1,5 Grad Celsius – weiter soll sich das Klima auf der Erde nicht erwärmen, darauf haben sich fast alle Staaten der Welt geeinigt. Allerdings steuert die Erderwärmung einem aktuellen UN-Bericht zufolge eher auf mehr als drei Grad zu – und auf politischer Ebene tut sich bislang wenig, um das zu verhindern. Vor allem Klimaaktivisten kritisieren, dass die Parteien im Bundestag und in den Länderparlamenten im Kampf gegen den Klimawandel viel zu wenig unternehmen. Bei mehreren Kommunal- und Landtagswahlen haben sich deshalb Kandidaten einer Klimaliste aufstellen lassen. Ihr Ziel: Die strikte Umsetzung des 1,5-Grad-Ziels.
In Baden-Württemberg haben Kandidaten der Klimaliste im September eine eigene Partei gegründet, mit der sie bei der Landtagswahl im kommenden Jahr mitmischen wollen – und möglicherweise sogar bei der Bundestagswahl. Nicht nur die im Südwesten regierenden Grünen reagierten darauf nervös, schließlich tritt die Klimaliste mit dem Versprechen an, konsequenter und grüner zu sein als die Grünen.
Alexander Grevel, Vorstandsmitglied der Klimaliste BW, erklärt im Interview mit watson, was seine Partei besser machen will als die Grünen, warum es mehr junge Menschen in den Parlamenten braucht und wieso die Klimaliste keine Fridays-for-Future-Partei ist, obwohl sie vor allem junge Klimaaktivisten und Wissenschaftler vertritt.
watson: Auf Klima-Demos wird schon lange die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels gefordert. Ihr tretet jetzt mit dem Versprechen an, den Protest von der Straße in die Parlamente zu tragen. Wieso funktioniert das bisher nicht?
Alexander Grevel: Das liegt daran, dass die bestehenden Parteien für neue Ideen und Menschen nicht richtig durchlässig sind. Um das Thema konsequent anzugehen, müssen wir Menschen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung politische Teilhabe ermöglichen. Sie brauchen eine Plattform, um Verantwortung zu übernehmen. Das ist bisher schwierig.
Also habt ihr beschlossen, eine neue Partei zu gründen.
Genau. Lange Zeit habe ich gedacht, dass die gewählten Parlamentarier ihren politischen Auftrag schon wahrnehmen und das hinbekommen. Aber die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass das nicht stimmt. Wir haben ein Problem mit Lobbyismus, die Politik ist näher an den Konzerninteressen als an den Menschen. Deshalb brauchen wir neue Akteure, einen politischen Aufbruch. Und momentan gibt es einfach keine Partei, die meinen Anforderungen an Nachhaltigkeit gerecht wird. Wir fordern die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels – ohne Kompromisse.
Die Grünen sind ja auch aus einer Umweltbewegung entstanden und setzen sich für Klimaschutz ein – was unterscheidet euch von ihnen?
Wir sind eine gute Mischung aus Aktivistinnen und Aktivisten und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die viel Glaubwürdigkeit mitbringen. Ein bisschen so wie die Grünen, als sie angefangen haben, Politik zu machen. Bei denen hat sich am Ende aber der Realoflügel durchgesetzt. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Winfried Kretschmann 2011 in Baden-Württemberg Ministerpräsident wurde. Außerdem dauert es bei den Grünen mit über 100.000 Mitgliedern natürlich lange, bis Entscheidungen getroffen werden können.
Wie wollt ihr das besser machen?
Eine kleine, junge Partei ist viel agiler, hat schnellere Entscheidungswege – momentan mit etwa 500 Mitgliedern ist das natürlich noch einfach, aber wir versuchen, bei uns Strukturen zu schaffen, die das auch in Zukunft mit mehr Mitgliedern ermöglichen. Und unser Idealismus hilft uns. Wir müssen auf keinen Koalitionspartner Rücksicht nehmen und können genau das fordern, was die Wissenschaft vorgibt, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Das hemmt die Grünen inzwischen: Sie wollen möglichst viele Wähler mitnehmen und gehen dafür Kompromisse ein. Wir sind da konsequenter.
Wenn ihr es in den Landtag oder irgendwann in den Bundestag schafft, seid ihr aber auch auf Koalitionspartner angewiesen. Müsst ihr dann keine Kompromisse eingehen?
Wenn wir die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, dann ist das super und wir wären bereit zu koalieren, mit den Grünen, der SPD oder der Linken. Allerdings ist das 1,5-Grad-Ziel für uns nicht verhandelbar, dessen Einhaltung müsste im Koalitionsvertrag fest vereinbart werden. Wenn das mit anderen Parteien nicht realisierbar ist, würden wir sagen: Ihr nehmt das nicht ernst genug – und keine Koalition eingehen. Wir haben uns auf ein Ziel festgelegt und das wollen wir durchsetzen.
Dass eine Partei, die sich nur auf ein einziges Thema stürzt, viel Konfliktpotenzial hat, haben unter anderem die Piraten gezeigt…
Wir sind eine Ein-Ziel-Partei und keine Ein-Thema-Partei. Wir haben zehn Themen eingekreist, die wir in den kommenden Monaten für unser Wahlprogramm konkretisieren wollen. Landwirtschaft, Mobilität, Bauen, Bildung, das sind alles Bereiche, die mit dem 1,5-Grad-Ziel zusammenhängen. Nur wenn wir in all diesen Themen umsteuern, kann Baden-Württemberg bis 2030 die Klimaneutralität erreichen. Wir prüfen außerdem jeden Mitgliedsantrag genau, telefonieren mit den Menschen und schauen, ob sie unseren Grundkonsens teilen. Wenn wir jeden aufnehmen würden, würde das vielleicht enden wie bei den Piraten.
Die Grünen haben auf eure Gründung relativ nervös reagiert. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte: "Wirksamer Klimaschutz braucht Mehrheiten. Schlimm wäre doch, wenn wir dasselbe wollen, es aber nicht umsetzen können, weil uns am Ende die nötige Mehrheit fehlt." Teilt ihr diese Befürchtung?
Diese Frage haben wir uns auch gestellt. Die Kommunalwahlen in Bayern und Nordrhein-Westfalen, bei denen wir schon angetreten sind, haben das aber nicht bestätigt. Das ökologische Lager wurde gestärkt, eine Debatte angestoßen, von der beide Seiten profitiert haben. In Köln, wo wir erste Sitze errungen haben, sind diese nicht auf Kosten der Grünen gegangen. Wir schaffen es eher, Nichtwähler zu mobilisieren – eben weil wir nicht aus den großen Parteien kommen, sondern von der Straße und aus den Universitäten.
Ihr wollt vor allem die jüngere Generation vertreten. Warum?
Junge Menschen sind massiv unterrepräsentiert in der deutschen Politik. Wir haben gezielt junge Menschen aufgestellt, weil sie eine Stimme in den Parlamenten brauchen.
Wie jung ist jung?
Ich bin im Parteivorstand mit 32 der älteste, das Durchschnittsalter im Vorstand liegt bei etwa 24, in der KlimalisteBW bei etwa 35.
Warum braucht es junge Menschen in den Parlamenten?
Sie sind besonders glaubwürdig in Bezug auf Klimaschutz und die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens – sie haben schließlich noch lange mit den absehbaren Folgen zu leben. Wir haben aber auch ältere Mitglieder, die das Thema in die Parlamente bringen wollen: Senioren, die sich für die Zukunft ihrer Enkel einsetzen oder Eltern, die das für ihre Kinder tun.
Eine Partei aus vorwiegend jungen Klimaaktivisten – da könnte man schon auf die Idee kommen, dass ihr eine Fridays-for-Future-Partei seid.
Wir haben einige in unseren Reihen, die bei Fridays for Future aktiv sind. Ich würde aber nicht sagen, dass wir die FFF-Partei sind. Fridays for Future agiert überparteilich, und das ist auch gut so. Wenn jemand aber eine Plattform für politische Teilhabe sucht, sind wir natürlich eine Option. Jakob Blasel ist ja beispielsweise zu den Grünen gegangen. Dort ist die Chance auf ein Mandat wahrscheinlich besser, dafür sind wir konsequenter.
Bisher seid ihr auf der Kommunal- und Landesebene unterwegs. Aber nächstes Jahr wäre ja auch Bundestagswahl…
Wir werden sicher auf die eine oder andere Art mitmischen. Hier wird sich in den kommenden Monaten noch viel tun. Als Graswurzelbewegung setzt die Klimaliste auf eigenständig agierende Strukturen in Ländern und Kommunen, dieses Konzept möchten wir auch im Falle eines Antritts zur Bundestagswahl soweit möglich beibehalten.
Von eurer Beteiligung mal abgesehen: Wird Klimaschutz die nächste Bundestagswahl entscheiden?
Ja, davon gehe ich sehr stark aus. Wenn wir nicht davon überzeugt wären, müssten wir gar nicht erst antreten. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass der Protest von der Straße gut ist, aber nicht ausreicht, um politische Veränderungen zu bewirken. Beim Klimapaket hätte viel mehr passieren müssen. Und das sehen inzwischen auch viele Wähler.