Die Folgen der Klimakrise treffen Frauen stärker als Männer. Im Mittelpunkt des European Green Deals steht aus diesem Grunde eine "Just Transition", die verspricht, beim Übergang in eine klimaneutrale Zukunft niemanden zurückzulassen – auch die Frauen nicht.
Ein von der Europa- und SPD-Politikerin Delara Burkhardt in Auftrag gegebenes Policy Paper kommt nun aber zu genau dem Schluss: Der European Green Deal benachteiligt Frauen. Sollten die Gesetze und Maßnahmen nach diesem Plan umgesetzt werden, würden die Ungerechtigkeiten zwischen Frauen und Männern verstärkt und manifestiert. Die Autorinnen von "Women Engage for a Common Future" und dem "European Environmental Bureau" fordern nun, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise stärker auf die Bedürfnisse von Frauen auszurichten.
Warum die Klimakrise die Benachteiligung der Frauen verschlimmert, wie der European Green Deal feministischer und damit sozial gerechter werden kann und was sich dafür in der europäischen Politik verändern muss, darüber hat watson mit der SPD-Europapolitikerin Delara Burkhardt gesprochen.
watson: Frau Burkhardt, Frauen werden benachteiligt – durch ihre Rolle in der Gesellschaft sowie ihre finanziellen Ressourcen. Warum verschlimmert die Klimakrise ihre Lage nochmal?
Delara Burkhardt: Weil gerade diejenigen, die weniger Ressourcen haben, also Frauen und marginalisierte Gruppen, stärker von den Folgen des Klimawandels getroffen werden. Weil sie vulnerabler sind – aufgrund des Geschlechts, aufgrund der Hautfarbe, aufgrund ihres sozialen Status und anderer Diskriminierungsmerkmale.
Und das verstärkt sich durch die Folgen der Klimakrise?
Ja, gerade jetzt mit der aktuellen Situation in der Ukraine und der Befürchtung um die europäische Energiesicherheit kann man das ganz gut sehen: Die Energiepreise steigen an. Und wer wird am härtesten davon getroffen? Diejenigen, die am wenigsten Geld haben, weil sie sich die Energiekosten schon jetzt nicht mehr leisten können und überlegen müssen, ob sie ihre Wohnung überhaupt noch heizen können. Aber im gleichen Moment haben sie auch das Problem, dass sie vermutlich gar keinen Einfluss darauf haben, den Energiekonsum zu senken, beispielsweise ihre Wohnung zu sanieren oder ihre Energiequelle zu wechseln, weil sie zur Miete wohnen. Und da sind diejenigen, die weniger Geld zur Verfügung haben – und dazu gehören eben mehr Frauen – im Schnitt stärker gefährdet. Deswegen merkt man schon jetzt, dass die Folgen der Klimakrise Frauen, vor allem im Globalen Süden, viel härter treffen.
Wirken sich die Folgen der Klimakrise, also zum Beispiel Hitzewellen, denn unterschiedlich auf Frauen und Männer aus?
Auf jeden Fall, weil auch das mit den finanziellen Ressourcen zu tun hat, die den Menschen zur Verfügung stehen. Gerade am Beispiel von Hitzewellen lässt sich das gut erklären, weil Frauen, die über weniger finanzielle Ressourcen verfügen, stärker betroffen sind, weil sie keine Anpassungsmaßnahmen treffen und sich zum Beispiel eine Klimaanlage leisten können. Und das kann man in vielen unterschiedlichen Bereichen beobachten.
Gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung haben Sie eine Studie herausgebracht, die zu dem Schluss kommt: Der European Green Deal benachteiligt Frauen, die die Hälfte der Bevölkerung stellen. Wie kann der Green Deal feministischer werden?
Indem man den Feminismus stärker im Green Deal verankert. Es ist momentan so, dass auch im Herzen des European Green Deals immer von der sogenannten "gerechten Transformation" gesprochen wird. Und die ist natürlich total wichtig, weil wir damit anerkennen, dass nicht alle Regionen und nicht alle Branchen gleich stark betroffen sind oder sein werden. Allerdings konzentrieren sich die Diskussionen in der europäischen Debatte dabei sehr stark auf die Industriearbeitsplätze, die transformiert werden müssen.
Und da sind vor allem Männer beschäftigt...
Richtig. Und es ist ja auch richtig, dass wir über diese Branchen sprechen. Der Energiesektor, der Transportsektor, die Landwirtschaft – das sind alles Branchen, die viele Emissionen verursachen und damit auch zu Recht im Mittelpunkt des Green Deals stehen. Aber wenn wir uns nicht gleichzeitig bewusst machen, dass in diesen Branchen vor allem Männer arbeiten, dann kann der Green Deal eigentlich nur dazu führen, dass Geschlechterungerechtigkeiten verstärkt werden. Und das denken wir momentan leider noch nicht in den Maßnahmen mit. Wenn wir zum Beispiel über die ganzen Gelder, die im Rahmen des European Green Deals ausgegeben werden, sprechen, dann müssen wir eben auch gucken, dass die gleichermaßen bei Frauen und Männern ankommen. Man kann ja theoretisch in dem Programm der EU verankern, dass es Konditionen gibt, nach denen die Gelder verteilt werden, und Geschlechtergerechtigkeit sollte dabei eben ein konkreter Punkt sein.
Aber?
Das sind so Dinge, die sind eigentlich selbstverständlich. Eigentlich hat sich die Europäische Union ja sogar selbst dazu verpflichtet, darauf zu achten, dass die Maßnahmen Männern und Frauen gleichermaßen zu Gute kommen. Das ist aber momentan faktisch einfach nicht der Fall. Wenn man das aber stärker bedenken würde, könnte der Green Deal eben wirklich zu mehr Klimagerechtigkeit beitragen, für alle Menschen in Europa – ohne die Hälfte von ihnen auszublenden.
In der Studie haben Sie drei Schlüsselsektoren ausgemacht, die Sie unter die Lupe genommen haben: Energie, Transport, Landwirtschaft. Warum gerade diese drei?
Weil sie mit Abstand die Sektoren sind, die am stärksten beitragen zu den Emissionen, und wo wir auch sehr spezifische Auswirkungen auf Männer und Frauen sehen. In der Energiebranche zum Beispiel mit der Frage: Wie können wir dafür sorgen, dass auch mehr Frauen in dem Sektor arbeiten? Das hat auch mit der Förderung von Frauen in MINT-Berufen zu tun. Mit Blick auf den Transportsektor gibt es schon jetzt ganz viele Studien, und unter anderem auch unsere, die bestätigen, dass Frauen ein viel umweltbewussteres Nutzungsverhalten haben und beispielsweise viel öfter auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen und da müssen Frauen eben auch mitgedacht werden bei der Verkehrswende.
Und bei der Landwirtschaft?
Da ist es ähnlich: Das ist ein Bereich, in den sehr, sehr viel Geld fließt – ein Drittel des EU-Haushalts. Und der Großteil dieser Gelder geht eben an Männer mit großen, industriellen Höfen. Frauen führen eher kleinere Höfe und betreiben eher ökologische Landwirtschaft – bekommen aber kaum EU-Agrargelder. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft ein Sektor, in dem sehr viele Frauen zu sehr schlechten Bedingungen arbeiten, zum Beispiel als Saisonarbeiterinnen. Es handelt sich also bei diesen drei Sektoren um Großemittenten, die eine dementsprechend wichtige Rolle in einer Zeit des Wandels spielen. Wenn wir aber weitermachen wie bislang, dann wird das die Geschlechterungerechtigkeiten in den Sektoren manifestieren. Deswegen müssen wir uns allem voran um diese drei kümmern.
In welchen Momenten wird für Sie persönlich denn deutlich, dass die Welt, in der wir leben, größtenteils von Männern geprägt wurde und zu großen Teilen auch deren Interessen widerspiegelt?
Der Westen, die reichen Industriestaaten, vor allem aber auch Europa, haben in der Vergangenheit besonders viele Emissionen ausgestoßen. Mit dazu gehört aber auch, dass die politischen Entscheidungen darüber, hauptsächlich von Männern getroffen wurden. Und das tangiert natürlich auch mich als Politikerin. Wenn man mal überlegt, dass nur 20 Prozent derjenigen, die das Pariser Klimaabkommen mit ausgehandelt haben, Frauen waren, Frauen aber diejenigen sind, die die Konsequenzen der Klimakrise am stärksten spüren werden, dann steht das einfach nicht im Verhältnis zueinander.
Das heißt, es geht um Machtgefüge?
Ja, natürlich. Es gibt Industrien, die sich ein Geschäftsmodell damit aufgebaut haben, massiv Emissionen auszustoßen, Mensch und Natur auszubeuten. Und natürlich haben die ein Interesse daran, das auch zukünftig so beizubehalten. Dementsprechend wurden des Häufigeren Kompromisse auf Kosten von Frauen und Umwelt gemacht. Und ich glaube deswegen ist es neben den konkreten politischen Maßnahmen auch so wichtig, über Repräsentation zu sprechen und dafür zu sorgen, dass mehr Frauen am Verhandlungstisch sitzen, wenn über die Klimakrise gesprochen wird. Und auch was das angeht, haben wir in der EU massiven Handlungsbedarf.
Mit beispielsweise Ursula von der Leyen als Präsidentin der Europäischen Kommission und der Parlamentspräsidentin Roberta Metsola stehen ja aber zumindest schon einmal einige, wenige, Frauen an der Spitze der Europäischen Union.
Das stimmt. Aber wenn man sich mal anschaut, wie zentrale Schlüsselpositionen in der Klimapolitik besetzt sind – auch im Europäischen Parlament – dann wird schon sehr deutlich, dass noch Handlungsbedarf besteht. Auch beim "Fit for 55"-Paket, einem Paket aus 15 Gesetzen, die Emissionen in den unterschiedlichen Sektoren reduzieren sollen, sind nur vier der 15 Berichterstattenden Frauen, und das zieht sich so durch – bei den Ausschussvorsitzenden, bei den Kommissaren – da sind meist viel mehr Männer vertreten, woraus sich natürlich ein Repräsentationsproblem entwickelt.
Ist das Mitgrund, warum Sie in die Politik gegangen sind?
Natürlich hat das mit in meine Entscheidung reingespielt. Ich bin jemand, der sehr allergisch auf Ungerechtigkeiten und darauf reagiert, dass Menschen, die von einem Problem betroffen sind, aus der Lösungsfindung ausgeschlossen werden. Mein persönlicher Erweckungsmoment war mit 15, als es in Schleswig-Holstein Schülerstreiks gab, weil die Zeit bis zum Abitur verkürzt werden sollte. Und das hat mich total genervt, weil die Menschen, die am meisten davon betroffen sein würden, überhaupt nicht in die Entscheidung miteinbezogen wurden. Und das war letztendlich der zündende Moment, der mich dazu gebracht hat, politisch aktiv zu werden.
Haben Frauen es denn generell schwerer in der Politik?
Ja, aber es spiegelt auch nur die gesellschaftlichen Verhältnisse wider, weil es ja offensichtlich noch ein massives repräsentatives Problem gibt und insbesondere junge Frauen sich noch einmal mehr beweisen müssen, um ernst genommen zu werden. Und dann kommt noch dazu, dass Frauen ganz anders angegriffen werden und auch in ihrem Handeln anders gemessen werden, als es bei Männern der Fall ist. Ihnen werden andere Interviewfragen gestellt als männlichen Kollegen, sie müssen ihren eigenen Kampf kämpfen. Aber da unterscheidet sich die Politik jetzt auch nicht groß von anderen Berufsfeldern, die Politik ist ja auch nur ein Spiegel der Gesellschaft. Bis wir da die Gleichberechtigung erreicht haben, haben wir noch einen langen Weg vor uns. Deswegen würde ich schon sagen, dass es leichter ist, in der Politik ein alter weißer Mann zu sein, als eine Frau – einfach, weil es sich da bei um eine Art gesellschaftlichen Sexismus handelt.
Das Policy Paper soll nicht nur auf Defizite des European Green Deals hinweisen, sondern gibt auch explizit politische Empfehlungen. Was muss denn jetzt passieren, um die Klimakrise geschlechtersensibel zu lösen – welche Maßnahmen und Gesetze braucht es unbedingt?
Ich glaube, dass man sich bewusst machen muss, dass die Gleichstellung der Geschlechter wirklich zu einem Kernziel in der Energie- und Umweltpolitik werden muss, ganz besonders in den drei Sektoren Energie, Verkehr und Landwirtschaft, die wir ja auch in der Studie genauer untersucht haben. Um das zu erreichen, müssen natürlich auch kulturelle und soziale Normen aufgebrochen werden, damit beispielsweise spezifische Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen in den fürs Klima relevanten Sektoren vorangetrieben werden können. Und wir könnten in Gesetzen auch Kriterien für die Vergabe von Fördergeldern, zum Beispiel zur energetischen Sanierung verankern, sodass Gelder gezielt an vulnerable Personengruppen und eben auch an Frauen gehen.
Aber wie soll das funktionieren, wenn doch Frauen so lange hinten runter gefallen sind?
Mit der repräsentativen Präsentation. Um gerechte Repräsentation zu gewährleisten, könnten wir in Gesetzen vorschreiben, dass Beratungsgremien zu einem fairen Anteil mit Frauen besetzt werden müssen. Und wir brauchen Daten, Daten, Daten. Oft basiert unsere Politik auf dem statistischen Durchschnittsmenschen, da Daten nicht geschlechtsspezifisch gesammelt und aufbereitet werden. Dabei werden geschlechterspezifische Herausforderungen und Bedürfnisse schnell übersehen.
Haben Sie vielleicht noch ein Beispiel dafür parat, wie man Frauen weiter stärken könnte?
Zum Beispiel durch die Stärkung von Gewerkschaften. Denn wo Gewerkschaften und Tarifverträge gelten, da sind Frauen gleichberechtigter, was auch für die Industrie gilt. Wir müssen hier aber auch über eine Ausweitung von sozialen Themen in dem Kontext sprechen. Eine sozial-ökologische Transformation wird unsere Gesellschaft massiv verändern, auch die Arbeit. Und ein Teil dessen ist, dass wir soziale Berufe aufwerten müssen. Ja, es gibt vereinzelt Studien und Daten darüber, dass zum Beispiel Energiearmut ein großes Problem in der EU ist und davon vor allem Frauen betroffen sind, weil sie im Schnitt weniger verdienen und weniger Rente beziehen. Aber es fehlt eben die massive Auswertung von Daten in Bezug auf Geschlechterungerechtigkeiten. Energiearmut hat ein weibliches Gesicht – aber das wird nicht gesehen.
Was muss also passieren?
Grundsätzlich geht es einfach darum, den European Green Deal an dieser Stelle weiterzuentwickeln. Ursula von der Leyen spricht in Bezug auf den Green Deal immer über ein Wachstumspaket, aber eigentlich geht es in einer Zeit des großen Wandels ja vor allem darum, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und darauf zu achten, dass niemand zurückbleibt. Wir wissen: Die Energie wird teurer und das sollte sozial ausgeglichen werden. Aber viel besser wäre es doch, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und deutlich zu machen, dass von dieser Transformation nicht nur einzelne, sondern jeder profitiert.
Und jetzt ist der richtige Zeitpunkt um die Studie zu veröffentlichen, weil die Gesetze gerade konkret von den europäischen Institutionen ausgehandelt und beschlossen werden?
Genau, wir sind jetzt gerade mitten in den Verhandlungen um das "Fit for 55"-Paket, also den ersten großen Gesetzesblock, in dem es um die Zukunft des Emissionshandels und um Energieeffizienz geht, was natürlich gerade mit Blick auf die Energiearmut ein wichtiger Punkt ist. Wir müssen genau jetzt im Moment der Ausgestaltung dieser Gesetze darauf achten, dass alle gleichermaßen bedacht werden und somit keine Geschlechterungerechtigkeiten manifestiert werden. Zum Beispiel müssen wir dafür sorgen, dass die Gelder für die energetischen Sanierungen genau bei denjenigen ankommen, die die Folgen steigender Energiepreise auch am stärksten spüren. Und genau jetzt bei der Ausgestaltung, kommt es darauf an, feministische Politik zu machen.
Ist das denn schwer durchzusetzen, schlägt Ihnen da viel Ablehnung entgegen?
Ich glaube, das geht total. Es gibt natürlich Leute, die sind gereizt und reagieren allergisch auf den Begriff Feminismus. Dabei geht es beim Feminismus ja eigentlich nur darum, zu gucken, wie die Machtstrukturen aussehen und was man dafür tun kann, Ungleichheiten nicht zu verstärken beziehungsweise sie zu verringern. Und wenn man das eigentliche Problem beschreibt und erklärt, dass Frauen besonders häufig zum Beispiel von Energiearmut betroffen sind, dann nicken alle immer betroffen und sind sich dessen vermutlich auch bewusst. Aber wie man das ändern kann, das fällt dann leider oft hinten runter. Und deswegen helfen Daten und Studien auch so sehr, weil sie eben dazu beitragen, sich diese Probleme bewusst zu machen und in der Umsetzung nicht zu vergessen.
Der Weltfrauentag, der jetzt am Dienstag war und bei watson zu einer feministischen Woche ausgedehnt wurde, sollte aber nicht nur ein Kampftag sein, sondern auch Debatten darüber anregen, was möglich sein könnte. Wie steht es in einer perfekten Welt um die Frauen – was müsste geschafft sein, damit Sie denken: Wir leben in einer gendergerechten Welt?
Für mich ist eine Welt, die geschlechtergerecht ist, eine Welt, in der unsere Politik in Fragen der Repräsentation von den Geschlechtern gleichermaßen gestaltet werden kann. Dass Frauen und Männer also den gleichen Zugang zu politischer Wirkmacht haben und die Menschen im Mittelpunkt dieser Politik stehen und nicht irgendwelche Wirtschaftsinteressen und Wachstumszwänge. Und das wäre meiner Meinung nach auch ein Konzept, das tatsächlich nachhaltig ist, denn das Ziel unserer Politik sollte ja das menschliche Wohlbefinden innerhalb der planetaren Grenzen sein und nicht die Aufrechterhaltung des Patriachats und Kapitalismus. Mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen zum Beispiel gibt es schon einige politische Konzepte, die das vereinbaren würden und Politik dadurch auch feministischer machen würden.