
Auf dem Globalen Klimastreik setzen sich wieder Zehntausende in Berlin für mehr Klimagerechtigkeit ein.Bild: watson / privat
Nah dran
03.03.2023, 19:2903.03.2023, 19:29
Der Newsticker auf dem Handy pingt.
EU verschiebt Abstimmung über Verbrenner-Aus.
Jessamine Davis wirft einen kurzen Blick auf ihr Handy, schüttelt den Kopf. Dann beugt sie sich zurück über ihren Laptop, den sie provisorisch auf einem noch leeren Tisch aufgeklappt hat. Die letzten Abstimmungen zur Rede von "Klimaneustart 2023" müssen noch mit anderen solidarischen Bewegungen abgestimmt werden, bevor es gleich auf die Bühne des Klimastreiks geht.
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Denn heute ist es wieder so weit: Zum zwölften Mal versammeln sich an diesem Freitag weltweit Zehntausende Menschen bei Protestmärschen für mehr Ehrgeiz im Kampf gegen die Klimakrise. Allein in Deutschland waren Aktionen an mehr als 250 Orten geplant, darunter in München, Hamburg, Frankfurt und Berlin.
Ihr Ziel, wie eh und je: Der Politik, Wirtschaft und Gesamtgesellschaft Feuer unterm Hintern machen – denn dass die Erde brennt, ist längst keine Neuigkeit mehr.

Bevor es auf den Protestmarsch losgeht, werden noch ein paar letzte Plakate bemalt.Bild: watson / privat
Trotzdem geht es beim internationalen Klimaschutz zu wenig voran. Darüber sind sich alle Klimaaktivist:innen einig, die sich an diesem fies-kalten Freitagmittag am Treffpunkt im Invalidenpark, Berlin-Mitte, versammelt haben.
Wird Berlin ab 2030 klimaneutrale Hauptstadt?
Jessamine ist Pressesprecherin und Vorständin von "Klimaneustart Berlin". Sie zählt dabei ab heute rückwärts: Denn für sie drängt die Zeit – noch sind es exakt 23 Tage bis zum 26. März. Dem Tag, an dem in Berlin ein Volksentscheid darüber bestimmen wird, ob die Hauptstadt ab 2030 klimaneutral werden soll. Gelingt das, könnte eine Wellenbewegung ausgelöst werden, sodass auch andere Städte sich zur Klimaneutralität bekennen.
Das zumindest ist die Hoffnung.

Jessamine Davis von "Klimaneustart Berlin" hofft darauf, dass der Volksentscheid durchkommt.Bild: watson / privat
Doch nach dem erst kürzlichen Sieg der CDU bei der Berlin-Wahl droht nun auch der Volksentscheid zu scheitern – was ein derber Rückschlag für alle Anwesenden wäre. "Wir haben letztes Jahr auf der Straße mit Hunderttausenden von Menschen gesprochen, weil wir 260.000 Unterschriften für den ersten Vorstoß zum Klimaentscheid gesammelt haben", sagt Jessamine. "Also wissen wir, dass eigentlich viele Menschen der Meinung sind, dass die Politik nicht schnell genug handelt und dass sie bereit sind für mehr Klimaschutz."
Doch das müsse sich jetzt ein weiteres Mal auch am 26. März zeigen. Dann nämlich müssten all jene Menschen noch einmal unterschreiben: Für mehr Klimaschutz, für Klimaneutralität bis 2030.
Wo ist die Hoffnung geblieben?
Doch die heutige Stimmung ist zunächst genauso grau und trist, wie auch der Berliner Himmel an diesem Freitag. Um sich ein weiteres Mal aufzuraffen, brauchen die meisten der Klimaaktivist:innen vor allem eines: Hoffnung.
Kurz vor Streikbeginn hat sich eine stetig wachsende Menschenmenge auf dem Platz versammelt. Fröstelnd stehen ganze Schulklassen vor der aufgebauten Bühne, tapfer halten sie bunte Schilder in die Höhe. Mal wieder. Zwei Sprecher von Fridays for Future versuchen währenddessen etwas Schwung in die Menge zu bringen, ein buntes Musikprogramm soll die Stimmung aufhellen: "Habt ihr alle Bock, zusammen mit uns den Frust der letzten Monate rauszuschreien?", dröhnt es aus den Lautsprechern.

Die Frustration unter den Streikenden ist groß – zu wenig ist politisch passiert.Bild: watson / privat
Denn genau das scheinen hier alle bitter nötig zu haben: Vor lauter Krieg, weiterer globaler Krisen, schlechter Nachrichten und Rückschlägen aus der Politik haben sich viele innerlich zurückgezogen, sind wütend, und gleichzeitig erschöpft:
"Heute, nach einem weiteren Jahr voller Enttäuschungen von der Politik in Sachen Klimaschutz, Klimagerechtigkeit und Hilfe für Geflüchtete aus aller Welt, ist es wichtig, alle Emotionen auch mal herauszulassen. Am besten mit Musik", kündigt deshalb Jasmin Shakeri zum Auftakt der Demo an. Dazu leitet die Deutsch-Iranerin heute den Start der Demo mit ihrem Song "D.R.A.M.A. Outro" ein – "das bedeutet, Du Rastest Am Meisten Aus", wie sie auf der Bühne erklärt.

Aktivistin Jasmin Shakeri versucht, mit ihrer Musik ordentlich Stimmung zu machen.Bild: watson / privat
Die Demonstrierenden sind frustriert, nicht so fröhlich wie gewöhnlich
Auch die Jungs der deutschen Indie-Pop-Band Provinz sind vor Ort: Mit "Sag mir wo die Blumen sind", einer Adaption des berühmten Songs von Marlene Dietrich und ihrem Hit "Was uns high macht", versuchen sie, etwas gefühliger auf die Menschenmenge einzuwirken – und Mut zu machen.
"Ich geb' dir das, was uns high macht, geb' dir das, was uns fliegen lässt, all die Ängste so weit weg, weit weg für dich."
Lyrics von dem Song "Was uns high macht" von der Band Provinz

Die Band Provinz heizt ordentlich ein.Bild: watson / privat
In Anschluss tritt dann auch Sängerin Eva von ok.danke.tschüss vor den Demonstrierenden mit ihrem Song "Zu laut in der Disko" auf: "Wir wollen heute alle unterstützen, die ihre Stimme für Klimaschutz erheben und dafür kämpfen, dass wir alle in Zukunft noch auf dieser Erde leben können", erklärt sie gegenüber watson vor ihrem Auftritt:
"Musik ist eine Sprache der Emotionen. Damit erreicht man sehr viel bei Menschen und kann Menschen auch gut dazu anregen, zu reflektieren. Gleichzeitig schafft Musik ein unglaubliches Zusammengehörigkeitsgefühl, was dabei helfen kann, diese Krise gemeinsam zu bewältigen."
Eva Sauter, Musikerin
Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl ist wichtig – denn die Stimmung einer lauten Mehrheit auf der Demo ist klar: "Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten! Und wer war mit dabei? Die grüne Partei!", schallt es zornig über den Platz.
Luisa Neubauer hellt Stimmung der Demonstrierenden auf
Als mit etwas Verzögerung endlich Luisa Neubauer auf der Rednerbühne erscheint, ist die Tristesse der ersten Stunde etwas verflogen. Mit etwas mehr Elan sammelt sich die Menge zusammen, um ihren Marsch gen Bundestag zu starten. "Wir sind zum fucking zwölften Mal hier!", schreit Luisa ins Mikrofon. "Lasst uns nicht aufgeben, die da oben müssen endlich, endlich handeln!"
Während Seifenblasen über den Köpfen in den grauen Berliner Himmel steigen, setzt sich die Menge schließlich in Bewegung. Auch Jessamine schließt sich an: "Es geht nicht, dass soziale Gerechtigkeit mit Klimagerechtigkeit ausgespielt wird." Sie ergänzt:
"Die CDU hat die Wahl gewonnen, weil sie Menschen Angst gemacht hat mit der Energiekrise – weil unser Staat momentan nicht sozial-gerecht ausgelegt ist. Diese Angst müssen wir ernst nehmen, aber die Krisen hängen zusammen und wir können sie nur lösen, wenn wir alles gemeinsam angehen. Aber eine Auto-Politik weiterzufahren, ist nicht Freiheit. Und die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören, ist noch weniger Freiheit. Das geht einfach nicht zusammen."
Es ist kein Geheimnis, dass gerade Containerschiffe viel CO2 in die Luft blasen. Für das Klima natürlich ein großes Problem. Nun gibt es endlich ein straffes Regelkorsett.
Die Schifffahrtindustrie ist eine besonders schmutzige. Seit den 1970er-Jahren sind die Emissionen in dem Bereich, temporäre Schwankungen mal ausgenommen, fast stetig gestiegen. 2023 lag der Ausstoß bei rund 706 Millionen Tonnen CO2. Nach Angaben von Greenpeace verursacht der internationale Schiffsverkehr etwa 2,6 Prozent der weltweiten Emissionen. Um Klimaziele einzuhalten, muss sich also auch hier was ändern.