Nachhaltigkeit
Interview

Taucherin Anna von Boetticher: Spuren des Klimawandels in der Unterwasser-Welt

Anna von Boetticher
Große Teile der Unterwasserwelt sind noch immer kaum erforscht. Genauso wie ihr Potenzial im Kampf gegen den Klimawandel.Bild: Nuno Sá / Nuno Sá
Interview

Apnoe-Taucherin zum Klimawandel: "Hoffnung gibt es überall, auch im Meer"

Anna von Boetticher ist deutsche Rekordhalterin im Apnoe-Tauchen – also komplett ohne Sauerstoffflasche, mit nur einem einzigen Atemzug. Sie erlebt die Welt unter Wasser hautnah. Im Interview mit watson berichtet sie, was sie an der Tiefe fasziniert und warum ihr der Blick in die Tiefe Hoffnung gibt.
26.02.2023, 15:3227.02.2023, 11:11
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watson: Anna, du tauchst schon über die Hälfte deines Lebens in unterschiedlichsten Meeren weltweit – inzwischen müssten dir eigentlich Kiemen wachsen. Was fasziniert dich an der Tiefe der Ozeane?

Anna von Boetticher: Mich fasziniert schon immer das Unbekannte. Als Kind wollte ich unbedingt Astronautin werden, zum Mond und Mars fliegen und die endlosen Weiten des Weltalls erkunden. Genauso aber zogen mich die Tiefen der Meere an, die für uns Menschen nur sehr schwer zu erleben und bis heute kaum erforscht sind. Mich dort aufhalten zu können, ist jedes Mal ein besonderes Erlebnis.

"Man übt, sich mit Körper und Geist an das Wasser anzupassen."

Du nutzt keine Sauerstoffflasche, sondern nimmst zum Tauchen einen einzigen Atemzug. Wie kann man Apnoe-Tauchen trainieren?

Apnoe-Tauchen trainiert man am besten, indem man es macht. Aber natürlich gehört auch bei uns Vorbereitung dazu – das können einfache Atem- und Dehnübungen sein oder aber Training im Schwimmbad. Man übt, sich mit Körper und Geist an das Wasser anzupassen. Dazu braucht man nicht sehr viel Wissen, aber am Anfang ist eine kurze Anleitung von einem Profi wichtig, damit man lernt, wie man sicher trainieren kann. Kurse gibt es inzwischen in ganz Deutschland.

Bist du als Apnoe-Taucherin näher am Leben der Tiere in den Tiefen des Ozeans als andere Taucher:innen?

Einerseits habe ich natürlich den Nachteil, dass ich immer nur für eine kurze Zeit unter Wasser sein kann. Aber weil ich beim Tauchen nicht atme und daher nicht von lärmenden Blasen umgeben bin, füge ich mich viel mehr in die Umgebung ein. Das spüren auch die verschiedenen Meeresbewohner – sie sind neugierig und kommen oft deutlich näher als an Taucher, die mit Flaschen unterwegs sind. Das ist sehr schön!

Du hast unter anderem Expeditionen in die Unterwasserwelt in Grönland unternommen. Welche Eindrücke hast du von dem Eis vor Ort?

Als wir das erste Mal in Grönland waren, kamen wir an und fanden eine bis zu einem Meter dicke Eisfläche vor, die den ganzen Fjord vor der kleinen Siedlung Tassilaq bedeckte. Das war für diese Jahreszeit – es war Mitte März – auch ganz normal. Als wir zehn Tage später wieder abreisten, war der Fjord innerhalb weniger Stunden mit einem Schlag eisfrei geworden und es fing an zu regnen. Die Inuit-Jäger vor Ort sagten, dass sie das zu dieser Jahreszeit noch nie erlebt hätten. Auch letztes Jahr war das Wetter sehr unbeständig – ein extremer Sturm wechselte sich ab mit Wärme, die wieder das ganze Eis tauen ließ, kurz darauf fror alles wieder zu. Ein hin und her, das an vielen Orten der Welt immer mehr zur Regel wird.

Haben sich auch Strömungen verändert, die dir als Taucherin zu schaffen machen?

Veränderte Strömungen habe ich persönlich noch nicht erlebt, stark veränderte Wetterphänomene aber schon. Man kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Bedingungen zu einer bestimmten Jahreszeit mit relativer Sicherheit gut sein werden. Ich bin auch schon einmal auf der Insel Dominika in einen der schlimmsten Hurrikane aller Zeiten geraten, den Hurrikan Maria, der die Insel zu 95 Prozent zerstörte. Das war schon ein extremes Erlebnis.

"Es ist dramatisch, wie sehr die Bestände fast aller Hai-Arten weltweit zurückgegangen sind."

Neben vielen anderen Orten warst du auch auf den Azoren: Ein Drittel der weltweiten Walarten, Delphine, Haie, Rochen und Walhaie sind hier versammelt. Allerdings werden hier auch Millionen von Haien jedes Jahr gejagt, weil Haifischflossen als Delikatesse gelten. Schneiden wir uns mit der Hai-Jagd ins eigene Fleisch?

Der Hai ist als Jäger an der Spitze der Nahrungskette extrem wichtig für ein gesundes Ökosystem im Ozean. Es ist dramatisch, wie sehr die Bestände fast aller Hai-Arten weltweit zurückgegangen sind. Vom Fang sind auch die Blauhaie, die man vor den Azoren sehr schön sehen kann, stark betroffen. Zum Glück gab es vor kurzem eine gute Nachricht: Bei der letzten Konferenz der Vertragsstaaten des Artenschutzabkommens CITES wurde endlich eine große Anzahl von Hai und einige Rochenarten aufgenommen, inklusive der Blauhaie. Damit werden diese Arten in Zukunft unter die Kontrolle nationaler Artenschutzbehörden und Zolls fallen, womit der Handel mit Fleisch und Flossen stark erschwert wird.

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Im Atlantik bist du auch Mobula-Rochen begegnet: Sie sind nur eine von vielen anderen Spezies aus 300 Metern Tiefe, die bislang kaum erforscht sind. Was macht sie besonders spannend für dich?

Durch neue Forschung mit Sendern wissen wir inzwischen, dass die Mobula-Rochen mehrmals am Tag bis in Tiefen von tausend Metern tauchen, wahrscheinlich, um dort zu fressen – genau weiß man es noch nicht. Das ist eine ganz neue Erkenntnis und wirklich überraschend. In Wahrheit wissen wir kaum etwas über das Ökosystem der Tiefsee und dessen Bedeutung für unsere Umwelt. Dort liegen noch viele Geheimnisse in der Dunkelheit verborgen. Ich bin gespannt darauf, was die Forscher noch entdecken werden und hoffe sehr, dass wir diesen Lebensraum nicht zerstören, bevor wir ihn auch nur im Ansatz verstehen.

"In Wahrheit wissen wir kaum etwas über das Ökosystem der Tiefsee und dessen Bedeutung für unsere Umwelt."

Als Taucherin bist du in einem fremden Element. Wie du mal beschrieben hast: "Der Mensch ist Unterwasser nur zu Besuch." Welche Besuchsregeln sollten wir Menschen einhalten?

Wie überall gilt für Besucher vor allem eine wichtige Regel: Verhalte Dich respektvoll. Dazu gehört zum Beispiel, Lebewesen nicht zu bedrängen und keinen Müll zu hinterlassen.

Du bildest Kampfschwimmer und Minentaucher im Apnoe-Tauchen aus. Steht ihre Arbeit nicht im Kontrast zum Erhalt einer intakten Unterwasserwelt?

Das würde ich nicht sagen. Kampfschwimmer und Minentaucher bewegen sich meiner Erfahrung nach mit großer Vorsicht im Wasser. Minentaucher beseitigen regelmäßig Altlasten wie Munition und Minen des Zweiten Weltkriegs aus den Meeren. Wenn das kein Meeresschutz ist, was dann?

"Ich hoffe sehr, dass wir diesen Lebensraum nicht zerstören, bevor wir ihn auch nur im Ansatz verstehen."

Mit deinem Blick in die Tiefe – siehst du im Meer auch Hoffnung, wie wir die Klimakrise stemmen können?

Hoffnung gibt es überall, auch im Meer. Vor Kurzem traf ich die Meeresbiologin Dr. Angela Stevenson. Sie erforscht am Helmholtz-Institut in Kiel, wie man Seegraswiesen, die sehr viel CO₂ binden, aber weitgehend verschwunden sind, wieder aufforsten kann – mit Erfolg! Sie wird im Frühjahr ein "Citizen Science Projekt" starten, in dem Tauchvereine lernen, wie sie in ihrem Gebiet die Seegraswiesen anpflanzen können. Wenn sich viele beteiligen, kann jeder etwas bewirken. Es sind kleine Schritte, aber es gibt Hoffnung.

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Die Meeresbiologin Antje Boetius war in den letzten 30 Jahren auf über 50 Expeditionen in den Weltmeeren unterwegs. Doch diese haben sich seitdem stark verändert. Im Gespräch erzählt sie von ihrer Liebe zu den Meeren und warum sie so wichtig für uns sind.

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