Als ich anfing, mich rein pflanzlich zu ernähren, tat ich das hauptsächlich aus Tierwohl-Gründen. Ich konnte nicht mehr mit mir vereinbaren, dass Tiere für mich gequält wurden und leiden mussten. Weder hatte ich gesundheitliche Probleme, die ich zu lösen hoffte, noch ließ mich die Klimathematik nicht mehr schlafen. Inzwischen weiß ich: Die Ernährungsumstellung hat viel mit mir gemacht. Ich bin sensibler für die Qualität, Behandlung und Herkunft von Lebensmitteln geworden.
Der schönste Nebeneffekt von allen? Veganes Kochen hat mir eine völlig neue Geschmackswelt eröffnet. Nun hatten mich als Restaurant-Lover auch vorher schon grandiose Köche mit ungewöhnlichen Kreationen begeistert. Und dennoch verlässt sich ein Gericht häufig auf den Geschmack von in Fett gebratenem Fleisch, denn hier entstehen – durchaus leckere – Röstaromen.
Die vegane Küche stellt sich dagegen der Herausforderung, die Geschmacksnerven mit rein pflanzlichen Zutaten zu betören – und wird dabei unglaublich kreativ. Da ich keine Lust hatte, immer nur Nudeln oder gebratenes Gemüse zu essen, legte ich mir einen Stapel hübscher Vegan-Kochbücher zu. Ich wagte mich an Lebensmittel, mit denen ich vorher nicht viel anzufangen wusste (Mangold! Chicorée! Pak Choi! Artischocken! Sellerie!). Ich deckte mich mit Gewürzen ein und lernte, dass Kreuzkümmel, Senfsamen oder Kardamom ein Gericht entscheidend schmackhaft machen können. Ich fand heraus, dass geröstete Nüsse, Samen, Kräuter und Sprossen häufig das i-Tüpfelchen sind. Ich musste einsehen, dass sich der Kauf eines Sesamöls tatsächlich lohnt.
Was mich am meisten beeindruckte, war jedoch, wie sich gewöhnliche Zutaten in eine kulinarische Offenbarung verwandelten. Blumenkohl verzehrte ich bisher als langweilige Gemüsebeilage. Im Ganzen mit Öl mariniert, gesalzen und gepfeffert, im Ofen gebacken und anschließend geröstet, ist er für mich zu einem persönlichen Lifehack geworden. Ähnlich ging es mir mit Auberginen. Dank des israelisch-britischen Kochs Ottolenghi bin ich jetzt großer Fan: Eine Stunde im Backofen rösten, danach das Fruchtfleisch herausschaben und mit Salz, Pfeffer und Essig weiterverarbeiten. Auf Linsengerichten oder als pikanter Dip in einer Bowl – so einfach und so aromatisch.
Ich habe mich noch nie so vielseitig wie in diesem Lebensabschnitt ernährt – weil ich Zeit hatte und sie mir nahm. Davor sollte es meistens schnell gehen oder ich ging gleich essen. Mit dem Entschluss, vegan zu leben, war ich zum ersten Mal gezwungen, mich intensiv mit dem Thema Kochen auseinanderzusetzen. Und so räumte ich der Essenszubereitung eine größere Bedeutung und eben ein größeres Zeitfenster ein. In einer längeren Phase, in der ich beruflich ausschließlich im Homeoffice arbeitete, ging ich teilweise täglich frisch einkaufen: Gemüse auf dem Wochenmarkt, die weiteren Zutaten im Bioladen und war etwas sehr Exotisches dabei, fuhr ich auch mal extra in einen etwas entfernter gelegenen Feinkostladen. Mein nicht-veganer Mann schwärmt noch heute von dieser Zeit.
Und dann wurde ich irgendwann schwanger. Mit Baby löste sich mein Ernährungsstil Stück für Stück auf. Ich war einfach nur froh, wenn ich überhaupt etwas zu essen bekam, da ich den größten Teil des Tages mit Stillen beschäftigt war. Die Hebamme drängte darauf, regelmäßig frisch gekochte Hühnerbrühe zu mir zu nehmen, damit ich wieder zu Kräften kam. Und später war ein schnelles Käsebrot die einfachste Lösung, um nachmittags endlich den Hunger des gesamten Tages zu stillen.
Ich bin nach wie vor überzeugt, dass eine ausgewogene vegane Ernährungsweise die bessere und gesündere ist, doch sie erfordert eben mehr Zeit fürs Einkaufen und die Zubereitung. Das ewige Gemüse-Geschnippel geht mir bis heute auf die Nerven. Zwischen Job und Kinderbetreuung muss es mittags schnell gehen. Und abends bin ich fast immer zu k.o. Dazu kommt, dass mein Kind phasenweise nur fünf Lebensmittel akzeptiert und jegliche Würze verschmäht. Also landen am Ende doch wieder eine Packung Tiefkühl-Rahmspinat, Kartoffeln und Spiegeleier auf dem Tisch. Die veganen Glanzpunkte aus vergangenen Zeiten gab's in den letzten Monaten höchstens am Wochenende, falls der Lieferservice nicht doch den Zuschlag bekam.
Seit diesem Jahr habe ich einiges geändert. Ich habe mir eine vegane Rezeptsammlung an tatsächlich schnellen und schmackhaften Gerichten zugelegt. Ich zwinge mich, Reis, Linsen oder Gemüsebeilagen in größerer Menge zu kochen um daraus am nächsten Tag ein abgeändertes Gericht zu kreieren. Und ich habe meine veganen Basis-Zutaten aufgefüllt. Sesammus (Tahin), Tamari (fermentierte Sojasauce) oder Kokosöl sind ab sofort griffbereit. Quinoa, Hirse, Bulgur, Couscous – immer verfügbar.
Und ja, es gibt vegetarische Gerichte, die ich sehr liebe und für die ich bisher keine adäquate vegane Variante gefunden habe. Griechische Meze ohne Feta und Naturjoghurt? Schmeckt mit Sojajoghurt einfach Mist. Vegane Ersatzprodukte lehne ich grundsätzlich ab. Natürlich kann man den Käse auf einer Lasagne mit Cashew- oder Kichererbsenmus ersetzen. Aber veganen Käse, der häufig Stabilisatoren und Aromen enthält, kaufe ich nie. Statt eines veganen Burger-Pattys würde ich lieber einen Walnussbratling zubereiten.
Dass vegan nicht gleich gesund ist, ist sowieso klar. Wer sich ausschließlich von industriell gefertigten Vegan-Produkten ernährt, jeden zweiten Tag Pommes auf dem Teller hat oder sehr einseitig isst, macht vielleicht die Welt zu einem besseren Ort, seinen Körper keinesfalls. Das Gleiche gilt andersherum: Das Gerücht, mit einer veganen Ernährung würde man nicht genügend Nährstoffe zu sich nehmen, ist Unsinn. Oft geht es dabei um Eisen und Kalzium. Hier ein paar Fakten: Haferflocken, Leinsamen und Kürbiskerne liefern mehr Eisen als Rindfleisch. Für Kalzium gilt: Rucola, Grünkohl, Tofu oder Sesamsamen enthalten mehr Kalzium als Kuhmilch. Also lasst euch nichts einreden! Meine Blutwerte waren nach 2,5 Jahren veganer Ernährung bestens, selbst in der Schwangerschaft. Das einzige, was ich zusätzlich einnehme, ist Vitamin B12, da die Aufnahme über pflanzliche Lebensmittel kaum möglich ist.
Ich bin sensibler für Lebensmittel und Zutatenlisten geworden. Beschäftige mich viel mit saisonalen Zutaten und regionalen Erzeugern. Und dabei ist mir auch irgendwann gedämmert, dass viele Veganrezepte exotische Zutaten voraussetzen. Lebensmittel, die lange Flugstrecken zurücklegen, die zur Herstellung Unmengen an Wasser verbrauchen oder den Regenwald gefährden. Ich habe für mich eingesehen, dass sich Chiasamen im Frühstücksbrei auch wunderbar durch Leinsamen ersetzen lassen, Cashewnüsse durch Walnüsse. Ich muss eben nicht jedes Wochenende ein Avocado Bread bestellen, fünf Vegan-Aufstriche mit Palmöl im Kühlschrank haben und Haferdrinks kommen auch aus dem Schwarzwald, auch wenn die hipperen Schweden zugegebenermaßen die hübschere Verpackung haben.
Bei uns gibt's häufig das klassische Abendbrot – weil schnell und unkompliziert. Während mein Mann und mein Kind meistens Käse auf ihr mit Butter beschmiertes Brot legen und gerne auch mal ein Stück Salami verzehren, sieht meine fix zubereitete Auswahl so aus: Tomaten schaumig reiben, mit Olivenöl, Salz und Pfeffer verrühren und auf ein getoastetes Walnussbrot streichen. Als zweite Variante glatte Petersilie klein schneiden, mit Olivenöl, Salz und Pfeffer vermischen. Dazu serviere ich mir fertig gekauften Humus mit gerösteten Pinienkernen, mit Mandeln gefüllte Oliven, Gurke, Pepperoni oder eingelegte Artischocken. Wenn's richtig gut läuft, gibt's auch mal einen Sellerieknollen-Salat. Kommt aber selten vor. Und ein Rote-Beete-Tartar steht auf der Liste. Mal sehen, ob ich es 2021 endlich hinbekomme.