Nachhaltigkeit
Gastbeitrag

Fehlender "Turbogang": Fridays for Future kritisiert zu langsame Energiewende

06.05.2022, Nordrhein-Westfalen, Bochum: Demonstranten halten bei einer Kundgebung der Bewegung Fridays for Future Transparente mit der Aufschrift "People Not Profit" und "Die Erde Bren ...
Fridays for Future prangert an, dass die Politik die Proftie fossiler Konzerne über die Energiewende und das 1,5-Grad-Ziel stellt.Bild: dpa / Dieter Menne
Gastbeitrag

Fridays for Future: "Wo bleibt der Turbogang, Herr Scholz?"

26.08.2022, 15:3426.08.2022, 17:37
Cora Völker - Gastautorin
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"Wenn Energie dauerhaft bezahlbar bleiben soll, wenn wir Versorgungssicherheit und Klimaschutz unter einen Hut kriegen wollen, dann geht das nur mit den erneuerbaren Energien. Deshalb müssen wir jetzt den Turbogang beim Ausbau der erneuerbaren Energien einlegen." Das sagte Bundeskanzler Olaf Scholz beim Sommerfest des Bundesverbands Erneuerbare Energie e.V. vergangenen Juli.

Den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren hätten wir aber schon vor Jahren gebraucht. Auch jetzt stellt sich die Frage:

"Wo bleibt der Turbogang?"

Oder ehrlicher: Legt die Bundesregierung aktuell einen Turbogang in die falsche Richtung ein, wenn sie den Ausbau neuer Gasinfrastruktur und Debatten über die Verlängerung der Laufzeit von Kohle- und Atomkraftwerken priorisiert?

Die Bundesregierung, allen voran "Klimakanzler" Olaf Scholz, muss endlich loslegen – denn es ist klar, dass wir nicht mehr so weitermachen können, ohne dass Deutschland seine eigenen Klimaziele drastisch verfehlt.

Ausbau von erneuerbarer Energie läuft schleppend

Aktuell stammen circa 60 Prozent unseres Stromes aus konventionellen Quellen, also Kohle, Erdgas oder Atomenergie – der Rest aus erneuerbaren Energien. Laut Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung soll sich das deutlich ändern und bis 2030 sollen 80 Prozent unseres Stromes aus erneuerbaren Energien kommen. Um die 1,5 Grad Grenze einzuhalten, muss bis 2035 jeglicher Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen werden.

Doch der Ausbau lief in den letzten Jahren enorm schleppend. 2021 lag die Anzahl der neuen Windkraftanlagen sogar bei einem Rekordtief. Grund dafür sind meistens sehr strenge Abstandsregelungen oder der große bürokratische Aufwand. Insbesondere in Bayern stagniert aufgrund der geradezu absurden 10H-Regelung (Windräder müssen einen Abstand von mindestens Zehnfachen ihrer Höhe zur Wohnbebauung haben) der Ausbau seit Jahren quasi komplett. Um unsere Stromversorgung durch Sonne, Wind und Wasser bis 2035 zu sichern, muss der Ausbau von Windenergie fünf- bis sechsfach so stark sein wie in den letzten Jahren.

Statt auszubauen wird gebremst

Der Ausbau erneuerbarer Energien ist nicht nur notwendig, um enorme Mengen an CO2-Emissionen einzusparen, sondern ist auch der einzige Weg Deutschlands, Stromversorgung unabhängig von Diktatoren wie Putin und langfristig kostengünstig zu machen. Anstatt diesen Ausbau zu fördern, wurde er in den letzten Jahren durch stärkere Abstandsregelungen und veränderte Ausschreibungsverfahren immer weiter ausgebremst und blockiert. Auch die Ampel lässt hier mit klaren Ansagen und vor allem konkreten Taten auf sich warten.

Alle zwei Wochen melden sich Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.
Alle zwei Wochen melden sich Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.

Wie verändert sich die Energiepolitik durch den Angriff von Russland?

Aktuell führt der gestiegene Gaspreis zu einer stärkeren Nutzung von Kohle zur Energiegewinnung. Das Problem: Durch die Verbrennung von Kohle wird eine riesige Menge CO2 freigesetzt. Um die 1,5-Grad Grenze nicht zu überschreiten, haben wir ein maximales CO2-Budget für die kommenden Jahre – wenn wir also jetzt mehr Kohle verbrennen, müssen wir in den darauffolgenden Jahren die Nutzung deutlich rasanter zurückschrauben als bisher geplant.

Aktuell scheint der Kohleausstieg aber in weite Ferne gerückt zu sein – ganz zu schweigen von einem konkreten Gasausstiegsplan. Unter anderem, dass der Prüfbericht zum Kohleausstieg, welcher am 15. August von der Bundesregierung vorgelegt werden sollte, immer noch nicht nachgereicht wurde, ist alarmierend. Wir haben nicht mehr viel Zeit, um unsere gesamten Emissionen so stark herunterzufahren, dass wir nicht auf eine Erderwärmung von über 2,5 Grad zusteuern und die Kohle spielt eine riesige Rolle in Deutschlands CO2-Fußabdruck.

Eine so massive Erderhitzung wäre fatal. Die Folgen der Klimakrise können wir jetzt schon global und auch in Deutschland sehen und spüren. Allein dieser Sommer forderte bisher 85.000 Hitzetote in Deutschland, das sind deutlich mehr als in den vergangenen Jahren. Je stärker die Erderwärmung ist, desto drastischer sind auch die Folgen – das spüren die Menschen in den am stärksten betroffenen Gebieten schon seit langem. Mit jeder Tonne CO2, die wir ausstoßen, werden Hitzeperioden, Flutkatastrophen, Hungersnöte und viele weitere Szenarien immer wahrscheinlicher.

Wir müssen die Erderwärmung so gering wie möglich halten und dafür brauchen wir eine sozial gerechte und möglichst schnelle Energiewende, damit wir nicht vor unvorhersehbaren und unwiderruflichen Klimakatastrophen stehen.

Die Rolle des Dorfes Lüzerath

Umso erschreckender ist deshalb auch, dass sich die Bundesregierung immer noch nicht für den Erhalt von Lützerath ausgesprochen hat. Lützerath ist ein Dorf am Tagebau Garzweiler, welches in Gefahr ist, einfach abgebaggert zu werden. Der Grund dafür ist eine Kohleschicht unter den Dörfern.

In einer neuen Kurzstudie sehen wir ganz klar: wenn Deutschland sich an die 1,5-Grad-Grenze halten möchte, darf weder die Kohle unter Lützerath noch die unter einem der anderen Dörfer verfeuert werden. Drastischer ausgedrückt: mit der Kohle unter Lützerath steht und fällt die 1,5-Grad-Grenze und damit auch ein Versprechen der Bundesregierung an uns alle.

Lützerath als Symbolbild der Energiewende

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gibt es noch Kohlevorräte von 230 Millionen Tonnen. Um das 1,5-Grad-Limit einzuhalten, dürfen jedoch nur noch maximal 200 Millionen Tonnen Kohle verbraucht werden. Wenn weitere Kohle abgebaut und genutzt wird, um Strom zu erzeugen, überschreiten wir die 1,5-Grad-Grenze. Der Kampf um Lützerath ist ein Symbolbild für den generellen Kampf für eine Energiewende. 2022 darf kein weiteres Dorf, eine weitere Heimat für viele Menschen, fallen, nur um mit fossilen und klimaschädlichen Energien Strom zu gewinnen!

Cora Völker (16) ist Schülerin und bundesweit in der Öffentlichkeitsarbeit von Fridays For Future aktiv. Außerdem engagiert sie sich im Rettungsdienst und studiert als Frühstudentin Psychologie.
Cora Völker (16) ist Schülerin und bundesweit in der Öffentlichkeitsarbeit von Fridays For Future aktiv. bild: Finn Sanders

Damit die Bundesregierung ihre Versprechen hält, die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten und dafür die erneuerbaren Energien schnellstmöglich auszubauen, gehen wir am 23. September wieder global unter dem Motto #PeopleNotProfit auf die Straße.

"People not Profit"

Die Bedürfnisse der Menschen, wie beispielsweise eine kostengünstige klimaschonende Energieversorgung, müssen endlich über die Profite fossiler Konzerne gestellt werden. Es ist geradezu zynisch, dass eine Regierung, die behauptet Fortschritt und Verbesserung für alle Menschen bringen zu wollen, jetzt der fossilen Lobby so viel näher steht als uns. Umso mehr sind wir gefragt, uns zusammenzutun und für einander aufzustehen.

Wir werden nicht länger zusehen, wie die Regierung unsere Erfolge zurückdreht und sich in fossilen Debatten verliert. Gemeinsam haben wir für den Atomausstieg demonstriert, gemeinsam haben wir den Kohleausstieg erkämpft und gemeinsam werden wir auch jetzt wieder laut sein!

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