In Hannover brodelt seit einigen Jahren ein Streit, der weit über die Stadtgrenzen hinaus Wellen schlägt: Der Ausbau des Südschnellwegs. Was auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Infrastrukturverbesserung aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein Paradebeispiel für das Versagen in der deutschen Klima- und Verkehrspolitik.
Dass der deutsche Verkehrssektor seine Klimaziele meilenweit verfehlt, ist weitestgehend bekannt. Expert:innen werfen dem Bundesverkehrsministerium sogar Arbeitsverweigerung in Sachen Klimaschutz vor. Nach wie vor ist das Motto: Größer, schneller und mehr. Verkehrsplanungen basieren auf Prognosen, die mit immer stärker werdendem Verkehr rechnen und es sind keine Ambitionen zu erkennen, die Verkehrs- und Klimaziele einhalten zu wollen. Denn eigentlich dürfte 2030 nur noch knapp die Hälfte des Verkehrs auf deutschen Straßen fahren.
Auch die Region Hannover schreibt sich Klimaneutralität 2035 und eine CO2-Minderung der verkehrsbedingten Emissionen um 70 Prozent auf die Fahne.
Trotzdem sollen veraltete Straßenausbauprojekte, wie beispielsweise der Ausbau des Südschnellwegs in Hannover, nach wie vor umgesetzt werden. Der Südschnellweg führt durch ein beliebtes Naherholungs- und Landschaftsschutzgebiet mitten in der Stadt. Nun soll er von 14,5 auf 25 Meter verbreitert werden. Damit fallen über 16 Fußballfelder Bäume und Sträucher dem autobahnähnlichen Ausbau zum Opfer und machen Platz für Baustraßen, Asphalt und Teer.
Badeteiche und Liegewiesen sollen nun einer achtjährigen Baustelle weichen, die mehr als 580 Millionen Euro Steuergelder schluckt. Steuergelder, die wir für Klimaschutz und nicht für Klimazerstörung einsetzen müssen.
Vor zwei Jahren formierte sich der Protest gegen dieses Vorhaben. Es entstanden Petitionen mit zehntausenden Unterschriften, Demos mit tausenden von Menschen, Dauermahnwachen, wöchentliche Spaziergänge und eine Waldbesetzung, was schlussendlich dazu führte, dass das Bauvorhaben vorerst auf Eis gelegt wurde.
Der niedersächsischer Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) sicherte zu, das geplante Bauvorhaben zu überprüfen und "sehr ernsthaft [zu] diskutieren, was wir an dem Projekt noch anpassen können". Denn laut ihm müsse man sich fragen, ob "vor dem Hintergrund der Mobilitätswende [...], das Bauvorhaben in dieser Ausführung noch zeitgemäß ist".
Was zunächst wie ein Erfolg für die Klimabewegung aussah, erwies sich am Ende als reine Farce. Schnell wurde klar, dass es keine echte Bereitschaft gab, an den Plänen noch irgendetwas zu ändern. Ziel war es lediglich, die Akzeptanz dieses zerstörerischen Projektes zu steigern.
Hierfür rief Olaf Lies im Dezember 2022 einen sogenannten "runden Tisch" ein, wo im Rahmen von Expert:innen gemeinsam über das Projekt diskutiert werden sollte. Klare Ergebnisse, wie die aktuelle Planung des Südschnellwegs noch verbessert werden könnte, wurden aber auch nach über 16 Stunden fachlicher Diskussion nicht erzielt.
Es zeigte sich nämlich schnell, dass es keine gemeinsame Diskussionsgrundlage in der Expert:innenrunde gab. Es wurde beispielsweise immer wieder ignoriert, dass die Projektplanung auf einem erhöhten Verkehrsaufkommen beruht, Klimaziele jedoch eine Reduktion des Verkehrsaufkommens erfordern. Mit einem solchen Projekt ist es somit faktisch nicht möglich, die Klimaziele zu erreichen und eine Mobilitätswende in die Wege zu leiten. Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten. Olaf Lies negierte allerdings den Zusammenhang zwischen Klimazielen und Straßenausbau.
Und auch das Bundesverkehrsministerium erstickte alternative Lösungsansätze im Keim. Immer wieder wurde sich darauf berufen, dass keine Spielräume mehr vorhanden seien, um das Projekt klimagerecht anzupassen oder zu stoppen. Externe, unabhängige Expert:innengutachten zeigen jedoch das Gegenteil.
Für das Ministerium spielte das aber keine Rolle. Die Politiker:innen waren lediglich daran interessiert, ihre eigenen Pläne erneut zu bestätigen, ohne Änderungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Eine Gesprächsbereitschaft wurde als Vorwand genutzt, um die eigenen Bauvorhaben nicht wie versprochen zu hinterfragen, sondern zu legitimieren. Im Endeffekt sei alles bereits "planfestgestellt" und dieser Beschluss dürfe nicht angegriffen werden.
Diese Geschichte ist nicht auf Hannover begrenzt. Sie zeigt, wie wenig Interesse das Bundesverkehrsministerium hat, seine eigene Rolle beim Klimaschutz wahrzunehmen.
Volker Wissing und Co. schlagen dabei nicht etwa nur den falschen Weg ein, sie fahren sogar im Rückwärtsgang, machen Erfolge zunichte und fesseln uns für Jahrzehnte an fossile Verkehrsinfrastruktur. Das passiert nicht nur in Hannover, sondern überall in Deutschland.Aber selbst wenn sich die Politiker:innen dazu herablassen, sich ein Jahr lang Argumente anzuhören, selbst dann verstecken sie sich noch hinter einem Schlagwort: planfestgestellt.
Wenn ein Projekt vor Jahren einmal planfestgestellt wurde, dann reichen anscheinend keine Klimaziele, keine Demokratie, kein Protest und nicht einmal die Bereitschaft der Politik sich Argumente anzuhören, um an dem Projekt noch etwas zu ändern.
Planfeststellungsbeschlüsse sind angeblich zu groß, um sie tatsächlich anfechten zu können. Ein alter Planfeststellungsbeschluss übertrumpft somit auch ein neues Klimaschutzgesetz. Und schon von Anfang an heißt es in den Planfeststellungsbeschlüssen, dass Klimaschutz aufgrund anderer Belange zurückgestellt werden könne. Es ist an der Zeit, dass sich diese Mentalität ändert. Wenn Deutschland alle planfestgestellten Projekte umsetzt, dann verfehlt es seine Klimaziele. Eine Überprüfung all dieser Vorhaben auf Klimaziele ist also eine Notwendigkeit. Und bis dahin dürfen keine Fakten geschaffen werden.
Und gerade deshalb ist es jetzt so wichtig, ein deutliches Zeichen zu setzen. Denn in Hannover warten der West- und Messeschnellweg ebenfalls auf ihre Sanierung – und im ganzen Land noch zahlreiche andere Straßen und Projekte. Nicht mehr zeitgemäße Verkehrsprognosen und alte Beschlüsse dürfen diese Pläne nicht dominieren. Die Verkehrswende muss im Zentrum stehen. Denn ohne sie geht kein Klimaschutz.