Man kann der Evolution vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie keinen Sinn für Eleganz gehabt hätte. Nehmen wir die Qualle: ein durchsichtiger Beutel voller Wasser, ohne Gehirn, ohne Knochen, ohne erkennbare Richtung im Leben, und doch gleitet sie mit stoischer Ruhe durch die Ozeane.
Dass gerade sie nun zur Muse einer technologischen Entwicklung wird, ist kein Zufall. Es ist das nächste Kapitel in einer Geschichte zwischen Biolumineszenz und Bytes.
Ein japanisches Forschungsteam rund um den Robotikprofessor Dai Owaki hat das Schwimmverhalten von Ohrenquallen (Aurelia coerulea) mithilfe feiner elektrischer Impulse beeinflusst und die Ergebnisse im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlicht.
Ziel war es, herauszufinden, ob sich ein Impulsmuster identifizieren lässt, das von der Qualle akzeptiert wird, sodass sie ohne Stress in gleichmäßiger Geschwindigkeit schwimmen kann. Parallel entwickelte das Team ein leichtgewichtiges KI-System, das die Bewegungen der Qualle präzise vorhersagen kann.
Eine Mischung aus Biologie, Informatik und Meeresforschung: Elektroden am Muskelring der Tiere, Pulse alle 1,5 bis 2 Sekunden, Kamera, Spiegel, 3D-Auswertung am Laptop.
Quallen gelten laut dem Forschungsteam als ideale Kandidaten, wenn es darum geht, die Verbindung zwischen Biologie und Technik auszuloten. Nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Schlichtheit. Ihre erstaunlich effiziente Art, sich durch das Wasser zu bewegen, macht sie zu einem natürlichen Vorbild für Technologien, die mit minimalem Energieaufwand arbeiten.
Die anmutige Bewegung der gläsernen Körper, die lautlos durchs Meer gleiten, hat das Forschungsteam dazu inspiriert, eine Technik zu entwickeln, die sich nicht gegen, sondern mit dem Ökosystem entfaltet, im Takt der Natur.
Entscheidend war die Synchronisation mit dem natürlichen Rhythmus der Qualle: stärkere oder schnellere Impulse führten zu unkoordinierten Bewegungen. In Kombination mit einem KI-Modell gelang es dem Team, Vorhersagen über Richtung und Geschwindigkeit der Schwimmbewegung zu treffen.
In "Nature Communications" heißt es:
Die Forscher:innen betonten dabei, dass die elektrischen Impulse gezielt so gewählt wurden, dass sie "von der Qualle akzeptiert" werden und "ohne übermäßigen Stress" wirken.
Jene Quallen-Cyborgs könnten in Zukunft eingesetzt werden, um allerlei Meeresdaten zu sammeln – etwa zu Temperatur, Salzgehalt oder Mikroplastik – ganz ohne Motor, ohne Emissionen, ohne die Umwelt zu belasten.
Die Tiere bräuchten kaum Energie, verursachten keine Störungen und könnten monatelang durch die Ozeane gleiten. So entstünde ein lebendiges Messnetz für Klimadaten, das Hightech und Tierreich auf bisher undenkbare Weise verbindet.