Am 3. März war Fridays for Future auf den Straßen und hat für eine klimagerechte Verkehrswende demonstriert.bild: IMAGO / Müller-Stauffenberg
Gastbeitrag
Gastautorin – Franziska Wild
Die Verkehrswende lässt sich eigentlich simpel zusammenfassen: mehr Busse, mehr Züge, mehr Fahrräder, weniger Autos. So einfach das Konzept klingt, so langsam geht die Umsetzung voran. Obwohl die Klimakrise hier Prozesse beschleunigen sollte – könnte man meinen.
Als Dorfkind kenne ich das Problem: Egal ob zur Post, zum Arzt oder für den Wocheneinkauf – auf dem Land ist man vom Auto abhängig. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass viele Jugendliche in meinem Dorf sich gezwungen sehen, einen Führerschein zu machen, um dem Elterntaxi zu entfliehen.
Die Alternative: ein Bus, der zweimal täglich von Ortschaft zu Ortschaft tuckert. Die nächste Stadt, 30 Minuten mit dem Auto entfernt, ist schlimmstenfalls mit dem ÖPNV ohne Übernachtung unerreichbar. Somit wird aus einer Alternative eine Alternativlosigkeit.
"Die Verkehrswende im ländlichen Raum ist ein Dauerstillstand."
Verstärkt wird das durch den Rückzug von Dienstleistungseinrichtungen aus dem ländlichen Raum. In der Folge müssen die Menschen weitere Strecken zurücklegen, um ihren Alltag zu bewältigen. Ein gut ausgebauter ÖPNV, als ein wichtiger Teil der Lösung, liegt in weiter Ferne. Die Verkehrswende im ländlichen Raum ist ein Dauerstillstand.
Ausbauvorhaben auf dem Land angeblich nicht wirtschaftlich
Es ist offensichtlich: Es gibt ein Stadt-Land-Gefälle in der Verkehrswende. In der Stadt wird viel mehr Geld ausgegeben als auf dem Land und trotzdem wird auf dem Land noch jeder Euro infrage gestellt.
Mit anderen Worten: Jedes Vorhaben wird auf Wirtschaftlichkeit geprüft und das Grundrecht auf Mobilität für alle Menschen damit übergangen.
Alle zwei Wochen melden sich Aktivist:innen von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.Bild: www.imago-images.de / imago images
Das zeigt sich zum Beispiel bei der Reaktivierung von Bahnstrecken oder Takterhöhungen, die dringend notwendig wären. Als Planungsgrundlage wird untersucht, wie viele Menschen die Bahn auf bestimmten Strecken bereits nutzen. Das Ergebnis ist kaum verwunderlich: Auf dem Land sind es weniger als in der Stadt.
Geringe Nachfrage? Von wegen!
Somit scheitern Projekte im ländlichen Raum meist daran, dass Angebote auf Basis bestehender Nachfrage geschaffen werden und nicht zuerst ein gutes ÖPNV-Angebot etabliert wird, um dann die Nachfrage zu schaffen. Zu wenig potenzielle Nutzer:innen bedeuten das Aus für den ÖPNV-Ausbau. Denn wer möchte schon Steuergelder für einen zumutbaren ÖPNV auf dem Land verschwenden, wenn man das Problem Klimakrise ohnehin nicht ernst nimmt?
Alle zwei Wochen melden sich Aktivist:innen von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.
Man könnte schlussfolgern, dass einfach eine zu geringe Nachfrage auf Seiten der Bürger:innen bestehe. Mit diesem Argument werden paradoxerweise nicht allzu selten Bürgerinitiativen abgewimmelt, die allein durch ihr Dasein zeigen, dass Interesse besteht.
So auch in meinem Heimatlandkreis. Wir unterstützen eine Petition, die eine Takterhöhung und einen Ausbau der Bahn fordert. Mit 5000 Unterschriften machten wir auch den Rückhalt in der Region deutlich, sogar lokale CSU-Politiker unterstützen das Vorhaben. Beste Voraussetzungen also?
Nichts da: Der bayerische Verkehrsminister sieht für die Taktverdichtung keine Perspektive, die Nachfragezahlen seien zu gering.
Franziska Wild studiert Politikwissenschaft und engagiert sich nebenbei für Fridays for Future.bild: privat
Es müssen Alternativen zum Auto geschaffen werden
Pro Streckenkilometer müssten täglich mindestens 1000 Fahrgäste prognostiziert werden. Unsere Initiative wurde aufs Abstellgleis geschickt. Die Frage, wie die mehr als 30.000 Pendler, deren Arbeitsplatz sich außerhalb des Landkreises befindet, nun möglichst ökologisch und zeitlich effizient täglich von A nach B kommen, wird damit auch unter den Teppich gekehrt.
Es ist klar, dass wir für eine Wende hin zu emissionsarmer Mobilität echte Alternativen zum Auto brauchen. Dafür braucht es den Mut und die Entschlossenheit, diese einzuführen – denn Menschen nutzen die Mobilität, die ihnen geboten wird.
Eines der Beispiele für erfolgreiche Reaktivierung ist die Gräfenbergbahn bei mir zu Hause. In den 1990er war sie fast totgesagt, heute nutzen 5000 Menschen pro Tag die Bahnstrecke. Gerettet hat sie die Bahnreform nach der Wende.
Doch sie ist nicht die einzige Strecke, die von der Reaktivierung profitiert hat. Die Regiobahn in NRW wurde in den 90er Jahren als unwirtschaftlich eingestuft und 20 Jahre später fuhren fast 20.000 Menschen täglich mit ihr. Bei der City-Bahn in Chemnitz und an vielen weiteren Orten konnten die Fahrgastzahlen immens gesteigert werden.
Es braucht Carsharing und Mitfahrangebote
Doch der Ausbau von Bahnstrecken allein wird nicht ausreichen, um gleichwertige Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land herzustellen. Dafür wird es auch alternative Mobilitätsformen brauchen. Carsharing und Mitfahrangebote müssen ausgebaut werden, damit die Mobilität auf dem Land nicht davon abhängt, ob man sich einen Führerschein und ein eigenes Auto finanzieren kann und will.
Auch die Potenziale des Radverkehrs müssen für die Verkehrswende ausgeschöpft werden. In Bayern wird mit dem "Volksbegehren Radentscheid" ein erster Schritt getan, um komfortable und sichere Radwege und Radautobahnen zu schaffen. So können auch Tourist:innen emissionsarm die ländliche Natur erleben und Dorfkinder müssen nicht stundenlang an Bahnhöfen stehen.
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Guter ÖPNV in Stadt UND Land ist spätestens in Zeiten der Klimakrise zur Notwendigkeit geworden. Sobald Politiker:innen und Verkehrsunternehmen endlich anfangen, Strecken auszubauen, Digitalisierung anzustoßen und Tarife zu vereinheitlichen, können wir die Verkehrswende ins Rollen bringen!
Dabei müssen Zugänglichkeit, Bezahlbarkeit und faire Arbeitsbedingungen zentrale Bestandteile sind, dann erst kann es eine Mobilität für alle geben.
Bei vielen heißt es jetzt wieder: Kürbiszeit. Die großen, leuchtend orangefarbenen Früchte sind der Inbegriff für den Herbst und den Oktober. Kurz vor Halloween am 31. des Monats leuchten auch wieder Kürbisse mit geschnitzten Gesichtern vor einigen Haustüren.