Riesige Gesteinsbrocken und Unmengen an geschmolzenem Eis dominieren seit Mittwoch das Bild des Bergdorfes Blatten in der Schweiz. Eigentlich wohnen hier rund 300 Menschen, doch sie alle wurden bereits in der vergangenen Woche evakuiert. Ein Großteil der Häuser ist verschüttet, der Rest ist mittlerweile fast vollständig in einem Stausee versunken.
Grund ist ein Felssturz, den Expert:innen im Voraus prognostizieren konnten. Es kam jedoch schlimmer als befürchtet: Denn die Felsbrocken vom Kleinen Nesthorn stürzten auf den Birschgletscher, der wiederum am Mittwoch komplett abbrach. In der Schweiz spricht man von einem Jahrhundertereignis. Unmengen Fels und Geröll bahnten sich durch den Gletscherabbruch ihren Weg in die Tiefe.
"Das Phänomen ist einzigartig. Mir sind aus den Alpen keine vergleichbaren Fälle bekannt", sagt Christophe Lambiel der Zeitung "La Nouvelliste". Er ist Professor für Permafrost und Entwicklung alpiner Landschaften.
Er erklärt, dass der Felssturz auch im Zusammenhang mit der Erderwärmung stehen dürfte. Gebiete im Permafrost werden durch die Wärme demnach immer instabiler.
"Dieser Permafrostboden zersetzt sich: Das Eis in den Rissen schmilzt, das Gestein wird instabiler und Erdrutsche nehmen zu", erklärt Lambiel. In den vergangenen Jahren sind die eigentlich dauerhaft gefrorenen Böden im Sommer starker Hitze ausgesetzt. Die Auswirkungen zeigen sich oft erst Jahre später.
Wie beinahe jede:r in der Schweiz blickt Christophe Lambiel nun entsprechend mit Sorge auf das, was Blatten und den umliegenden Dörfern in den kommenden Stunden und Tagen bevorsteht.
Aktuell bestehen mehrere Gefahrenquellen. In dem Schuttberg in Blatten befindet sich einerseits noch immer langsam schmelzendes Gletschereis. Dadurch sind die Felsmassen besonders instabil. Weder Menschen noch Maschinen können hier sicher arbeiten.
Auf der anderen Seite drohen weiterhin Rutschungen. An der ursprünglichen Abbruchstelle könnten immer noch hunderttausende Kubikmeter Gestein abstürzen. Gleichzeitig wurde bei dem Gletscherabbruch Geröll auf die gegenüberliegende Hangseite gedrückt. Auch sie könnten als neue Gerölllawine abrutschen.
"Unternehmen können wir leider wenig, weil die Sicherheitslage vor Ort es nicht zulässt, dass wir mit schweren Maschinen eingreifen können", sagte Christian Studer von der zuständigen Dienststelle Naturgefahren des Kantons Wallis im Schweizer Fernsehen.
Ein weiteres Problem ist der Fluss Lonza. Das Flussbett ist nach dem gigantischen Gletscherabbruch am Mittwoch durch meterhohe Schuttberge blockiert. Dahinter stauen sich die Wassermassen, zeitweise stieg der Wasserstand stündlich um drei Meter.
Die Behörden können daher nicht vollständig ausschließen, dass das Wasser über den Schutt schwappt und eine Flutwelle ins Tal rauscht. Mehrere Gemeinden im Lötschental wurden geräumt. Insgesamt wohnen in dem Gebiet mehr als 2000 Menschen, zunächst wurden aber nur die Ortsteile am Talgrund evakuiert.
Dass das "Worst Case"-Szenario eintritt und eine Flutwelle durch das Tal rollt, wird aktuell als eher unwahrscheinlich eingeschätzt. Professor Lambiel erklärt "La Nouvelliste" aber, dass sich die Landschaft durch den Felssturz nachhaltig verändern wird.
Er plädiert im Zusammenhang mit der Naturkatastrophe für intensivere Untersuchungen in den entsprechenden Regionen. "Während sich die Gletscher im Allgemeinen zurückziehen, zeigt dieser Fall, dass dort lokale Risiken weiter zunehmen werden", sagt er.
Bisher gab es keine Verletzten im Zusammenhang mit dem Felssturz. Ein Mann, der sich am Mittwoch offenbar in der Gefahrenzone aufhielt, wird noch vermisst.
(mit Material der dpa)