Die Ampelkoalition gab sich stets zutiefst symbolverliebt. Im Berliner Zukunftsmuseum "Futurium" stellte die Spitze zum Beispiel 2021 ihren Koalitionsvertrag vor. Ein passend gewählter Ort für die selbsternannte Fortschrittskoalition. Mit dem Fortschritt war es dann nicht weit her. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine riesige Lücke.
Das gilt besonders für die Klimapolitik: Statt eines 1,5 Grad-konformen Kohleausstiegs wird das Dorf Lützerath mit seinen 280 Millionen Tonnen Braunkohle den Baggern von RWE zum Fraß vorgeworfen. Statt einer gerechten Mobilitätswende werden 144 neue Autobahnprojekte umgesetzt.
Statt fossilen Investitionen konsequent den Rücken zu kehren, werden gigantische Flüssiggasterminals an Deutschlands Küsten errichtet. Und das versprochene Klimageld, das für sozialen Ausgleich beim Klimaschutz sorgen sollte? Darauf warten wir noch heute.
Paradoxerweise war die Ampel gleichzeitig die Bundesregierung, die bisher am meisten für den Klimaschutz getan hat. Das Ausstiegsdatum aus der schmutzigen Braunkohle konnte vorgezogen werden, das Klimaziel der Bundesregierung wurde nachgebessert und beim Ausbau der Erneuerbaren Energien geht es steil bergauf.
Im ersten Halbjahr 2024 kamen über 60 Prozent des Stroms in Deutschland aus Erneuerbaren Energien und letztes Jahr wurden 15,5 Gigawatt Solaranlagen installiert – das ist fast so viel wie in Peter Altmaiers gesamter Amtszeit als Wirtschaftsminister. Auch wenn die Ampel Deutschland bedeutend näher an unsere Klimaziele gebracht hat, unterm Strich bleibt es viel zu wenig.
Mit dieser zutiefst widersprüchlichen Klimabilanz hat die Ampel viele junge Menschen enttäuscht, die zu Millionen für Klimagerechtigkeit auf die Straße gegangen sind und denen eine Politik versprochen wurde, die unsere Rechte und Bedürfnisse in den Mittelpunkt rückt.
Eine Woche vor den Neuwahlen, am 14. Februar nächsten Jahres, wird Fridays for Future bundesweit auf die Straße gehen und klarstellen, dass die Parteien das Vertrauen von uns jungen Menschen zurückgewinnen müssen. Fridays for Future ist nicht jahrelang auf die Straße gegangen, damit Klimaschutz in Trippelschritten erfolgt, sondern für eine Klimapolitik, die dem Ausmaß der Krise gerecht wird.
Die Ampelkoalition hatte in Wahrheit nie eine klare Richtung, nie einen gemeinsamen Kurs. Sie ist daran gescheitert, die Klimakrise nicht als gemeinsame Herausforderung zu begreifen, sondern als Klientelthema der Grünen abzutun.
In kaum einem Moment ist das so offensichtlich geworden, wie in den Beschlüssen des Koalitionsausschusses aus dem März 2023. Die Einigung nach 48 Stunden Verhandlungsmarathon sah allen Ernstes vor, neue Autobahnen zu bauen und als Ausgleich entlang jedes neu gebauten Autobahnkilometers Flächen für Solaranlagen zu schaffen. Straßenbau und Klimaschutz solle man eben zusammendenken, hieß es dazu im Koalitionspapier.
Das ist ungefähr so sinnvoll, wie Kettenrauchen und Krebsprävention zusammenzudenken. Aber so sieht wohl das Ergebnis aus, wenn die klimapolitische Verantwortung in einer Koalition einer einzelnen Partei zugeschoben wird – ganz unabhängig von der Frage, ob diese dem gerecht wird.
Trotz aller Beschwörungen der Zeitenwende hat die Ampel viel zu oft business-as-usual-Politik in einer Zeit betrieben, in der rein gar nichts as usual ist. Unsere Gesellschaft erlebt mehrere große Krisen gleichzeitig – der Ukrainekrieg, die Inflation und gestiegene Lebenshaltungskosten, die Energiekrise.
Zwar ist es durchaus normal, dass sich eine Regierung in solchen krisengebeutelten Zeiten nicht nur mit der Klimakrise beschäftigt – genauso wie die Menschen im Land – aber sie muss anerkennen, dass es keine nachhaltige Lösung für irgendeine politische Notlage geben kann, wenn man die Erderwärmung ausblendet. Die Klimakrise ist nicht die einzige große Krise, aber sie ist die einzige, die alle anderen verschärft. Deshalb muss sie der rote Faden jeder politischen Agenda sein, die Demokratie, Stabilität und Gerechtigkeit langfristig erhalten will.
Die ewige klimapolitische Blockadehaltung der FDP, das laute Schweigen des SPD-Kanzlers, die Defensivhaltung der Grünen: Die Ampel war in vielerlei Hinsicht charakteristisch für die Ratlosigkeit, mit der die demokratischen Parteien – wenn auch nicht gleichermaßen – der Klimakrise gegenüber stehen.
Christian Lindners FDP lenkt von ihrem programmatischen Vakuum ab, indem sie Kulturkampf gegen Klimaschutz und Stimmungsmache gegen Klimaaktivisten betreibt. Dabei ist sie sich für keine Anbiederung an rechte Rhetorik zu fein. Die SPD versucht es hingegen eher mit Schweigen. Dass Olaf Scholz einmal den Titel Klimakanzler beansprucht hat, davon wollte er schnell nichts mehr wissen.
Stattdessen treibt er auf dem internationalen Parkett fossile Gasdeals voran und drängt sogar darauf, ein neues Gasfeld vor der Nordseeinsel Borkum, mitten im UNESCO-Weltkulturerbe Wattenmeer zu erschließen. Aber die Realität der Klimakrise lässt sich nicht ignorieren oder totschweigen.
Spätestens bei der nächsten Flutkatastrophe oder dem nächsten Waldbrand holt die Wirklichkeit uns wieder ein, so wie diese Stunden die Flut in Großbritannien.
Die Parteien müssen jetzt ihre Lehren aus dieser neuen Weltlage ziehen: Die Zeiten sind vorbei, in denen man die Klimakrise erfolgreich aussitzen konnte. Sie müssen dringend echte und konsequente Klimaschutzpläne entwickeln. Denn ein Wahlkampf, in dem die Klimakrise nicht thematisiert wird, wäre schlichtweg ein Wahlkampf ohne die Realität.
Kanzler Scholz trifft dabei eine besondere Verantwortung. Er muss in den verbleibenden Monaten im Amt klimapolitisch alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ausreizen, weil wir uns eine Verschnaufpause beim Klimaschutz nicht leisten können.
Und er muss sich als SPD-Kanzlerkandidat entscheiden, auf welcher Seite er stehen will: auf der Seite fossiler Zerstörung durch Großkonzerne oder auf der Seite der Menschen und einer lebenswerten Zukunft?
Die Menschen fordern mehr Klimaschutz von der Regierung, und zwar zu einer überwältigenden Mehrheit: Studie für Studie misst die Zustimmung zum Klimaschutz bei weit über 80 Prozent. Sich vor dieser Erwartung der Bevölkerung wegzuducken, ist eines Kanzlers wohl kaum würdig.
Mit dem Druck von Fridays for Future kann der Kanzler dabei rechnen. Bei den anstehenden Parteitagen werden Klimaaktivist:innen vor Ort sein und den Parteien genau auf die Finger schauen. Und am 14. Februar 2025 soll es eine bundesweite Demonstration geben, um eine Woche vor der Bundestagswahl Klimaschutz als Priorität der kommenden Regierung einzufordern.
Aktuell sind es keine leichten Zeiten, um sich für das Klima einzusetzen. Aber gleichzeitig braucht es jetzt vielleicht mehr klimaaktivistischen Druck denn je zuvor. Den Luxus, die Weltlage als Zuschauer:innen zu betrachten, gibt es in diesen Zeiten nicht mehr.
Wir stehen vor der Wahl, den Kopf in den Sand zu stecken und vor den Krisen zu kapitulieren, oder mit doppelter Kraft für unser Recht auf Klimaschutz zu kämpfen.