Die Erderhitzung führt nach dem neuen Bericht des Weltklimarats (IPCC) bereits zu gefährlichen Veränderungen der Natur, Milliarden Menschen leiden immer stärker darunter. "Die Auswirkungen, die wir heute sehen, treten viel schneller auf und sind zerstörerischer und weitreichender als vor 20 Jahren erwartet", berichtete die IPCC-Arbeitsgruppe am Montag zu den Folgen des Klimawandels. Die Kosten zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels und für Anpassungsmaßnahmen seien unterschätzt worden.
Die globale Erwärmung treffe mit anderen Herausforderungen zusammen, so der Weltklimarat. Er zählt die wachsende Weltbevölkerung auf, die Migration der Menschen in Städte, zu hohen Konsum, wachsende Armut und Ungleichheit, Umweltverschmutzung, Überfischung und jüngst die Coronavirus-Pandemie. Krankheitsrisiken nähmen weiter zu, das Dengue-Fieber etwa werde sich ausbreiten, auch nach Europa.
Selbst wenn es gelingt, die Erwärmung auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, muss die Menschheit demnach schon in den nächsten 20 Jahren erhebliche Auswirkungen verkraften.
Der maßgebliche Kritikpunkt des Weltklimarats: Die Regierungen täten noch lange nicht genug, um die schlimmsten Gefahren für Leib und Leben abzuwenden. "Wir haben ein schrumpfendes Zeitfenster", warnte der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Hans-Otto Pörtner.
Der Bundesregierung gibt er für ihre Klimapolitik teils schlechte Noten: "Für die Ambitionen kriegt sie eine Drei und für die Umsetzung eine Vier minus bisher", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Steigende Temperaturen und extreme Ereignisse wie Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen setzen Pflanzen und Tiere klimatischen Bedingungen aus, die sie seit Zehntausenden Jahren nicht mehr erlebt haben", berichtet der Weltklimarat.
Hitze und Extremwetter trieben Pflanzen und Tiere an Land und in den Ozeanen Richtung Pole, in tiefere Gewässer oder höhere Lagen. Meerespflanzen und -tiere bewegten sich wegen der steigenden Wassertemperaturen im Durchschnitt um 59 Kilometer pro Jahrzehnt Richtung Nord- und Südpol.
Viele Arten erreichten bei der Anpassung an den Klimawandel Grenzen und seien vom Aussterben bedroht: Bei einer globalen Erwärmung von zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau seien 18 Prozent der heutigen an Land befindlichen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht, bei vier Grad 50 Prozent.
"Der Zeitpunkt wichtiger biologischer Ereignisse wie Fortpflanzung oder Blüte verändert sich", berichten die Wissenschaftler. Beispiel sei die Verfügbarkeit von Insekten zur Zeit der Vogelbrut. Bis Ende des Jahrzehnts könnten Fischer in den tropischen Regionen Afrikas bis zu 41 Prozent weniger fangen. In Afrika sei Fisch für ein Drittel der Menschen die Hauptproteinquelle. Wenn die Erwärmung 2.1 Grad erreiche, dürften in Afrika bis 2050 zusätzlich 1.4 Millionen Kinder wegen Unterernährung in ihrer Entwicklung für immer zurückbleiben.
Noch nähmen Ökosysteme mehr Treibhausgase auf als sie selbst verursachten, heißt es in den IPCC-Dokumenten. Das ändere sich aber, wenn Urwald abgeholzt oder Torfmoorgebiete trockengelegt werden oder der arktische Permafrost schmilzt. "Dieser und andere Trends können noch umgekehrt werden, wenn Ökosysteme instandgesetzt, wieder aufgebaut und gestärkt und nachhaltig bewirtschaftet werden", schreiben die Wissenschaftler. "Gesunde Ökosysteme und eine reiche Artenvielfalt sind die Grundlage für das Überleben der Menschheit."
30 bis 50 Prozent der Erdoberfläche müssten deshalb für Naturräume zur Verfügung gehalten werden. Diese Räume könnten durchaus genutzt werden, aber nur in einem nachhaltigen Miteinander von Mensch und Natur. "Dieses Denken ist in der Politik noch nicht so richtig angekommen", sagte Pörtner vor Journalisten.
Neben der drastischen Verringerung des Ausstoßes klimaschädlicher Treibhausgase seien fundamentale gesellschaftliche Veränderungen nötig. Die Energie müsse sauber, die Wegwerfmentalität beseitigt werden. Städte und Landwirtschaft müssten nachhaltig, die Mobilität verändert werden: mehr Rad- statt Autofahren, mehr Zugfahren statt Fliegen. Wichtig sei, die gesamte Bevölkerung mitzunehmen, mahnte die Klimaforscherin und Mitautorin Daniela Schmidt.
Der neue IPCC-Report ist Teil zwei des 6. Sachstandsberichts zum Klimawandel des Weltklimarats; der erste Teil über die wissenschaftlichen Grundlagen kam im August 2021 heraus. Der dritte Teil befasst sich mit Möglichkeiten, den Klimawandel zu mindern. Er wird im April erwartet. Laut Weltklimarat lag die globale Durchschnittstemperatur im Zeitraum 2010 bis 2019 durch die vom Menschen verursachten Treibhausgase rund 1.1 Grad höher als in vorindustrieller Zeit (1850-1900). Allein seit dem 5. Sachstandsbericht 2014 war sie um 0.2 Grad gestiegen.
(mcm/dpa)