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Hamsterkäufe und Düngemittel: Weshalb Regionales im Supermarkt teurer wird

Ein Traktor bringt Dünger auf einen Acker bei Zörbig aus, wobei als Folge von Dürre und Trockenheit viel Staub aufgewirbelt wird. Am Mittwoch (30.03.2022) beginnt die Agrarministerkonferenz unter Vors ...
In Düngemittel ist Erdgas enthalten, was auch die Produktion regionaler Lebensmittel momentan verteuert. Bild: dpa-Zentralbild / Sebastian Willnow
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Hamsterkäufe und Düngemittel: Warum auch regionale Lebensmittel gerade teurer werden

11.04.2022, 13:43
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Seit Beginn des Ukrainekriegs ist die weltweite Lebensmittelbranche in Aufruhr, was sich inzwischen auch auf die Preise verschiedenster Produkte im Supermarkt auswirkt. Waren gestern Getreideprodukte noch Spitzenreiter bei Verteuerungen, sind es am nächsten Tag Gurken oder allen voran Speiseöl. Welches Lebensmittel es erwischt, scheint willkürlich, allen gemeinsam ist jedoch: das Preislevel bei Lebensmitteln steigt in Deutschland und auch international an.

Inzwischen schlägt deshalb die Welthungerhilfe Alarm: denn Preissteigerungen auf dem internationalen Lebensmittelmarkt treffen zwar alle Länder gleich, nur entfalten sie ihre Wirkung auf die jeweils reiche oder arme Bevölkerung unterschiedlich stark. Vor allem afrikanische und arabische Staaten, die bisher große Anteile an ukrainischen und russischen Getreidelieferungen bezogen hatten und noch mit den wirtschaftlichen Nachwirkungen der Pandemie und den stärker werdenden Folgen der Klimakrise konfrontiert sind, seien jetzt von Hungersnöten bedroht, wie Simone Pott von der Welthungerhilfe gegenüber watson erklärt:

"Wenn bei uns das Brot 10 Cent teurer wird, dann ist das für uns blöd, aber nicht so gravierend wie in Ländern, in denen kleinste Preissteigerungen natürlich enorm viel ausmachen, wenn man mit knapp 3 Dollar am Tag auskommen muss. Dann sind schon Steigerungen von wenigen Cent massiv."
Simone PottWelthungerhilfe

Wenn die internationalen Preise für Lebensmittel steigen, müssten auch die Rationen für Menschen in Welternährungsprogrammen gekürzt werden, folgert sie zudem. "Dadurch entstehen in den betroffenen Ländern, wie Jemen, Kenia oder Äthiopien oder im Südsudan, natürlich auch wieder Ernährungsunsicherheit und schließlich Hungersnöte."

Expertin warnt: Hamsterkäufe verstärken Preissteigerungen zusätzlich

Droht Deutschland dasselbe Hungerproblem? Nein, stellt die Expertin der Welthungerhilfe fest. Denn Deutschland und die EU seien bei der Lebensmittelversorgung relativ eigenständig, und nicht von den Lebensmittellieferungen aus der Ukraine und Russland abhängig. "Somit machen Hamsterkäufe in Deutschland überhaupt keinen Sinn. Eher im Gegenteil, führen genau diese Hamsterkäufe selber zu einer kurzfristigen Verknappung bei uns vor Ort, die aber nicht andauern würde." Wie Pott ausführt: "Der Deutsche Bauernverband hat relativ klar gemacht, dass aktuell genügend Weizen und andere Grundnahrungsmittel in Deutschland verfügbar sind und ansonsten könnten wir es uns auch leisten, Lebensmittel teurer aus anderen Ländern noch einzukaufen."

Aktueller Selbstversorgungsgrad in Deutschland
Der Selbstversorgungsgrad Deutschlands liegt bei Produkten wie Fleisch, Kartoffeln, Milch und Weizen über 100 Prozent. Anders verhält es sich bei Obst, Gemüse und Eiern, hier ist Deutschland von Importen abhängig: Mit einem Selbstversorgungsgrad von 20 Prozent bei Obst, 36 Prozent bei Gemüse sowie 72 Prozent bei Eiern herrscht hierzulande auch außerhalb von Krisenzeiten eine Unterversorgung.
Analyse zum deutschen Selbstversorgungsgrad 2022Bundesinformationszentrum Landwirtschaft

Trotzdem stellen die momentan stark gestiegenen Energiepreise eine Herausforderung für die regionale Landwirtschaft dar: Denn Stickstoffdünger, der deutschlandweit auf viele Felder kommt um die Erträge zu steigern, wird aus Erdgas erzeugt. Mit den explodierenden Energiepreisen ist damit auch der Preis für Düngemittel in die Höhe getrieben worden. Zudem braucht es Energie bei der Rohstoffverarbeitung und beim Transport, bis die Lebensmittel im Supermarkt landen. Alle diese energieabhängigen Prozesse haben sich jetzt verteuert und die Landwirte und auch Logistikunternehmen versuchen diese Verteuerung über eine Erhöhung ihrer Warenpreise auszugleichen – die dann letztlich beim Verbraucher ankommen.

Vor diesem Hintergrund plädiert der Bauernverband in einer Pressemitteilung für eine Aufstockung der EU-Krisenreserven mit Geldern aus dem nationalen Etat, "die für die landwirtschaftliche Unfallversicherung verwendet werden, um in der Fläche eine wirksame Entlastung unserer Betriebe zu erreichen." Die AFD-Fraktion dagegen legte dem Bundestag diese Woche einen Antrag vor, der die Freigabe von Brachflächen und ökologischer Vorrangflächen für Nahrungs- und Futtermittelproduktion fordert. Dieser wurde am Freitag in Berlin von einer Mehrheit im Bundestag abgelehnt.

Aufruf zur Transformation des deutschen Ernährungssystems

Diese Entscheidung begrüßt Dr. Lukas Fesenfeld, der zusammen mit Forschenden der Universität Göttingen die Bundesregierung in einem offenen Brief zu einer unverzüglichen Transformation des Ernährungssystems in Deutschland aufrief: Denn wie sie in ihrem Brief betonen, biete die kurzfristige Freigabe von Brachflächen keine ausreichende Lösung: "Um sowohl den unmittelbaren Folgen des Ukraine Kriegs als auch den großen Herausforderungen unserer Zeit – Klimawandel, Artensterben, Pandemien und Friedenssicherung – wirksam entgegenzutreten, spielt die rasche Reduktion des Fleischkonsums, der Lebensmittelabfälle sowie des Anbaus von Energiepflanzen für die Bioethanol-Herstellung eine besonders wichtige Rolle."

"Verwendet man den Dünger aber direkt, um pflanzliche Lebensmittel anzubauen, dann wäre das eine deutlich effizientere Flächennutzung."
Dr. Lukas Fesenfeld
Zentrum für Klimaforschung universität Bern

Damit könnten mehr Flächen für den Anbau pflanzlicher Lebensmittel für den menschlichen Konsum genutzt werden, die direkt als Nahrung verwendet werden können, anstatt erst Futtermittel für Tiere zu produzieren. Denn rund zehn Quadratmeter Ackerfläche bringen entweder Getreide für zirka ein Kilogramm Schweinefleisch oder aber mindestens zehn Kilogramm Brot.

Gegenüber Watson erklärt der federführende Autor des offenen Briefs, Dr. Lukas Fesenfeld: "Was vor allem unsere Abhängigkeit von Düngemittel in der Landwirtschaft in den nächsten zwei Jahren reduzieren kann, wäre systematisch den Konsum tierischer Produkte und auch den Anbau von Energiepflanzen zu senken, weil ihr Anbau und der von Futtermittel große Mengen an Dünger benötigt. Verwendet man den Dünger aber direkt, um pflanzliche Lebensmittel anzubauen, dann wäre das eine deutlich effizientere Flächennutzung: somit könnten wir für die gleiche Mengen an Dünger direkt Essen anbauen und ernten."

Ein Landwirt pflügt ein Feld. Damit wird der Ackerboden für die Aussaat der Sommerkultur vorbereitet.
Ein Landwirt pflügt seinen Acker, um die Sommeraussaat vorzubereiten. Bild: dpa / Patrick Pleul

In ihrem offenen Brief schlagen die Autorinnen und Autoren weitere konkrete Maßnahmen vor, unter anderem:

  • eine geringere Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte sowie eine erhöhte Mehrwertsteuer für Fleischprodukte
  • eine Förderung einer Umbauprämie für Landwirtinnen und Landwirte von Tierhaltung auf Pfanzenanbau

Wie die Forschenden betonen, könne jetzt aber vor allem jeder Mensch als Individuum selbst Schritte zu weniger Fleischkonsum einleiten, um so die globale Versorgung mit Lebensmitteln indirekt zu verbessern.

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