Nachhaltigkeit
Gastbeitrag

Fridays for Future: Regierung riskiert nächsten Rückschritt in Klimapolitik

15.09.2023, Berlin: Klimaaktivistin Luisa Neubauer motiviert die Protestaktion der Klimaschutzbewegung Fridays for Future in der Reinhardtstra
Weil die Ampel-Regierung ihren Aufgaben beim Klimaschutz nicht richtig nachkommt, muss Fridays for Future weiter Druck machen. Bild: dpa / Annette Riedl
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Fridays for Future: Nächster Rückschritt der "Fortschritts"-Regierung

20.10.2023, 15:17
vincent gewert, gastautor
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Schon seit einigen Monaten schraubt die Bundesregierung am Herzstück ihrer Klimapolitik herum – dem Klimaschutzgesetz (KSG). Das KSG ist sozusagen der Organisationsplan für Klimaschutz: Es legt für jeden Sektor (Gebäude, Verkehr, Industrie etc.) fest, wie viele Emissionen dort jährlich noch ausgestoßen werden dürfen. Somit entsteht ein detaillierter, sektorspezifischer Fahrplan zur Klimaneutralität. Außerdem enthält es einen Kontrollmechanismus: Verfehlt ein Sektor seine Ziele, muss das zuständige Ministerium ein Sofortprogramm vorlegen, um die Lücke zu schließen.

Doch dieser Fahrplan soll nun zur bloßen Orientierungsstütze degradiert werden. Denn eine Umsetzung der vorgesehenen Reform – im April vom Koalitionsausschuss anvisiert und jetzt in einem Referentenentwurf konkretisiert – käme einer Entkernung des Gesetzes gleich. Damit begeht die angebliche "Fortschritts"-Koalition erneut einen fatalen klimapolitischen Rückschritt.

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Nebelkerze: Verschiedene Ressorts werden aus Verantwortung gezogen

Zunächst einmal sollen die Sektorziele an Bedeutung verlieren. Künftig muss nicht mehr jeder Sektor seine Ziele für sich erreichen. Stattdessen wird anhand einer "sektorübergreifenden, mehrjährigen Gesamtrechnung" ermittelt, ob jährliche Ziele insgesamt erfüllt werden. Spart ein Sektor in einem bestimmten Jahr also nicht genügend Treibhausgase ein, könnte diese Verfehlung ohne Konsequenzen von einem anderen Sektor ausgeglichen werden.

Bei der Betrachtung ist es außerdem nicht mehr entscheidend, ob rückblickend die Sektorziele des letzten Jahres erreicht wurden; es zählt nur noch, ob die Gesamtziele für 2030 erreicht werden. Doch was auf den ersten Blick nach mehr Effizienz und Flexibilität klingt, ist in Wirklichkeit eine Nebelkerze: die einzelnen Ressorts werden aus der Verantwortung gezogen.

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Alle zwei Wochen melden sich Aktivist:innen von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.

Denn bislang war schnell offensichtlich, welche Minister:innen um Klimaschutz zumindest bemüht waren. Dienstverweigerer wie Volker Wissing von der FDP mussten zusätzliche Maßnahmen zur Nachsteuerung vorlegen. Mit der Novelle soll zwar formal die Gesamtverantwortung der Bundesregierung gestärkt werden, hinauslaufen wird es aber schlicht auf Verantwortungsdiffusion zwischen den Ressorts. Das sieht auch der Expertenrat für Klimaschutz so, der schon im März "dringlich auf die möglichen abträglichen Folgen einer Aufweichung des strengen Ressortprinzips" hinwies.

Damit steigt die Gefahr, dass die Transformation von Problemsektoren wie dem Verkehr noch weiter in die Zukunft verschleppt wird. Und eine fast schon zynische Tatsache: Momentan ist gar kein Sektor bereit, einem anderen Emissionseinsparungen abzunehmen. Die Bundesregierung setzt also auf "Flexibilisierung", obwohl gar kein Spielraum dafür da ist.

Robert Habeck: "Keine Sau" hält sich ans Klimaschutzgesetz

Eine weitere fatale Änderung wäre die zeitliche Verschleppung der Überprüfung. Künftig soll nämlich nicht mehr jedes Jahr, sondern nur noch alle zwei Jahre überprüft werden, ob die Bundesregierung klimapolitisch noch auf dem richtigen Weg ist.

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Bekanntermaßen reichen die momentanen Maßnahmen der Bundesregierung immer noch nicht aus, um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen (welche übrigens wiederum auch nicht dazu ausreichen, einen fairen Beitrag zum Pariser Abkommen zu leisten). Und die Reaktion der Bundesregierung darauf? Einfach seltener überprüfen, ob sie überhaupt endlich mal an der Kurve der vorgegebenen Emissionsminderung kratzt.

Vincent Gewert ist seit 2019 bei Fridays for Future und kümmert sich vor allem um die Kampagnenplanung.
Vincent Gewert ist seit 2019 bei Fridays for Future und kümmert sich vor allem um die Kampagnenplanung.bild: privat / Bernd Nees

Robert Habeck sagt, "keine Sau" habe sich an das KSG gehalten. Es brauche konkrete Maßnahmen statt Ziele. Nur: Wo sollen nach dieser Reform die Maßnahmen herkommen? Volker Wissing wird vielleicht nie zum Klimaminister. Dass er seine Anstrengungen aber plötzlich steigert, wenn ihn weder Recht, Parlament noch Zivilgesellschaft auf die Ziele des Verkehrssektors festnageln können, scheint ausgeschlossen. Selbiges gilt auch für alle anderen Ministerien, die momentan ihre Ressortziele fast oder tatsächlich verfehlen (werden). Als Steuerungsmechanismus ist das KSG eben unverzichtbar.

Letztlich belegt Habecks Aussage also vor allem das mangelnde Ambitionsniveau der Ampel. Mit dem KSG gibt es eigentlich einen Kontrollmechanismus, der Regierungsmitglieder bei klimapolitischem Versagen in die Spur bringen soll. Die logische Konsequenz aus der Verweigerungshaltung einiger Minister:innen wäre es, das Gesetz zu verschärfen (etwa durch einen Sanktionsmechanismus für Ressorts, die ihre Klimaziele nicht einhalten). Die Ampel hingegen schwächt einfach die Selbstkontrolle ab. Damit versteckt sie ihr eigenes Versagen und passt das KSG dem unterirdischen Niveau der eigenen Klimapolitik an.

Parteipolitische Agenda der FDP wird durch Abschwächung des KSG deutlich

Das führt auch schon näher zum eigentlichen Skandal der geplanten Reform: Sie verdeutlicht die fehlende klimapolitische Glaubwürdigkeit der Ampel-Regierung. Denn der Antreiber der Reform ist kein inhaltliches Argument, das die Änderung des KSG klimapolitisch sinnvoll erscheinen ließe. Die Schlagwörter "Flexibilität" und "Effizienz", mit denen die Reform nun nach außen hin verkauft wird, passen zwar auch gut in den klimapolititischen Sprech der FDP. Da aber weder jetzt noch in Zukunft Spielräume für einen "Lastenausgleich" zwischen Sektoren bestehen, werden sie absehbar ins Leere führen.

Somit steht hinter den Änderungen letztlich die parteipolitische Agenda der FDP, die ihre Minister:innen aus der Schussbahn nehmen möchte.

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Den anderen Koalitionsparteien fehlt es hier bislang erkennbar am politischen Willen, den Alleingängen der FDP endlich etwas entgegenzusetzen. Bei den Grünen gibt es zwar auch Bauchschmerzen gegenüber der Reform, viele sind aber nicht bereit, politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen. Die SPD scheint insgesamt unentschlossen, aber kaum jemand bricht wirklich eine Lanze fürs KSG.

Und so liegt es wohl wieder an der Klimabewegung, die Entkernung des KSG zu verhindern. Eigentlich eine groteske Situation, denn vor zwei Jahren wurde erst durch unsere Klimaklage die Verfassungswidrigkeit der damaligen Version anerkannt; und schon seit seiner Verabschiedung 2019 fordern wir eine Verschärfung des KSG, die endlich dem Pariser Abkommen gerecht werden soll. Die Ampel hingegen würde nach einem Sommer voller Extremwetterereignisse den nächsten klimapolitischen Rückschritt begehen.

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