Ventilatoren fallen in einem venezianischen Massentierhaltungsbetrieb aus. Tausende Hühner kämpfen ums Überleben. Ein Betriebsarbeiter macht sich einen Spaß daraus und tritt mit dem Fuß mehrmals auf den Kopf eines dahinsiechenden Huhns. Seine Mitarbeitenden sind amüsiert. Schallendes Gelächter bricht aus – trotz der Tragödie, dass gerade 16.000 Hühner erstickt sind.
Das ist nur eine von vielen schockierenden Szenen, die im neuen Dokumentarfilm "Food for Profit" gezeigt werden, welcher den Verbindungen zwischen Politik und Agrarlobby in der EU auf den Grund geht.
Im Zentrum der Doku stehen die riesigen finanziellen Mittel – genau 397 Milliarden Euro –, die in die europäische Agrarindustrie fließen. Durch investigative Aufnahmen gewährt der Film einen Einblick in das System der Intensivtierhaltung – und zeigt auf, dass die Zukunft finster aussehen könnte. Vor allem für die Tiere. Aber nicht nur.
Fünf Jahre lang recherchierte die italienische Journalistin Giulia Innocenzi zur Verbindung zwischen Fleischindustrie, Lobby und politischer Macht in der Europäischen Union.
Das machte sie gemeinsam mit dem EU-Abgeordneten Francisco Guerreiro, Aktivist:innen aus Deutschland, Polen und Spanien, die sich bei Massentierhaltungsbetrieben anstellen ließen und einem Undercover-Lobbyisten, der sich mit versteckter Kamera mit den großen Playern trifft. Miteinander sammeln sie Videomaterial, das einen sprachlos zurücklässt.
"Wir müssen nicht viel tun, außer sogenannten 'Death Walks'", erklärt ein Betriebsmitarbeiter dem Aktivisten, der die Zustände in einer italienischen Hähnchenmastanlage heimlich dokumentiert. "Zu Beginn der Schicht lesen wir tote Tiere zusammen. Danach töten wir den Abfall."
Abfall?
Damit sind Hühner gemeint, die zu leicht sind. Die kein Geld einbringen – und das Geschäft gefährden. Die Betriebe, die zu viele "Abfälle" liefern, würden als Bestrafung keine Auszahlung erhalten, warnt der Betriebsarbeiter.
Die beiden schlendern durch den rappelvollen Hühnerstall. "Denkst du, dieses Huhn wird groß genug?", fragt der Aktivist, der sich als neuer Arbeiter ausgibt. "Nein", antwortet der Betriebsmitarbeiter. Er packt das Huhn und schlägt es auf eine Metallstange.
Der Aktivist dokumentiert auch einen Truthahnbetrieb in der Nähe von Rom. Bei seiner Arbeit stößt er auf einen weiteren Missstand: Betriebsmitarbeiter:innen ohne Arbeitsverträge. Meist kommen sie aus Marokko, Rumänien oder Afrika.
Im Akkordtempo müssen die illegalen Arbeiter:innen die Tiere in der Nacht einfangen und in Käfige sperren. Danach laden sie die Tierkäfige in LKWs. "Wir werden nach der Anzahl befüllter Lastwagen bezahlt", sagt ein Arbeiter.
Eine Filmszene zeigt, wie ein Arbeiter Drogen konsumiert, um wohl dem Druck standzuhalten. Ein anderer Mitarbeiter hält einen verunstalteten Truthahn in der Hand und sagt: "Ich würde dieses Fleisch nie essen." Durch das brutale Einfangen werden die Tiere stark verletzt und sehen kaum noch wie Truthähne aus.
Nicht weniger prekär sind die Arbeitsbedingungen in einem Schlachthaus in Deutschland, wo viele Migrant:innen arbeiten. Sie leiden unter der Kälte, haben geschwollene Hände. Die Temperatur beträgt minus fünf Grad Celsius. "Weil ich so hektisch arbeiten muss, vergesse ich die Kälte oft", sagt eine Arbeiterin.
Hunderte von Fleischstücken liegen am Boden. Weil der Prozess der Fleischproduktion so hastig abläuft, falle immer wieder Fleisch auf den Boden. Dieses werfe man daraufhin nicht weg.
Unhygienische Zustände dokumentiert ein Aktivist auch in einem Massentierhaltungsbetrieb in der Nähe von Berlin mit 3000 Tieren, darunter 500 Kühen. Der Betrieb erhalte jährlich einen ordentlichen EU-Subventionszuschuss.
Man fragt sich nur, wofür?
Seit Jahren sei der Boden nicht mehr gereinigt worden, erzählt ein Mitarbeiter. Die Tiere erkranken ständig. Eine der am häufigsten auftretenden Krankheiten sei Mastitis – eine schwere Entzündung der Milchdrüse und des Eutergewebes, die mit starken Schmerzen verbunden ist.
Wird die Krankheit erkannt, werden die infizierten Kühe mit Antibiotika behandelt. Der Antibiotika-Einsatz bei Tieren kann auch für Menschen zum Problem werden. Denn die Massentierhaltung trägt wesentlich zu Antibiotikaresistenzen bei. Weltweit sterben laut dem Schweizer Bundesgesundheitsamt (BAG) jährlich rund 1,3 Millionen Menschen, weil Antibiotika nicht anschlagen.
Der Film zeigt Aufnahmen, wie eine Kuh gewaltsam Antibiotika zugeführt bekommt – und Tiere im Stall mit einem Stock geschlagen werden.
Giulia Innocenzi konfrontiert die Verantwortlichen mit dem Videomaterial. Diese bestreiten, den heimlich gefilmten Mann zu kennen, der die Kühe quält. Auf die Frage, ob sie wissen, dass die Abgabe von Antibiotika eine Gefahr für Tier und Mensch darstellt, antworten sie plump: "Schokolade ist auch gefährlich."
Wie kann es sein, dass diese Betriebe EU-Subventionen in Millionenhöhe erhalten? Dieser Frage geht ein Lobbyist nach, der Lorenzo genannt wird. Er trifft einige Hauptakteure der Fleischindustrie – und nimmt die Gespräche heimlich auf.
Unter anderem nimmt er an einem Seminar teil, wo sich Politiker:innen, Journalist:innen und Wissenschaftler:innen treffen, um sogenannte "Counter Narratives" (Gegenerzählungen) zu besprechen, die beweisen sollen, dass der Fleischkonsum keinen Einfluss aufs Klima hat. Dafür werden beispielsweise tendenziöse Studien in Auftrag gegeben.
Lorenzo nimmt auch an einem Echokammer-Seminar teil. Ein Thema steht im Mittelpunkt: genetisch veränderte Tiere.
Also: Schweine mit sechs Beinen. Kühe ohne Hörner. Blinde und federlose Hühner.
Bislang sind genveränderte Tiere für die Fleischproduktion in der EU noch nicht zugelassen. Die Nutztierindustrie ist aber bestrebt, die Gentechnik als Tierwohlerrungenschaft anzupreisen. So heißt es, dass das Fell der Rinder genetisch verändert werden darf, damit die Tiere dem Klimawandel heißen Tagen besser standhalten. Die Enthornung von Rindern würde dazu beitragen, dass es zu weniger Verletzungen komme.
Für die Fleischindustrie sind Genveränderungen lukrativ. Die Tiere wachsen schneller. Die Betriebe können effektiver Fleisch produzieren – oder sogar vollkommen neue Produkte, wie Muttermilchersatz.
Der Undercover-Lobbyist fragt einen Wissenschaftler, ob genetisch veränderte Tiere in der Gesellschaft akzeptiert würden. Dieser antwortet: "Es kommt darauf an, wie es der Öffentlichkeit verkauft wird."
Die größte Angst der Fleischlobby: Von Technologien aus China überrannt zu werden.
China wird die Gentechnik bei Tieren sowieso einführen, davon ist der Generalsekretär von Copa Cogeca, der größten Fleischlobby der EU, überzeugt. "Damit wir auch einige Technologien zur Verfügung haben, üben wir viel Druck auf die Mitgliedstaaten aus", sagt er.
Wie kommt man überhaupt an EU-Fördergelder? Der Lobbyist Lorenzo stellt einem Mitarbeiter der Europäischen Kommission ein Projekt zur Forschung an genveränderten Tieren vor. Er möchte von dem EU-Mitarbeiter wissen, welche politischen Instrumente er für eine Finanzspritze benötigt.
"Wenn du gut polarisierst, kannst du bis zu 10 Millionen für Pilotprojekte erhalten", sagt der Mitarbeiter der EU-Kommission. Er empfiehlt ihm einige Strategien. Eine davon: Das Projekt in Afrika durchzuführen, "wo Menschen hungern".
Wenn dem Parlament plausibel gemacht werde, dass in Ländern, in denen Unterernährung herrscht, mit einem Tier mehr Nahrung produziert werden könnte, komme das gut an. Außerdem limitiere man die Risiken, wenn man das Projekt in Afrika durchführe.
"Wenn du in Afrika ein Killerhuhn entwickeln würdest, wäre das nicht so schlimm", so der EU-Mitarbeiter und lacht.