Watson: Maik, Marco, eure Ururgroßeltern haben den Hof, auf dem ihr aufgewachsen seid, um 1900 gegründet. Seitdem ist er in Familienhand. Dass ihr Landwirte werdet, war also klar?
Maik: Nein, eigentlich wussten wir schon früh, dass wir keine Landwirte werden wollen. Wir haben zwar auf dem Hof immer mitgeholfen, aber Marco und ich waren nicht die typischen Landwirt-Kinder, die unbedingt Trecker fahren und viel Zeit bei den Tieren im Stall verbringen wollten. Wir haben lieber Fußball gespielt oder gezockt.
Marco: Mit Anfang 20 sind wir beide ausgezogen, um erstmal einen anderen Weg einzuschlagen. Maik hat IT und BWL studiert, ich bin gelernter Bankkauf- und Versicherungsfachmann. Großes Interesse an Landwirtschaft hatten wir nie wirklich. Dass wir Nutztiere halten und tierische Produkte konsumieren, haben wir auch lange nicht hinterfragt.
Wann hat sich das geändert?
Maik: Während meines Studiums habe ich mich mit der Klimakrise und meinem Einfluss auf die Umwelt beschäftigt – zum Beispiel durch meine Ernährung. Deswegen wollte ich probeweise für einen Monat auf Fleisch verzichten. Anfangs konnte ich mir das gar nicht vorstellen: Ich habe mir teilweise drei, viermal die Woche einen Döner geholt und hatte Vorurteile wie "Von Salat schrumpft der Bizeps". Aber nach dem Monat ohne Fleisch habe ich gemerkt, dass mir gar nichts fehlt.
Später bist du sogar auf vegane Ernährung umgestiegen.
Maik: Ja, ich dachte anfangs: "Ich bin jetzt Vegetarier, für mich muss nie wieder ein Tier sterben." Da habe ich mich wie der Heiland gefühlt. Aber nach einer Weile habe ich mir die Frage gestellt, warum ich unseren Hund Rico wie ein Familienmitglied behandle, unsere Kühe aber nicht.
Vegane Ernährung ist das eine, einen ganzen Landwirtschaftsbetrieb umstellen das andere. Was hat euch dazu bewegt, diesen Schritt zu gehen?
Marco: Zum einen hatte ich fünf Jahre lang einen typischen 9-to-5-Job bei einem großen Arbeitgeber, wo ich nie ein richtiges Feuer verspürt habe. So wollte ich nicht arbeiten. Zum anderen haben Maik und ich eine Chance darin gesehen, wirklich etwas an dem System der sogenannten Nutztierhaltung zu ändern.
Wie haben eure Eltern reagiert?
Maik: Die mussten am Anfang schon schlucken, aber wir haben viele Gespräche geführt und uns dadurch schrittweise angenähert. Das lag auch daran, dass es unseren Eltern schon immer wichtig war, so viel Tierwohl zu schaffen, wie es in diesem System möglich ist. Sie haben zum Beispiel schon früh die Mutter-gebundene Kälberaufzucht betrieben. Das heißt, die Kälber durften drei oder vier Monate bei ihrer Mutter bleiben, was mehr ist als bei den meisten anderen Betrieben.
Mittlerweile gibt es auch das nicht mehr auf eurem Hof. Wie ist euch die Umstellung gelungen?
Maik: Wir haben uns an den Verein TransFARMation gewandt, die landwirtschaftliche Betriebe beim Ausstieg aus der Nutztierhaltung beraten. Es ist einerseits toll, dass es dieses Angebot gibt, andererseits sehe ich darin ein totales Armutszeugnis: Für Betriebe in Deutschland, die keine Nutztiere mehr halten wollen, gibt es von staatlicher Seite keine Förderprogramme. Wer größtenteils von der Tierhaltung abhängig ist, muss sich also die Frage stellen, ob er sich einen Ausstieg überhaupt leisten kann.
Wie groß war für euch das finanzielle Risiko?
Marco: Der Vorteil unseres Betriebes ist, dass wir mehrere wirtschaftliche Standbeine haben. Unsere Eltern haben also nicht allein auf die Nutztierhaltung gesetzt, sondern vermieten beispielsweise auch mehrere Appartements. Außerdem sind wir im Bereich der Erneuerbaren Energien tätig.
Und ihr habt eine solidarische Landwirtschaft gegründet.
Marco: Die gibt es schon seit sechs Jahren. Im Mai hatten wir aber einen Re-Launch, jetzt sind wir bio-zyklisch-vegan zertifiziert. Das heißt, wir düngen ohne tierische Komponenten wie Dung oder Knochenmehl. Anfangs hatten wir 45 Menschen mit Ernteanteil, mittlerweile sind es 75. Der Bereich wächst also, momentan trägt er sich aber noch nicht von allein; dafür bräuchten wir die doppelte Anzahl an Ernteanteilen.
Was ist mit den Milchkühen passiert?
Marco: Unsere Wunschvorstellung wäre es gewesen, dass alle Tiere auf einem Lebenshof gelandet wären.
Einen Ort, an dem Nutztiere keinen Nutzen mehr erbringen müssen.
Marco: Genau. Das war aber unter anderem aus finanziellen Gründen nicht möglich. Ein Teil der Kühe ist an einen Bio-Landwirt verkauft worden, ein anderer ging in die Schlachtung. Das ist uns alles andere als leichtgefallen, aber es kann auch nicht jeder Betrieb, der aussteigt, ein Lebenshof sein. Dafür gibt es viel zu viele Tiere in diesem System.
Drei Kühe dürfen ihren Lebensabend aber noch auf eurem Hof verbringen. Warum ausgerechnet die?
Marco: Das sind schon die Tiere, zu denen unsere Eltern auch einen persönlichen Bezug haben. Alle unsere Kühe hatten einen Namen, aber die drei sind ihnen besonders ans Herz gewachsen. Das zeigt den Widerspruch in der Gesellschaft: Wenn man zu einem Tier wie unserer 17-jährigen Mausi jahrelang eine Bindung aufbaut, würde es kaum jemand übers Herz bringen, sie zur Schlachtung zu geben.
Im Supermarkt spielt das meist keine Rolle. Viele Kund:innen berufen sich auf Tierwohlsiegel und Haltungsstufen.
Maik: Da wird mit einem Begriff geworben, der positiv besetzt ist. Aber am Ende des Tages bedeutet jede Haltungsstufe Ausbeutung an Tieren. Vielleicht bekommt das Tier ein bisschen mehr Platz oder die Belüftung wird verbessert. Aber das sind alles Kleinigkeiten, die nichts am Grundproblem ändern.
Was ist das aus eurer Sicht?
Marco: Dass wir Tiere gegen ihren Willen vermehren, als Produktionsmittel herabstufen und sie für einen Zweck nutzen, der im Jahr 2025 in Deutschland nicht mehr begründbar ist. Selbst bei Haltungsstufe 4, dem Bio-Standard, muss eine Kuh jedes Jahr geschwängert werden, damit sie weiter Milch gibt. Wenn ihre Milchleistung irgendwann nachlässt, dann gibt sie auch der Bio-Landwirt zum Schlachter und sie wird getötet. Das hat nichts mit Tierwohl zu tun.
Das heißt, auch auf dem Hof eurer Eltern gab es kein Tierwohl?
Marco: Kühe können bis zu 25 Jahre alt werden. Bei uns sind viele nur sechs oder sieben geworden. Das sind Lebewesen, die können Leid und Schmerz erfahren, sie pflegen soziale Bindungen und können einen Trennungsschmerz empfinden. Wenn man das Kalb der Mutter wegnimmt, dann rufen die tagelang nacheinander – das ist für mich kein Tierwohl.
Um darüber aufzuklären, habt ihr einen Verein gegründet.
Marco: Genau, darüber geben wir zum Beispiel Workshops zu den Themen Tierethik und pflanzliche Ernährung. Wir wollen aufklären, was es bedeutet, tierische Produkte zu konsumieren und wie sich landwirtschaftliche Betriebe wandeln können. Unser Hof ist das beste Beispiel dafür: Hier sind alle Haltungsstufen durchlaufen worden. Und jetzt bauen wir Gemüse an.
Maik: Wir möchten vor allem zum Nachdenken anregen. Uns ist bewusst, dass es unterschiedliche Sichtweisen zu dem Thema gibt. Aber viele Menschen, die sehen, wie es in Schlachtbetrieben zugeht, fühlen sich damit nicht wohl. Das macht Hoffnung – denn es zeigt, dass immer mehr Leute beginnen, ihre Ernährung und den Umgang mit Tieren kritisch zu hinterfragen.