Ein Dienstagabend Ende März. Meine Oma ist sauer. Gerade wurde die Hauptstadtpresse spontan in den Bundestag gerufen. Jetzt stellt die Ampel-Koalition dort vor, worauf sie sich nach langen und zähen Verhandlungen einigen konnte. Und meine Oma findet das gar nicht gut.
82 Jahre alt wird sie jetzt, hat jahrzehntelang die CSU gewählt, aber was der Herr Lindner und die anderen da oben machen, das gefällt ihr überhaupt nicht. Die verbauen unsere Zukunft, nichts geht vorwärts und die jungen Leute sollen das jetzt alles wieder ausbaden, beschwert sie sich. Und da ist sie mit ihrem Ärger nicht allein.
Auch eineinhalb Wochen nachdem die Ampel-Koalition endlich einen Beschluss vorlegen konnte, und diesen dann ironischerweise auch noch "Modernisierungspapier" nannte, ist die Empörung groß.
Dicke Luft in der Regierung. Man konnte sich nicht einig werden über zentrale Streitthemen, Briefe und giftige Kommentare in Talkshows wurden ausgetauscht, dazu scharfe Tweets. Es ging um den Klimaschutz, das Grundgesetz, guten Politikstil und weniger gute Kompromisse. Dann haben sich die Koalitionär:innen zu einer elendig langen Sitzung getroffen. Und schließlich, an diesem verhängnisvollen Dienstagabend, stellte man sich der Öffentlichkeit.
Sechzehn Seiten zur Zukunft Deutschlands sind entstanden. Und was da festgelegt wurde, hat es in sich.
Denn mit dem Beschluss der Ampel-Regierung soll das Klimaschutzgesetz de facto geschreddert und wichtige Kernpunkte einfach gestrichen werden. Die Herzstücke des Gesetzes, die Klima- und Emissionsziele der verschiedenen Sektoren, sollen einfach abgeschafft werden, genau wie jährliche Zwischenüberprüfungen. Stattdessen sollen die Emissionen in einer Gesamtrechnung aufgehen. Das bedeutet, dass sich einzelne Minister noch stärker verstecken und unter der Verantwortung wegdrücken können, in ihren Bereichen entschieden CO₂ einzusparen.
Besonders zugutekommt das – wer hätte es ahnen können – dem FDP-Verkehrsminister Volker Wissing. Der hatte es schon in den letzten zwei Jahren nicht geschafft, angemessene Klimapolitik umzusetzen, geschweige denn, die Ziele für seinen Sektor einzuhalten. Dass die jetzt einfach wegfallen, spielt ihm ordentlich in die Karten.
Was dem Verkehrsminister ebenfalls in die Karten spielen dürfte, ist das sogenannte Planungsbeschleunigungsgesetz. Damit sollen in Zukunft Bauprojekte noch schneller umgesetzt werden, die "von überragendem öffentlichen Interesse" sind.
Das ist erstmal praktisch, weil so zum Beispiel Solarparks oder Windräder schneller gebaut werden könnten. Aber das hat – und wen wundert auch das – einen Haken: Denn 144 Autobahnprojekte sind scheinbar von "überragendem öffentlichen Interesse" und damit der Neubau von 1400 Kilometern Straße. Für die FDP bedeutet Klimaschutz also tatsächlich, neue Autobahnen zu bauen.
Und so geht es weiter. Das Gesetz zum Einsatz klimafreundlicher Heizungen wird entschärft. Naturschutz kann jetzt auch erkauft werden.
Die positiven Veränderungen hingegen sind so lächerlich klein, dass sie beinahe keiner Erwähnung wert sind. Autobahnen sollen in Zukunft nur noch gebaut werden, wenn gleichzeitig Solaranlagen daneben entstehen und Bahn und Bus bekommen mehr Geld. Solarpaneele an der Autobahn sind keine Energiewende und ein bisschen mehr Geld für die Schiene bringt keine Verkehrswende.
Der Beschluss ist hauptsächlich eine blumige Umschreibung für massiven Rückschritt, ein fataler Schritt in die falsche Richtung. Nichts mehr als luftige Phrasen sind geblieben, von dem Gesetz, für dessen Verbesserung Fridays for Future noch 2021 erfolgreich klagte. Jetzt ist es nur noch eine leere Hülle und ein harter Schlag.
Langsam wird klarer, wie es dazu kommen konnte. Die FDP gibt sich fortschrittlich und "technologieoffen", wird aber damit immer mehr zur absoluten Blockade-Partei. Ausgerechnet Scholz, der im Wahlkampf so unbedingt Klimakanzler werden wollte, boykottiert und wollte die Sektor-Klimaziele sogar komplett abschaffen – obwohl seine eigene Partei die noch 2019 als großen Erfolg feierte.
Und die Grünen, die haben den Klimaschutz einfach aufgegeben. Der Chef-Grüne Habeck selbst musste resigniert feststellen, wie ungenügend der Beschluss ist, erklärte aber: "Mehr ist in dieser Koalition nicht möglich."
Aus der Koalition, die angetreten ist, Deutschland zukunftsfest zu machen, ist eine Regierung des Rückschritts geworden, die für kurzzeitige Profite und Eigeninteressen die eigenen Ideale und Zusagen verrät.
Im Schulterschluss mit der fossilen Lobby macht man dort im Zweifel doch lieber Politik des Stillstands: Ein bisschen was für den Klimaschutz, aber auch für den Ausbau der Straße. Überall ein bisschen schneller, aber auf keinen Fall zu viel, nur niemanden überfordern. Unambitioniert, rückwärtsgewandt, zerstörerisch. Statt Klimaschutz als gemeinsames Projekt anzugehen, lieber an die Grünen abschieben oder ganz verhindern – zugunsten des fossilen Zeitalters.
Und jetzt? Blockade, Resignation und fossile Besessenheit regieren unser Land. Wir sind entsetzt und entgeistert, wütend, enttäuscht und traurig – und nicht einverstanden mit den Beschlüssen der Koalition. Alle reden vom Klimaschutz, aber niemand setzt wirklich etwas um. Es sind keine guten Zeiten für den sozial-gerechten Wandel hin zu einer besseren Welt, aber genau deshalb ist er jetzt nötiger denn je. Genau deshalb darf die starke, klimabewegte Zivilgesellschaft nicht aufgeben.
Je mehr Blockade in der Politik, desto energischer und kraftvoller müssen wir handeln. Niemand hat gesagt, dass es leicht wird – aber alles geht den Bach runter, und das dürfen wir nicht zulassen.
Deshalb muss meine Oma sauer sein. Deshalb müssen Tausende in ganz Deutschland auf die Straße gehen. Deshalb muss ich diesen Text schreiben. Weil nichts Gutes passieren kann, wenn niemand mehr der Politik auf die Finger schaut. Gerade jetzt werden wir vielleicht mehr gebraucht, denn je. Und das werden wir auch tun.