Nachhaltigkeit
Interview

Peter Wohlleben warnt: "Der Wald hat Fieber" – doch es ist (noch) nicht zu spät

Der Förster und Bestseller-Autor Peter Wohlleben in Berlin.
Der Förster und Bestseller-Autor Peter Wohlleben in Berlin. bild: watson / josephine andreoli
Interview

Peter Wohlleben warnt: "Der Wald hat Fieber" – doch es ist (noch) nicht zu spät

07.10.2022, 12:0607.10.2022, 17:35
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Er ist Deutschlands bekanntester Förster und Bestsellerautor: Peter Wohlleben. Dass es dem Wald schlecht geht, ist ihm seit Langem klar. Im Sommer standen viele europäische Wälder in Flammen. Nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Jahr folgte dieses Jahr eine Dürre – mit verheerenden Folgen für Mensch und Natur.

Aber noch ist es nicht zu spät, um den Wald – und damit uns – zu retten. Wie das gehen kann, erzählt Peter Wohlleben im Gespräch mit watson.

Der Förster und Autor Peter Wohlleben zu Gast in der WDR Talkshow Kölner Treff am 22.08.2019 in Köln. *** The forester and author Peter Wohlleben is a guest at the WDR talk show \Kölner Treff\ on 22 0 ...
Der Förster Peter Wohlleben erzählt, wie man den Wald noch retten kann. Bild: imago images / Horst Galuschka

watson: Es ist noch gar nicht lange her, da standen zahlreiche Wälder bei uns in Deutschland – unter anderem der Grunewald in Berlin – in Flammen. Was können wir tun, um das Waldbrandrisiko zu senken?

Peter Wohlleben: Dazu muss man wissen: Natürliche Waldökosysteme brennen bei uns praktisch nicht. Das kann jeder selbst ausprobieren – frisches, nasses Laubholz, wie es von Natur aus im Wald vorkommt – brennt nicht, auch das Totholz nicht, über das so viel geredet wird. Selbst im trockensten Sommer kann man aus dem vermodernden Holz Wasser pressen. Totholz ist also eine Waldbrand-Bremse. Anders ist das bei Plantagen mit Fichten und Kiefern, die sind voller ätherischer Öle. Die brennen als lebender Baum schonmal sehr leicht, und wenn man die Bäume fällt und Kronenreste in der Sonne liegen bleiben, dann trocknen diese komplett aus und brennen wie Zunder. Das wird häufig verwechselt: Unsere heimischen Wälder brennen nicht, Plantagen schon. Und selbst die brennen nur, wenn sie jemand anzündet.

Nun machen diese Plantagenwälder aber rund 50 Prozent unserer Waldflächen aus...

Tatsächlich gibt es sogar noch viel mehr Plantagen, wenn man die Buchen- und Eichenplantagen dazuzählt. Plantagen machen den Großteil unserer Wälder aus – und die verabschieden sich jetzt. Das muss viel stärker thematisiert werden. Es geht ja auch um eine Gefährdung des Menschen. Die Frage ist: Wie schaffen wir es, dass wir unsere Wälder endlich wieder zu Wäldern werden lassen, die – weil die Bäume selbst etwas dagegen haben – Waldbrände erfolgreich verhindern.

Aufgrund von Trockenheit und Borkenkäferbefall mussten etliche Fichten in Fröndenberg gefällt werden.
Aufgrund von Trockenheit und Borkenkäferbefall mussten etliche Fichten in Fröndenberg gefällt werden.bild: imago / hans blossey

Und wie können wir diese klimaresistenten Wälder erhalten?

Das können wir nicht. Das kann nur der Wald selbst: Er kann sich herunterkühlen, die Bäume können lernen und dieses Wissen über epigenetische Effekte an den Nachwuchs oder direkt über Wurzelverbindungen weitergeben. Der Wald kann sich selbst organisieren. Bis heute haben wir den Wald nicht verstanden und es gibt nirgendwo auf der Welt einen künstlichen Wald, der besser ist als das Original. Und solange wir selber versuchen, Wald zu machen, machen wir es schlecht. Der Wald hat das seit 300 Millionen Jahren drauf und ist im Prinzip ein irrer Wissensspeicher, den die Bäume jederzeit abrufen können.

Ein Wissensspeicher?

Ja, man sieht das beispielsweise an den ältesten Eichen in Deutschland, die haben sich umgestellt. Obwohl die Trockenheit dieses Jahr noch viel schlimmer war als in den Jahren zuvor, geht es den Eichen besser. Sie haben ihr Verhalten geändert. Wir haben noch nicht verstanden, wie die das genau machen, aber sie können es. Es geht jetzt nicht darum, klimaresiliente Wälder auf- oder umzubauen, sondern den Wald selbst machen zu lassen. Denn überall dort, wo der Wald das darf, sieht er gut aus.

Weiß man denn, was die Bäume machen, um der Hitze und Trockenheit zu trotzen?

Was wir wissen, ist, dass Bäume ihren Wasserkonsum reduzieren und das auch direkt an ihren Nachwuchs weitergeben können. Der braucht dann ebenfalls weniger Wasser und wird dadurch deutlich hitze- und dürreresistenter. Es stellen aber gleichzeitig auch zehntausende, wenn nicht hunderttausende, Bakterien und Pilzarten ihren Stoffwechsel um, um die Bäume zu unterstützen, von denen sie ja Zucker bekommen. Es stellt sich also das ganze System um, um zu überleben. Und wer jetzt meint, klimaresiliente Wälder pflanzen zu wollen, der pflanzt ja nur Bäume und nicht ein gesamtes System. Das kann der Mensch nicht. Man sollte also besser so viele heimische und gut funktionierende Waldökosysteme erhalten und zulassen, wie möglich.

Natürliche Waldökosysteme trotzen auch Hitze und Dürre.
Natürliche Waldökosysteme trotzen auch Hitze und Dürre.bild: imago / Krauthöfer

Also sind Förster:innen überflüssig?

Nein, aber sie sollten eine eher beobachtende Rolle einnehmen. Und wenn sie Holz nutzen, was ja okay ist, dann sollten sie den Patienten im Auge behalten: Was macht der Wald? Was machen die Bäume? Man kann nämlich messen, wie es dem Wald geht. Und dem geht es leider nicht gut, die Temperatur steigt – der Wald hat Fieber.

"Wer weiterhin auf Nadelholz-Monokulturen setzt, gefährdet damit uns alle in Bezug auf Wasser, Hitze und Dürre."

Der Wald hat Fieber?

Ja. Den Vitalitätszustand kann man über Satellitenaufnahmen feststellen. Und da sieht man genau, dass der Wald anfängt zu schwächeln.

Und woran liegt das?

Vielleicht haben wir zu viele Bäume gefällt, vielleicht haben wir bestimmte Bäume rausgenommen oder alte Bäume gefällt, die wichtige Wissensspeicher sind. Wir wissen es nicht genau. Kieferplantagen zum Beispiel sind im Sommer im Schnitt acht Grad heißer als ein alter Buchenwald, dabei sind ausgerechnet Kiefern Bäume, die es besonders kühl mögen. Ja hups, nicht gut: sollte man ändern.

Sollte man das mit den Plantagen also ganz sein lassen?

Meines Erachtens nach sollte man den Anbau solcher Baumarten ganz klar verbieten. Wer weiterhin auf Nadelholz-Monokulturen setzt, gefährdet damit uns alle in Bezug auf Wasser, Hitze und Dürre. Und das geht heutzutage nicht mehr, da haben wir eine soziale Verantwortung. Wenn wir überall natürliche Wälder gehabt hätten, dann wäre es diesen Sommer nicht so heiß geworden. Dafür gibt es sogar eine grobe Faustregel.

Die da lautet?

Wenn ich zehn Prozent echten Wald zurückkommen lasse, dann sinkt die Durchschnittstemperatur im Sommer um ein Grad – und es gibt mehr Regen.

Was angesichts der globalen Erwärmung nur hilfreich sein kann...

Eben. Die Frage ist ja auch, bei welcher Höchsttemperatur auch für einen gesunden Wald Schluss ist. Bei 42, 43, vielleicht 45 Grad? Man weiß es nicht. Aber wir wissen: Je mehr Wald wir haben, umso erträglicher wird es. Zumal die Wälder eigene Tiefdruckgebiete mit Regenwolken erzeugen können.

Sommertag im Siegerland. Kuehe Kühe auf einer Weide bei Burbach-Lippe. Sommer im Siegerland am 09.07.2022 in Burbach/Deutschland. *** summer day in the Siegerland cows cows on a pasture near Burbach L ...
Überall dort, wo Weidefläche ist, könnte auch Wald wachsen. Bild: imago images / rene traut

Okay, wir wissen also: Wir brauchen mehr Wald. Aber wo soll dieses Mehr an Wald in Deutschland Platz finden?

Ich vertrete die Meinung, dass der Schlüsselfaktor das Fleisch ist. Global gesehen haben wir 70 bis 80 Prozent der Landwirtschaftsfläche für die Fleischproduktion und tierische Produkte reserviert, das ist auch der Haupttreiber der Entwaldung. Wir haben in Deutschland 100.000 Quadratkilometer Tierfutterfläche, die wir eins zu eins in Wald umsetzen könnten. Wenn wir alle zu Veganerinnen und Veganern würden, was natürlich nicht zu erwarten ist, würden natürlich auch Kalorien verloren gehen, die man durch pflanzliche ersetzen müsste. Und das könnte man dann wiederum auf den Biosprit-Flächen, die noch einmal 20.000 Quadratkilometer ausmachen und extrem klimaschädlich sind. Und wenn wir das machen würden, hätten wir unsere Waldfläche fast verdoppelt.

Aber wie Sie gesagt haben: Das ist unwahrscheinlich.

Schon die Rückkehr zum klassischen Sonntagsbraten würde Raum für geschätzte 50.000 Quadratkilometer Wald schaffen. Spielraum haben wir also.

"Je kühler es wird, umso mehr Geld bekommen die ehemaligen Landwirte. Und wer dann Wald abholzt und es wird zehn Grad heißer, der bekommt eben nichts mehr."

Und was wird aus den Landwirt:innen – wie verdienen die dann ihr Geld?

Die sind eben nicht mehr Landwirtinnen und Landwirte, sondern Klimaschützer. Die kriegen ja ohnehin Subventionen und ich würde sie dann für die Kühlung der Landschaft bezahlen. Das kann man ja wie gesagt auch schön messen. Wenn man sieht, dass die Temperaturen da, wo früher der Acker war, sinken, dann zahlt man den ehemaligen Landwirtinnen und Landwirten pro Grad, das es kühler wird, ich sage mal 50 Euro pro Hektar und Jahr. Je kühler es wird, umso mehr Geld bekommen sie. Und wer dann Wald abholzt und es wird zehn Grad heißer, der bekommt eben nichts mehr. Ohne Subventionen rechnen sich weder Land- noch Forstwirtschaft. Und ohne Subventionen würde auch das Fleisch teurer werden.

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