Nachhaltigkeit
Gastbeitrag

"Lützerath lebt!": Fridays for Future kämpft für den Erhalt des Dorfs

12.01.2023, Nordrhein-Westfalen, Keyenberg: Rangelei zwischen Demonstranten und Polizisten. Der Energiekonzern RWE will die unter Lützerath liegende Kohle abbaggern - dafür soll der Weiler auf dem Geb ...
Bei der Räumung in Lützerath kam es zur Rangelei zwischen Demonstrant:innen und Polizist:innenBild: dpa / Roberto Pfeil
Gastbeitrag

"Lützerath lebt!": Fridays for Future kämpft für den Erhalt des Dorfs

13.01.2023, 11:31
gastautorin - Darya Sotoodeh
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Eine lange Landstraße führt zum Eingang des kleinen Dorfs Lützerath. Schaut man von dort aus nach rechts, ist die gigantische Kohlegrube zu sehen. Sie ist keine hundert Meter mehr von der kleinen Ortschaft entfernt. Auf der linken Seite sieht man Bäume, nicht selten mit Baumhaus. Außerdem einige bunt angemalte Wohnhäuser.

09.01.2023, Nordrhein-Westfalen, Erkelenz: Klimaschutzaktivisten sitzen am Dorfrand von Lützerath. Das Dorf Lützerath soll zur Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II abgebaggert werden. Foto ...
Aktivist:innen besetzen das Dorf Lützerath, damit es nicht abgebaggert wird.Bild: dpa / Oliver Berg

Der Ort ist seit mehreren Jahren von der Räumung bedroht. Der Energiekonzern RWE hatte den Plan, Lützerath und zahlreiche umliegende Dörfer, abzureißen und anschließend die Braunkohle, die sich im Boden unter den Dörfern befindet, abzubauen. So soll der nahe gelegene Tagebau Garzweiler II erweitert werden. Die Dörfer wurden evakuiert, die Bewohner:innen mussten unter immer stärker werdendem Druck ihre Heimatorte verlassen.

Besucher:innen lassen das Dorf aufblühen

Als von den ursprünglichen Bewohner:innen fast niemand mehr in Lützerath lebte (der Landwirt Eckardt Heukamp kämpfte bis zuletzt gegen die Entscheidung), nahmen sich vor etwa drei Jahren Klimaaktivist:innen der Aufgabe an, das Dorf am Leben zu erhalten.

Seitdem ist die Struktur immer weiter gewachsen, es kamen zahlreiche Menschen zu Besuch, viele blieben länger. Das Leben im potenziellen Geisterdorf blühte wieder auf.

Alle zwei Wochen melden sich Aktivist:innen von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.
Alle zwei Wochen melden sich Aktivist:innen von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.

Am Mittwoch aber begann die Polizei mit der Räumung. Kurz zuvor hatten Polizist:innen den Ort umzäunt, sodass die Menschen Lützerath weder verlassen, noch andere die Ortschaft betreten können. Zumindest nicht, ohne Repressionen befürchten zu müssen. Die Aktivist:innen, die unter diesem hohen Risiko gerade trotzdem vor Ort bleiben, leisten einen entscheidenden Beitrag. Und wir unterstützen sie von außen, wo wir nur können.

Denn Lützerath muss bleiben.

"Es geht hier nicht 'nur' um ein Dorf. Es geht um den Kampf gegen die Klimakrise, um die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und globale Gerechtigkeit."

Warum?

Es geht hier nicht "nur" um ein Dorf. Es geht um den Kampf gegen die Klimakrise, um die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und globale Gerechtigkeit: Die Freigabe Lützeraths an RWE ist durch einen Deal mit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und der Bundesregierung entstanden. Diese haben in diesem Zusammenhang den Kohleausstieg für 2030 beschlossen, außerdem den Erhalt der umliegenden Dörfer. RWE willigte ein. Nur ein Dorf sollte noch weichen – Lützerath.

Räumung von Lützerath wäre nicht notwendig

Dieser Deal mit RWE ist also Grund für die Räumung Lützeraths. Alles andere spricht klar dagegen: Man kann auf die Kohle unter Lützerath verzichten, ohne die Energiesicherheit zu gefährden. Ganz im Gegenteil, der Ausstoß der sich unter Lützerath befindenden Kohlemenge (insgesamt ca. 280 Mio. Tonnen CO₂) würde die Klimakrise enorm anheizen. Damit kann Deutschland seine Ziele für die im Pariser Klimaabkommen 2015 beschlossene 1,5 -Grad-Grenze nicht mehr einhalten. Das belegen mehrere Studien, beispielsweise des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Die Erde steuert momentan auf eine Erhitzung von drei Grad zu. Die Begrenzung auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter ist schon Schadensbegrenzung genug. Bereits heute verlieren tausende Menschen auf der ganzen Welt ihr Zuhause, ihre Existenz oder sind auf der Flucht vor den Folgen der Klimakatastrophe. Und diese Konsequenzen werden nur stärker, wenn die Klimakrise nicht aufgehalten wird. Überschwemmungen wie jene in Pakistan im Jahr 2022 kosten zahlreichen Menschen das Leben, in Pakistan allein über 1300.

Aktivist:innen kommen auch aus dem globalen Süden

Die deutsche Bundesregierung trägt eine enorme Verantwortung. Historisch betrachtet ist Deutschland der viertgrößte CO₂-Emittent weltweit und im globalen Vergleich zudemsehr wohlhabend. Auch wenn dieser Wohlstand nicht gerecht verteilt wird.

Währenddessen leiden Staaten des globalen Südens unter neokolonialer Ausbeutung, nicht selten durch Konzerne des globalen Nordens, die andere Länder aufgrund ihrer Rohstoffe in eine wirtschaftliche Abhängigkeit zwingen (beispielsweise Total Energies, Heidelberg Materials oder Nestlé).

Es geht hier also um weit mehr.

Und es ist umso bemerkenswerter, dass etliche Aktivist:innen aus dem globalen Süden ihre Solidarität mit Lützerath bekunden, manche den Ort sogar besucht haben.

Und trotz alledem soll Lützerath abgebaggert werden. Trotz der Klimaschädlichkeit, trotz der Sinnlosigkeit und trotz der Tatsache, dass sich gerade hunderte von Menschen in Lützerath befinden und den Ort zu ihrem Zuhause gemacht haben und Tausende diesen Protest unterstützen.

Es bleibt nur ein Grund: die Verhandlungsmacht eines Großkonzerns.

Es ist bezeichnend, dass hier ein Konzern darüber entscheidet, ob tausende Menschen weiter unter der Klimakrise leiden. Diese Entscheidungsmacht sollte eigentlich bei der Regierung liegen, die im besten Fall zum Wohle aller entscheidet.

"Dank des Engagements so vieler Menschen steht dieser Ort bis heute und ist weiterhin lebendig."

Stattdessen müssen wir die Klimagerechtigkeit selbst in die Hand nehmen. In Lützerath passiert das in diesem Moment. Dank des Engagements so vieler Menschen steht dieser Ort bis heute und ist – trotz der Evakuierung der eigentlichen Bewohner:innen – weiterhin lebendig.

Wer Lützerath einmal besucht hat, sieht, wie Klimagerechtigkeit aktiv umgesetzt wird. In der Besetzung werden nicht nur Wohnräume, in denen alle willkommen sind, geschaffen, sondern eine Utopie, die existiert. Eine gelebte Utopie, so bezeichnen es die aktuellen Bewohnerinnen und Bewohner. Lützerath ist vielfältig und schön. Man sieht selbstgebaute Hütten, die mühevoll und kreativ eingerichtet wurden, gemütliche Sofaecken im Freien, hier eine Hängematte, eine Schaukel, da ein Beet, gemalte Bilder. Viel Holz, viel Grün, viel Kreativität an diesem Ort direkt neben der dystopischen Kohlegrube.

Hin und wieder vergisst man sie fast.

An diesem Ort sind sich die Menschen den ungerechten Strukturen bewusst, auf denen die Welt gebaut ist. Deshalb können sich marginalisierte Menschen ihre eigenen Räume schaffen, sich gegenseitig bestärken. Und gemeinsam mit allen anderen gegen das System kämpfen, das von der Unterdrückung profitiert – das Profite und Wirtschaftswachstum über Menschenleben stellt. Ob in Lützerath oder sonst wo auf der Welt. Menschen schließen sich zusammen, um gemeinsam solidarisch gegen ein kapitalistisches Wirtschaftssystem zu kämpfen.

Also lasst uns Lützerath erhalten, uns davon inspirieren und das ein oder andere Element gelebter Klimagerechtigkeit hinaus in die Welt tragen!

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