
Was könnten also die Konsequenzen für die GDL sein?
Falls ein Streik vor dem Arbeitsgericht als rechtswidrig angesehen würde, könne er von diesem untersagt werden. Die Bahn könnte in dem Fall zudem Schadensersatzsprüche gegenüber der GDL geltend machen.
Laut Christian Solmecke könnten streikende Arbeitnehmer:innen im schlimmsten Fall dann auch mit Abmahnungen und Kündigungen rechnen, falls ihr Streik als nicht rechtmäßig beurteilt werden würde. In der Regel passiere dies jedoch nicht und die Gewerkschaftsmitglieder hätten nichts zu befürchten.