"Und damit herzlich willkommen zum ersten Solarcamp von Fridays for Future Berlin!" Es ist der 21. August, Berlin. Fünfzehn Teilnehmer:innen im Alter von 16 bis 54 Jahren stehen in einem Raum, der vorne aussieht wie ein Klassenzimmer und hinten wie eine Baustelle.
Sie lernen hier in einer Woche von professionellen Ausbilder:innen die Grundlagen, wie man Solarzellen montiert, mit Wechselrichtern umgeht und wofür AC/DC außer einer Band noch steht. Wir veranstalten das Camp, weil Fachkräfte für den Solarausbau fehlen.
Es ist ein besonderer Tag für uns. Die längste Zeit, seit es uns gibt, haben wir Missstände angeprangert, Antworten gefordert und mit Hunderttausenden demonstriert. Dass wir heute hier zwischen Kabeln und Solarpanelen auf einem Modelldach stehen und ein Projekt initiiert haben, das zur Bekämpfung des Fachkräftemangels beitragen soll, spiegelt eine neue Rollenwahrnehmung unserer Bewegung wider.
In den Anfangsjahren von Fridays for Future haben wir Kämpfe für Präsenz geführt in einem Diskurs, in dem wir mehr als unerwünscht waren. Wir haben um Aufmerksamkeit für die Bedrohung durch die Klimakrise gekämpft. Und diesen Kampf haben wir gewonnen.
Das Klima ist überall: ob in Politik, Wirtschaft oder Bildung.
Das kam nicht über Nacht. Es war ein großer, gemeinsamer Erfolg, den wir nur durch unermüdliche Arbeit und Massen, die immer wieder auf den Straßen standen, erreicht haben. Und es bleibt unsere Aufgabe, diese Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Aber offensichtlich ist es damit noch nicht getan.
Heute sind wir an einem anderen Punkt.
Heute müssen wir Fakten schaffen, nicht Bewusstsein. Wir müssen um die Umsetzung kämpfen, nicht um die Aufmerksamkeit. Das ist eine andere, oft härtere Anstrengung.
Wenn Klimaschutz konkret wird, kommt immer auch Veränderung. Kohlekraftwerke gehen, Fahrradwege kommen, fossile Energien werden teurer. Dass das gerade in Zeiten sich überschlagender Krisen stark fordern, auch überfordern kann, ist absolut verständlich. Die Sache ist nur leider die: Darauf nimmt die Klimakrise keine Rücksicht.
Die Transformation zur Klimaneutralität muss auch dann weitergehen, wenn die Gesamtsituation fordernd ist. Denn wenn die Transformation nicht rechtzeitig umgesetzt wird, lässt uns die Klimakrise keinen Weg mehr, aus Überforderung und Krisen auszubrechen. Gerade haben wir als Gesellschaft noch die Freiheit, zu gestalten, wie wir Klimaschutz umsetzen wollen, wie wir ihn zum Werkzeug gegen soziale Ungerechtigkeit statt zum Verstärker dieser machen können. Diese Freiheit würden wir in einer eskalierten Klimakrise verlieren.
Konkrete Umsetzung anzustoßen und Veränderung mitzugestalten, ist also die neue Devise von Fridays for Future. Es ist ein tagespolitisches Bekenntnis zur Konstruktivität.
Das Gegenteil von Kritisieren, Verhindern oder Blockieren? Etwas aufzubauen. Und nichts anderes haben wir im Solarcamp eine Woche lang gemacht. Wir sind radikal konstruktiv, das liegt in unserer DNA.
Während man natürlich für den Klimaschutz auch hier und da Dinge kritisieren und verhindern muss – etwa Kohlekraftwerke oder die aktuelle Ampel-Idee, das von uns in höchster Instanz erkämpfte Klimaschutzgesetz massiv zu schwächen – so sehr ist Klimaschutz im Kern etwas, das geschaffen werden muss: Windräder müssen aufgestellt, Fahrradwege gebaut, Solarpanele montiert, Flächen begrünt und Schienen verlegt werden. Ohne Konstruktivität, ohne das Aufbauen, ohne das Schaffen neuer, klimafreundlicher Infrastruktur funktioniert es schlicht nicht.
Oft, wenn wir darüber reden, wie wir dieses Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft erreichen, dann reden wir über Gesetze. Wir reden über Klimaszenarien und Risiken, über Paragraphen oder, wie hier, über physische Infrastruktur. Und all das ist wichtig. Aber dabei wird oft das Wichtigste vergessen: die Menschen.
Die Menschen, die diesen Wandel in ihre Hände nehmen. Weil sich eben noch nie ein Radweg selbst gebaut, ein Windrad selbst gestellt oder ein Acker selbst bewirtschaftet hat. Überall in der Gesellschaft braucht es die Menschen, die aus abstrakten Plänen konkrete Transformation bauen, die Klimaschutz in ihre Berufswelt mit einbeziehen, Weiterbildungen organisieren oder sogar bereit sind, ihren Job zu wechseln. Laut aktuellen Studien fehlen in Deutschland alleine für den Ausbau von Solar- und Windenergie über 216.000 Fachkräfte. Falls Sie also gerade sinnvolle Arbeit suchen – denken Sie mal drüber nach.
Was diese Menschen auch brauchen, sind faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen. Wir reden viel von Klimagerechtigkeit, und oft finde ich den Begriff zu abstrakt. Hier passt er. Die Umsetzung von Klimaschutz zu verbinden mit der Forderung nach sozial gerechten und nachhaltigen Arbeitsplätzen –das ist grundlegend, wenn man Klima und Gerechtigkeit verbinden will. Deswegen haben wir in den letzten Jahren etwa eine Zusammenarbeit mit ver.di begonnen und mit den Angestellten des ÖPNV für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt.
Die Konfliktlinie beim Klima verläuft nämlich nicht, wie oft behauptet, zwischen Klimaschutz und arbeitender Bevölkerung. Im Gegenteil: Die Konfliktlinie verläuft zwischen den 99 Prozent der Gesellschaft, die sowohl von Klimaschutz als auch von mehr sozialer Gerechtigkeit profitieren würden, und dem einen Prozent. Den Chefs fossiler Konzerne und ihren Verbündeten, die fossilen Profiteure, die mutwillig versuchen, diese beiden Gruppen gegeneinander auszuspielen. Ihr Geschäftsmodell ist aufgebaut auf sozialer Ausbeutung von Menschen und Zerstörung von Umwelt und Klima.
Gegen diese Zerstörung streiten wir als Fridays for Future. Mit Demonstrationen, weil wir weiterhin große Massenproteste brauchen, um Veränderung zu erwirken, aber eben auch mit Solarcamps, wie im August in Berlin. Nicht, weil wir damit die Fachkräftelücke schließen könnten, sondern als politisches Signal. Weil wir in breiten gesellschaftlichen Allianzen für Gerechtigkeit und Klimaschutz kämpfen wollen. Weil die Aufmerksamkeit da ist und wir sie jetzt in Handlungen übersetzen müssen – und können! Und weil wir in diesen Zeiten nicht radikal auf der Straße sein wollen, sondern radikal in unserer Wirksamkeit, radikal in unserer Konstruktivität. Sind Sie dabei?