Klima-Aktivistin Luisa Neubauer hat ein neues Buch veröffentlicht.Bild: imago images / metodi popow
Interview
13.08.2024, 19:1615.08.2024, 10:21
Die Klimakrise ist bereits überall spürbar, doch politisch gibt es nur wenig Bewegung. Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer setzt sich seit Jahren für mehr Tempo ein. Nun erscheint ihr "Klimaatlas". Zusammen mit dem Datenjournalisten Christian Endt und dem Illustrator Ole Häntzschel hat sie darin einen gewaltigen Haufen Fakten zur Klimakrise katalogisiert und zugänglich aufbereitet.
Im Gespräch mit watson erklärt sie, was sie genau mit dem "Klimaatlas" vorhat, warum es bei Debatten zur Klimakrise nicht allein ums recht behalten geht und wie sie derzeit auf die aktuellen Aktionen der Letzten Generation blickt.
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watson: Ein neues Buch über die Kimakrise. Ist das Thema denn noch nicht auserzählt, Luisa?
Luisa Neubauer: Nein, ganz klar. Aber, wenn die größte Geschichte der Welt, die Menschen immer wieder langweilt oder in Panik versetzt und dazwischen zu wenig passiert, dann läuft was falsch. Deshalb wollen wir mit dem Atlas eine andere Geschichte erzählen.
"Gerade beim Thema Klimakrise drohen Debatten unglaublich schnell, unglaublich hektisch zu werden"
Im Klimaatlas nutzt ihr Grafiken, um die Klimakrise greifbar zu machen. Inwiefern ist das eine andere Geschichte?
Derzeit gibt es die Tendenz, auf große Probleme, große Wörter zu packen, ohne zu überlegen, ob die Wörter auch Menschen erreichen. Gerade beim Thema Klimakrise drohen Debatten unglaublich schnell, unglaublich hektisch zu werden. Oft weiß man am Ende nicht mehr, wo oben und unten ist. Der Atlas ist der Versuch, die größte und komplexeste Krise unserer Zeit zu übersetzen, in neuen Farben, Begriffen und Bildern.
Aber ähnelt das Ganze dann nicht mehr einer starren Faktensammlung?
Nicht ganz. Wir beschreiben nicht nur, wie die Welt ist, sondern vor allem, wie sie sich wandelt, und durch wen. Dadurch bekommt das Buch eine ganz eigene Dynamik. Im Mittelpunkt steht dabei auch, welche Rolle wir als Einzelne eingenommen haben und wo wir noch wirksam sein können.
"Mir selbst geht es nicht darum, die Menschen einzunorden, sondern um einen gemeinsamen Nenner"
Doch so schön die Gestaltung auch sein mag, könnte es doch recht schnell trocken werden, durch reihenweise Fakten zu blättern.
Deshalb ist unser Buch auch keine einfache Faktensammlung. Vielmehr zielen wir auf Aha-Momente ab, solche, die sich Leser merken und im besten Falle denken, "ach krass, das wusste ich noch nicht". Deshalb eignet er sich auch zum Verschenken, gerade für Menschen, die auf der Suche nach Argumenten sind, um etwa Verwandte für das Thema zu gewinnen. Gerade, weil ein Atlas nicht konfrontativ ist, kann er als Vehikel für Positionen nutzen, ohne dass sich der Gegenüber aus Trotz zurückzieht.
Es geht also darum, Recht zu behalten?
Im Gegenteil. Ziel ist es, Menschen zu gewinnen, in der Klima-Debatte voranzukommen und gemeinsam an einem weiterhin lebenswerten Planeten zu arbeiten. Mir selbst geht es nicht darum, die Menschen einzunorden, sondern um einen gemeinsamen Nenner.
Umtreibt dich denn auch manchmal die Sorge, diesen Nenner vielleicht gar nicht zu finden?
Ehrlich gesagt, das ist meine geringste Sorge. Die Mehrheit in Deutschland wünscht sich mehr Klimaschutz. Die Krux ist aber, diese Menschen auch dazu zu bringen, aktiv zu werden, ob politisch oder auf der Straße. Ihnen müssen wir zeigen, wie Einsatz aussehen kann. Hier macht sich auch Fridays for Future zur Aufgabe, Begeisterung zu schüren, zum Beispiel mit Protesten. Bei der Klimakrise gibt es schließlich keinen Zuschauerrang.
So sieht er aus, der Klimaatlas von Luisa Neubauer, Christian Endt und Ole Häntzschel.Bild: Rowohlt / Rowohlt
Wie unter anderem die Flut im Ahrtal gezeigt hat.
Ja, wobei die Folgen der Klimakrise auch abseits des Ahrtals spürbar sind. Ein Blick auf die großen Städte reicht doch. Hitzeinseln, nur wenig Orte, an denen es bei hohen Temperaturen überhaupt ertragbar ist, Trockenperioden, die die ohnehin wenigen grünen Landschaften in braunes Brachland verwandeln. Dann noch die Luftverschmutzung, die in den vergangenen Jahren zu einem starken Anstieg von Lungenerkrankungen geführt hat. Die Klimakrise zeigt sich nicht nur in Hollywood-Effekten, also katastrophalen Bildern.
Die Folgen sind präsent, trotzdem findet das Thema Klimakrise wenig statt. Woran liegt das?
Zum einen muss man da unterscheiden zwischen Debatte und Umsetzung. In der Umsetzung, also im praktischen Klimaschutz, passiert heute mehr als in vielen Jahren zuvor. Das ist erstmal gut. In der Debatte ist Klima auch sichtbarer als vor 2019, aber eben auch polarisierter. Das liegt zum einen an einer neuen Welle von Anti-Klima-Populismus, der Menschen gegeneinander aufbringt und sinnlos Angst schürt.
Die Angst kann aber auch daher rühren, dass sich die Menschen machtlos fühlen.
Grund dafür ist auch die gefühlte Abwesenheit von Lösungen, die so groß sind wie das Klima-Problem. Und wenn sich das Gefühl einstellt, keine Lösung für ein dramatisches Problem zu haben, kann es eben sein, dass einige die Schotten dicht machen, auch aus emotionalem Selbstschutz. Rein psychologisch ist das kaum erstaunlich. Probleme ohne Lösungen ermächtigen nicht, sondern lösen Ohnmacht aus. Deshalb sind wir auch als Klimabewegung nötig, um aufzuzeigen, dass wir selbst Teil der Lösung sind.
Zuletzt ist auch die Letzte Generation wieder aktiv geworden. Wie blickst du auf die Diskussionen?
Die Letzte Generation gibt es ja schon eine Weile. Und gerade jetzt kann man wieder beobachten, wie Reaktionen auf die Proteste so viel mehr über die Gesellschaft erzählen als über die Aktivisten. Ich finde interessant, wie so viele Menschen aus der Politik, die eigentlich etwas verändern sollten, sich mit starker Kritik an der Letzten Generation, der Tatsache entziehen, dass die Klimakrise da ist und wir handeln müssen. Stattdessen gibt es eine enorme Verrätselung.
Was meinst du damit?
Verrätselung beschreibt die Verschleierung offensichtlicher Zusammenhänge, um bloß nicht zu offensichtlichen Lösungen greifen zu müssen. Eigentlich blockieren die Aktivisten auf Flughäfen, um auf Klimaschutz aufmerksam zu machen. Das kann man kritisieren, die Sachlage bleibt aber eindeutig. In der Politik hingegen wird so getan, als würde hier willkürlich ein „Schaden fürs Land“ verursacht werden.
"Es ist noch viel zu tun, doch entmutigt bin ich nicht"
Gleichzeitig läuft nicht alles rund, wenn man etwa auf ein paar Entscheidungen der Ampel schaut.
Also erstmal muss man attestieren, wie viel erreicht wurde. In den vergangenen Jahren haben wir mit der Klimabewegung in der Politik unglaublich vieles möglich gemacht, in Sachen Klima- und Wärmewende, aber auch in Sachen Bildung. Das ist auch ein Beweis dafür, dass Aktivismus wirkt. Gleichzeitig muss man aber auch betonen, dass nicht alles gut läuft.
Inwiefern?
Auch wenn wir eine Regierung haben, die sich als klimapolitisch vorausschauender begreift, hängt sie in Sachen Klimaschutz aktuell so weit zurück, dass wir sie wieder vor dem Verfassungsgericht verklagen. Und wie das geplante Gasfeld vor Borkum zeigt, sind fossile Konzerne weiterhin viel zu erfolgreich in ihrem Lobbyismus. Die machen große Veränderungen schwer, aber nicht unmöglich. Es ist also noch viel zu tun, doch entmutigt bin ich nicht.