Heute ist der fünfte Tag, an dem Bäume im Dannenröder Forst für den Ausbau der A49 gefällt werden. Inzwischen wissen die meisten Menschen, was hier im Vogelsberg passiert: Knapp 100 Hektar gesunder Mischwald – der gleichzeitig ein FFH1-Naturschutzgebiet und ein Trinkwasserschutzgebiet ist – sollen für ein veraltetes Verkehrskonzept zerstört werden. Drei Wälder sind betroffen, die inzwischen alle besetzt sind und nun geräumt und gerodet werden sollen.
Während wir uns mit ignoranten Beamtinnen und Beamten auseinandersetzen mussten, um unser Grundrecht auf Pressefreiheit wahrzunehmen, fielen die ersten Bäume und Lebensräume wurden zerstört. Doch der progressive Protest zeigte mir, wie kraftvoll und vielfältig Widerstand sein kann.
Es ist 8.30 Uhr am dritten Tag der Rodungen. Gemeinsam mit dem Presseteam der Waldbesetzung bin ich auf dem Weg zum betroffenen Maulbacher Wald. Drei Kilometer vom Ziel entfernt werden wir gemeinsam mit einer Reporterin des hessischen Rundfunks von einem Polizisten aufgehalten. Die Frustration steigt schnell. Wir ergreifen selbst die Initiative, telefonieren mit der Pressezentrale der Polizei, werden an das Polizeipräsidium verwiesen und bekommen nach einer halben Stunde endlich die Durchfahrtserlaubnis – allerdings nur über lange, zeitraubende Umwege.
Endlich angekommen, werden wir vom Presseteam der Polizei begrüßt. Wir kennen uns schon. Das hilft zwar wenig, aber man versichert uns, dass daran gearbeitet wird, dass wir künftig schneller Zugang zum Einsatzgebiet bekommen. Diese Antwort haben wir bereits letzte Woche mitsamt widersprüchlichen und fehlerhaften Informationen erhalten. Wir beschweren uns über die unkooperative Behandlung und erhalten als Antwort: "Ja, es gibt freundliche und nicht so freundliche Kollegen." Auch diese Antwort habe ich schon einmal gehört, als wir über Polizeigewalt sprachen.
Während wir nun endlich zum Ort der Räumung gebracht werden, erfahre ich, dass Aktivistinnen und Aktivisten morgens die Firma Ferrero im nahen Stadtallendorf blockiert haben. Das bessert meine Laune. Anwohnerinnen und Anwohner der Dörfer beschweren sich schon lange über den Lärm der Ferrero-LKWs. Viele hoffen, dass die Autobahn den Lärm verringert, sie nachts besser schlafen können und ihre Kinder sicherer über die Straße kommen. Das hoffe ich auch, allerdings kann ich nicht schlafen, wenn lebenswichtige Naturräume für Autobahnen zerstört werden.
Vielmehr muss der Güterverkehr auf die Schienen verlagert und die Dörfer besser angeschlossen werden. Massive Eingriffe in Bodenstrukturen und Flächenversiegelung innerhalb von Natur- und Wasserschutzgebieten sind nicht mit der Klimakrise kompatibel.
Im Maulbacher Wald ist inzwischen der erste Mensch vom Tripod geräumt – das ist eine Konstruktion aus drei langen, zu einem Turm aufgerichteten Stangen, an den sich Personen einhängen können. Alles verläuft noch ruhig und professionell. Schwieriger wird es an der nächsten Barrikade, unter der ein Mensch liegt. Diese ist über ein Seil an einem Baum befestigt, in dem wiederum ein Mensch in einer Hängematte liegt. Würde das Seil von der Barrikade gelöst, fiele der Mensch in der Hängematte zu Boden. Speziell ausgebildete Polizistinnen und Polizisten übernehmen diese Aufgabe. Die Stimmung aller Beteiligten ist sichtlich angespannt.
Wir Pressevertreterinnen und Pressevertreter werden gebeten, den Sicherheitsbereich zu verlassen und Abstand zu nehmen. Ein neuer Pressebereich, von dem Journalistinnen und Journalisten und parlamentarische Beobachter das Geschehen angemessen verfolgen können, wird nicht eingerichtet. Wir werden stattdessen 50 Meter zurück hinter einen Tripod geschickt – von wo aus nichts von der Räumung zu sehen ist. Unter dem Tripod stehen rund 20 Anwohnerinnen und Anwohner, die ihre Solidarität mit der Waldbesetzung aussprechen und daraufhin von der Polizei eingekesselt werden. Zwei Stunden harren sie dort bereits aus.
Eine Polizeikette blockiert den Waldweg und versperrt die Sicht. Wortfetzen über Behinderung der Pressearbeit fliegen durch die Luft. Das einschüchternde Auftreten der schwerbewaffneten Polizistinnen und Polizisten macht konstruktive Diskussionen unmöglich. Gefühle von Frust und Machtlosigkeit kommen hoch. Die Pressezentrale der Polizei verspricht mir am Telefon, wie immer höchst freundlich: Man kümmere sich darum. Unter Androhung leichter körperlicher Gewalt werden wir weiter hinter den Tripod genötigt. Es ist absurd. Von Pressefreiheit kann ich hier nicht wirklich sprechen.
Doch die ausführenden Kräfte sind der Meinung, dass die Teleobjektive der Kameras gut genug seien, um das Vorgehen auch aus der Ferne zu dokumentieren. Die Pressevertreter sind sichtlich genervt – und kurz davor, im Innenministerium anzurufen. Nach einer Dreiviertelstunde löst sich die Situation auf und wir werden parallel zum Ort der Räumung im Wald platziert. Der Mensch aus der Hängematte wird gerade geräumt. Alles geht gut.
Wir entscheiden uns, zu gehen. Auf dem Weg nach draußen krachen die ersten Bäume auf den Boden. Es hallt durch den ganzen Wald. Das schmerzt. Ein Blick noch zurück, dann fahren wir nach Homberg. Anwohnerinnen und Anwohner haben eine Kreiselblockade organisiert. Auch ihnen wurde zum Teil Gewalt angedroht. Die Blockade sehen sie nun als Möglichkeit, aus sicherer Entfernung ihren Widerwillen gegen die Rodung des Waldes auszudrücken. Der bunte Protest und die Worte der Menschen geben mir viel Zuversicht und bestärken mich in meinem Handeln: Das, was wir hier tun, ist richtig.
Es ist inzwischen 16 Uhr und wir gehen zurück nach Dannenrod ins Protestcamp. Auch dort war man nicht untätig. Seit 10 Uhr morgens blockieren ein Dutzend Menschen eine Planierraupe auf dem Weg zur A49. Dort treffe ich den Rest meiner Bezugsgruppe. Sie hat heute ebenfalls keine guten Erfahrungen mit der Polizei gemacht: massive Fahrzeugkontrollen auf dem Weg zur angemeldeten Mahnwache, polizeiliche Begleitung bis ins Toilettenhäusschen...
Plötzlich tauchen zwei Hundertschaften auf. Da wohl nicht ganz klar ist, wie sie mit den zwölf Aktivistinnen und Aktivisten umgehen sollen, passiert erst einmal sehr lange nichts. Es wird dunkel, kalt und regnerisch. Um die Raupe herum motiviert man sich mit warmem Essen, Tee und Musik, während der Kommunikationspolizist meint, er hätte seit morgens nichts gegessen. Die angebotene Schokolade lehnte er jedoch ab.
Die verbliebenen Aktivistinnen und Aktivisten werden schließlich nach über zehn Stunden von der Planierraupe geräumt. Auch das verläuft nicht fehlerfrei. Die letzten zwei Menschen entscheiden sich dazu, selbstständig von dem Fahrzeug herunterzuklettern, da der Arm des Räumungsfahrzeugs mehrmals plötzlich ausschert und nur knapp über ihren Köpfen stoppt.
Müde und erschöpft geht es nun endlich zurück ins Zelt. Dieser Tag war anstrengend und frustrierend, aber er hat mir auch gezeigt, wie vielfältig, kreativ und stark unser Widerstand ist. Menschen jeden Alters haben sich klar für den Erhalt der Wälder positioniert und das an allen Dreh- und Angelpunkten dieses absurden Bauvorhabens. Der Kampf um den Herrenwald, den Maulbacherwald und den Dannenröder Wald ist noch nicht vorbei. Mit dieser Gewissheit gehe ich schlafen und träume von einer klimagerechten Welt.