Lange Strände, frischer Fisch und der Nationalpark Wattenmeer, der bis zum Horizont reicht: Die Nordsee ist bei vielen Deutschen als Urlaubsziel "um die Ecke" beliebt. Jährlich fahren rund vier Millionen Deutsche nach Helgoland, Sylt oder Bremerhaven. Allerdings macht die Klimakrise wie auch vor der Ostsee nicht vor der deutschen Nordseeküste halt.
Mit der globalen Erwärmung steigt die durchschnittliche Wassertemperatur auch hier schneller an, als sich das Ökosystem umstellen kann.
Im Herbst und Winter peitscht der Wind die Wellen in beträchtliche Höhen. Der Wasserpegel der Nordsee steigt – ganze 20 Zentimeter in den vergangenen 100 Jahren. Sturmfluten gehören längst zum Alltag der Küstenbewohner:innen.
Aber auch im Sommer, in dem das Meer bislang noch als "zahm" galt, brodelt es unter der Wasseroberfläche – mit unterschiedlichen Krisenherden und einer schlechten Nachricht für alle Fischbrötchen-Fans.
Denn schon ab einer Temperatur von 19 Grad vermehren sich Krankheitserreger wie Vibrionen-Bakterien gebietsweise exponentiell, wie der Weltklimarat IPCC warnt. Diese Bakterien setzen sich auch im Körper von Fischen und Meerestieren fest, wie Insa Meinke, Abteilungsleiterin des Norddeutschen Küsten- und Klimabüros am Helmholtz-Zentrum Hereon in Hamburg, im Interview mit watson erzählt.
Meinke erklärt:
Diese Entwicklung kratzt am Versprechen vieler Lokale, beispielsweise der Imbiss-Kette "Nordsee", die mit Slogans wie "Fisch erleben wie frisch am Meer" werben.
Aber auch die Art der Fische und Meeresfrüchte, die in der Nordsee gefangen werden, verändert sich derzeit. Denn mit der Erwärmung der Meerestemperatur wird es einigen dort beheimateten Fischarten zu heiß, sie ziehen weiter polwärts – Richtung Norden.
Wie beispielsweise der Nordsee-Kabeljau: "Diese Art wurde in den letzten Jahrzehnten immer weiter im Nordosten der Nordsee gefangen", sagt Meinke.
Andere Arten, wie etwa die Scholle und Nordseekrabbe, können den Temperaturanstieg vergleichsweise gut verkraften – und bleiben. Gleichzeitig etablieren sich in der Nordsee auch neue Arten, die ursprünglich in südlicheren Gebieten beheimatet waren, wie zum Beispiel die Rote Meerbarbe, der Kalmar oder Seehecht. Einen Verlust der Artenvielfalt in der Nordsee und dem Nationalpark Wattenmeer gibt es also bislang nicht zu beklagen, meint Meinke.
Im Gegenteil:
Mit den gestiegenen Wassertemperaturen fühlen sich vermehrt auch Quallen im ehemals kalten Randmeer wohl. Ihre Toleranz gegenüber erhöhten Wassertemperaturen, Sauerstoffmangel und Wasser-Versauerung kommt ihnen dabei zugute. "Insgesamt sind Quallen klimafitte Arten. Im Vergleich zu Fischen haben sie damit einen großen Überlebens-Vorteil", ordnet Meinke ein.
Dadurch komme es vor, dass die Fischernetze in einigen Regionen immer häufiger voller Quallen statt Fische sind. Durchsetzungsstarke Arten sind etwa die Rippenqualle oder auch die pazifische Auster, die jetzt neue Mitbewohnerinnen in der Nordsee sind.
Aber nicht bei allen Arten ist in erster Linie der Klimawandel Ursache für die Neuansiedlung der Meeresbewohner, wie Meeresbiologin Meinke erläutert. Durch den globalen Schiffsverkehr und Aquakulturen würden immer häufiger auch Organismen ferner Küsten in die Nordsee gelangen. "Pazifische Austern wurden künstlich durch Aquakulturen in der Nordsee angesiedelt und konnten sich dann ausbreiten", sagt Meinke.
Auch verschiedenste Quallenarten sind zum großen Teil im Ballastwasser von großen Tankerschiffen aus dem Pazifik oder anderen Teilen des Atlantiks eingeschleppt worden. In Kombination mit dem wärmeren Wasser in der Nordsee konnten sich manche Arten so auch in deutschen Buchten etablieren.
Die pazifische Auster ist dabei sogar so dominant, dass inzwischen ganze Riffe in der Nordsee entstanden sind: "Durch sie sind die Miesmuscheln, die früher für die Nordsee typisch waren, regelrecht platt gemacht worden", sagt Meinke. Die Austern hätten eine größere Oberflächenstruktur, die die Miesmuscheln damit platztechnisch verdrängen würden.
Sie ergänzt:
Dieser neue Reichtum an Fisch- und Meeresfrüchten bietet für Fischereien in der Nordsee damit zunächst neue Profitchancen. Sofern es sich denn um nachgefragte Speisefische handelt, wie Meinke einschränkt.
Trotz dieser Entwicklung beharrt die Meeresforscherin auch weiterhin auf eine nachhaltige Fischerei – um nicht nach kurzer Zeit wieder vor leergefischten Meeren zu stehen: "Bislang gibt es keine Quote für eingewanderte Arten in der Nordsee, die neuen Arten könnten also schnell überfischt werden."
Um das zu verhindern, fordert sie vor allem flexiblere Rahmenbedingungen für die Kleinfischerei, sowohl in der Nordsee, als auch international: "Im Hinblick auf den Klimawandel müssten Fischereiquoten über politische Grenzen hinaus für den gesamten Meeresraum neu verhandelt werden."