Der Newsticker auf dem Handy pingt.
EU verschiebt Abstimmung über Verbrenner-Aus.
Jessamine Davis wirft einen kurzen Blick auf ihr Handy, schüttelt den Kopf. Dann beugt sie sich zurück über ihren Laptop, den sie provisorisch auf einem noch leeren Tisch aufgeklappt hat. Die letzten Abstimmungen zur Rede von "Klimaneustart 2023" müssen noch mit anderen solidarischen Bewegungen abgestimmt werden, bevor es gleich auf die Bühne des Klimastreiks geht.
Denn heute ist es wieder so weit: Zum zwölften Mal versammeln sich an diesem Freitag weltweit Zehntausende Menschen bei Protestmärschen für mehr Ehrgeiz im Kampf gegen die Klimakrise. Allein in Deutschland waren Aktionen an mehr als 250 Orten geplant, darunter in München, Hamburg, Frankfurt und Berlin.
Ihr Ziel, wie eh und je: Der Politik, Wirtschaft und Gesamtgesellschaft Feuer unterm Hintern machen – denn dass die Erde brennt, ist längst keine Neuigkeit mehr.
Trotzdem geht es beim internationalen Klimaschutz zu wenig voran. Darüber sind sich alle Klimaaktivist:innen einig, die sich an diesem fies-kalten Freitagmittag am Treffpunkt im Invalidenpark, Berlin-Mitte, versammelt haben.
Jessamine ist Pressesprecherin und Vorständin von "Klimaneustart Berlin". Sie zählt dabei ab heute rückwärts: Denn für sie drängt die Zeit – noch sind es exakt 23 Tage bis zum 26. März. Dem Tag, an dem in Berlin ein Volksentscheid darüber bestimmen wird, ob die Hauptstadt ab 2030 klimaneutral werden soll. Gelingt das, könnte eine Wellenbewegung ausgelöst werden, sodass auch andere Städte sich zur Klimaneutralität bekennen.
Das zumindest ist die Hoffnung.
Doch nach dem erst kürzlichen Sieg der CDU bei der Berlin-Wahl droht nun auch der Volksentscheid zu scheitern – was ein derber Rückschlag für alle Anwesenden wäre. "Wir haben letztes Jahr auf der Straße mit Hunderttausenden von Menschen gesprochen, weil wir 260.000 Unterschriften für den ersten Vorstoß zum Klimaentscheid gesammelt haben", sagt Jessamine. "Also wissen wir, dass eigentlich viele Menschen der Meinung sind, dass die Politik nicht schnell genug handelt und dass sie bereit sind für mehr Klimaschutz."
Doch das müsse sich jetzt ein weiteres Mal auch am 26. März zeigen. Dann nämlich müssten all jene Menschen noch einmal unterschreiben: Für mehr Klimaschutz, für Klimaneutralität bis 2030.
Doch die heutige Stimmung ist zunächst genauso grau und trist, wie auch der Berliner Himmel an diesem Freitag. Um sich ein weiteres Mal aufzuraffen, brauchen die meisten der Klimaaktivist:innen vor allem eines: Hoffnung.
Kurz vor Streikbeginn hat sich eine stetig wachsende Menschenmenge auf dem Platz versammelt. Fröstelnd stehen ganze Schulklassen vor der aufgebauten Bühne, tapfer halten sie bunte Schilder in die Höhe. Mal wieder. Zwei Sprecher von Fridays for Future versuchen währenddessen etwas Schwung in die Menge zu bringen, ein buntes Musikprogramm soll die Stimmung aufhellen: "Habt ihr alle Bock, zusammen mit uns den Frust der letzten Monate rauszuschreien?", dröhnt es aus den Lautsprechern.
Denn genau das scheinen hier alle bitter nötig zu haben: Vor lauter Krieg, weiterer globaler Krisen, schlechter Nachrichten und Rückschlägen aus der Politik haben sich viele innerlich zurückgezogen, sind wütend, und gleichzeitig erschöpft:
"Heute, nach einem weiteren Jahr voller Enttäuschungen von der Politik in Sachen Klimaschutz, Klimagerechtigkeit und Hilfe für Geflüchtete aus aller Welt, ist es wichtig, alle Emotionen auch mal herauszulassen. Am besten mit Musik", kündigt deshalb Jasmin Shakeri zum Auftakt der Demo an. Dazu leitet die Deutsch-Iranerin heute den Start der Demo mit ihrem Song "D.R.A.M.A. Outro" ein – "das bedeutet, Du Rastest Am Meisten Aus", wie sie auf der Bühne erklärt.
Auch die Jungs der deutschen Indie-Pop-Band Provinz sind vor Ort: Mit "Sag mir wo die Blumen sind", einer Adaption des berühmten Songs von Marlene Dietrich und ihrem Hit "Was uns high macht", versuchen sie, etwas gefühliger auf die Menschenmenge einzuwirken – und Mut zu machen.
In Anschluss tritt dann auch Sängerin Eva von ok.danke.tschüss vor den Demonstrierenden mit ihrem Song "Zu laut in der Disko" auf: "Wir wollen heute alle unterstützen, die ihre Stimme für Klimaschutz erheben und dafür kämpfen, dass wir alle in Zukunft noch auf dieser Erde leben können", erklärt sie gegenüber watson vor ihrem Auftritt:
Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl ist wichtig – denn die Stimmung einer lauten Mehrheit auf der Demo ist klar: "Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten! Und wer war mit dabei? Die grüne Partei!", schallt es zornig über den Platz.
Als mit etwas Verzögerung endlich Luisa Neubauer auf der Rednerbühne erscheint, ist die Tristesse der ersten Stunde etwas verflogen. Mit etwas mehr Elan sammelt sich die Menge zusammen, um ihren Marsch gen Bundestag zu starten. "Wir sind zum fucking zwölften Mal hier!", schreit Luisa ins Mikrofon. "Lasst uns nicht aufgeben, die da oben müssen endlich, endlich handeln!"
Während Seifenblasen über den Köpfen in den grauen Berliner Himmel steigen, setzt sich die Menge schließlich in Bewegung. Auch Jessamine schließt sich an: "Es geht nicht, dass soziale Gerechtigkeit mit Klimagerechtigkeit ausgespielt wird." Sie ergänzt: