Vor der niederländischen Küste ist in der Nacht zu Mittwoch ein Frachter mit über 3500 beladenen Autos in Brand geraten. Zwar sind von außen keine Flammen mehr auf der "Fremantle Highway" zu sehen, innen brennt es aber offenbar weiter.
Für eine Entwarnung, sagte die Küstenwache, sei es zu früh – das Feuer könne wieder aufflammen. Die Sorge, dass das Schiff aufgrund der fortschreitenden Löscharbeiten sinken oder auseinanderbrechen könnte, bleibt dementsprechend groß.
Denn sollte das Schiff tatsächlich sinken, wären die Folgen fatal: Mit dem Frachter würden auch tonnenweise Öl ins Meer gelangen. Zudem könnten durch die Batterien der geladenen E-Autos bei Wasserkontakt Säuren und austretende Schwermetalle ins Meer gelangen – und das Ökosystem wie auch die deutsche und niederländische Nordseeküste schwer schädigen.
Das soll unter allen Umständen verhindert werden.
Um sich ein besseres Bild der Lage machen zu können und einen Bergungsplan zu erstellen, wollen Expert:innen das Schiff inspizieren. Aber erst, sobald es die Temperatur auf dem Frachter zulasse. Sollte die "Fremantle Highway" dann stabil genug sein, soll sie an einen sicheren Ort abgeschleppt werden.
In der ersten Nacht sei an eine Bergung allerdings nicht zu denken gewesen. Expert:innen gehen davon aus, dass es im Inneren des Frachters noch immer heftig brennt.
"Es sieht aktuell nicht gut aus", sagt Kim Detloff, Leiter der Abteilung Meeresschutz des Naturschutzbundes Deutschlands (Nabu), gegenüber watson. "Das Schiff wird durch den Löschwassereinsatz instabiler, driftet langsam weiter in Richtung offene Nordsee."
Und schon jetzt würden große Mengen kontaminiertes Lösch- und Kühlwasser ins Meer gespült. Zusätzlich könnten Ruß, Kunststoffpartikel und giftige Kohlenwasserstoffe durch den Qualm des Feuers aufsteigen und Luft und Wasser verunreinigen. "Das wirkt jedoch noch relativ lokal – nicht zu vergleichen mit den drohenden Schäden, sollte das Schiff sinken und 1600 Tonnen Schweröl ins Meer gelangen", betont Detloff.
Über die Auswirkungen der Löscharbeiten selbst macht sich der Meeresbiologe Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) keine allzu großen Sorgen, die seien vermutlich "relativ überschaubar". Aber auch er unterstreicht vermehrt das Risiko für die Umwelt, sollte das Schiff tatsächlich sinken. Im Gespräch mit watson erklärt er:
Angesichts der derzeitigen Windprognosen wären davon vor allem die nordfriesische Küste und die Westküste Jütlands in Dänemark betroffen. Dazu kommt: Weil in den kommenden Tagen mit Westwind von bis zu sechs Windstärken zu rechnen ist, würde der Transport des Öls auf der Wasserfläche noch einmal beschleunigt.
Beide Experten hoffen stark, dass diese Katastrophe verhindert werden kann. Doch die Optionen der Bergungsspezialist:innen vor Ort sind begrenzt. "Bleibt keine Zeit für das Ausbrennen auf See, könnte das Schiff in einen Nothafen geschleppt oder kontrolliert auf Grund gesetzt werden", erläutert Detloff. "Dazu käme es aber wieder näher an die Küste – eine ganz schwierige Entscheidung."
Wie groß die Auswirkungen einer Ölpest auf die Ökosysteme sind, konnte bereits bei früheren Unfällen mit Frachtern beobachtet werden. Etwa bei der "Pallas"-Havarie 1998 in der Nordsee.
"Erste Opfer wären verölte Vögel", sagt Detloff. Denn das Wattenmeer ist Nahrungs- und Rastraum für zahlreiche Seevögel. Durch die Ölpest des Frachters "Pallas" waren damals 160 Tonnen Öl ausgelaufen, 16.000 Vögel waren daran verendet. Ein ähnliches Szenario würde auch jetzt drohen, sollte der Frachter sinken. Detloff ergänzt:
Und auch ohne eine Ölpest hat das Ökosystem Nordsee zu kämpfen. "Wir sehen schon jetzt Signale des sich verändernden Klimas in den Ökosystemen der Meere, also auch im Wattenmeer", sagt Meeresbiologe Gutow.
Denn das Ökosystem wird durch die menschengemachte Erderhitzung stark beeinträchtigt: Die Artenzusammensetzung im Wattenmeer hat sich verändert, was Auswirkungen auf die Struktur und das Funktionieren der Nahrungsnetze hat. Dazu kommt ein steigender Meeresspiegel, der die Küsten mechanisch stärker beeinsprucht und etwa Erosionsprozesse in Gang setzt.
Das Ergebnis all dieser Folgen: Die Nordsee kann sich schlechter regenerieren, insbesondere dann, wenn zusätzliche Schäden etwa durch eine Ölpest auftreten sollten. "Das macht das Ganze auch so besonders schlimm", ergänzt Gutow. "Weil nämlich die langfristigen Veränderungen mit katastrophalen, punktuellen Katastrophen wie einer möglichen Ölpest zusammenkommen und sich die Effekte quasi aufaddieren."