Wer in den vergangenen Jahren seine Stromrechnungen gesehen hat, musste sicher häufig schlucken. Die Energiepreise bei den Versorgern sind zwischenzeitlich rasant gestiegen. Glücklich schätzen konnte sich, wer da bereits eine Solaranlage auf dem Dach hatte und eigenen Strom produzieren konnte.
Nicht nur zum Sparen ist Photovoltaik super, es ist auch noch nachhaltig: Sonnenenergie zählt als grüner Strom und trägt maßgeblich zur Energiewende bei, mit der die Klimakatastrophe abgewendet werden soll.
Das Problem: Immer mehr Deutsche – knapp 78 Prozent – leben in Städten. Die meisten Lösungen zur nachhaltigen Solarstromerzeugung eignen sich aber oft nur für Menschen mit Eigenheim auf dem Land. Wer in Mietwohnungen und Großstädten lebt, findet kaum unbürokratische Lösungen.
Mit einem jüngst eingeführten Gesetz, dem Solarpakt I, sollen ab sofort auch Mieter:innen in Großstädten von hauseigener Solarenergie profitieren.
Mit dem Solarpaket I will die Regierung den Ausbau von Photovoltaik deutlich beschleunigen. Zwei Punkte sind für Mieter:innen besonders spannend. Erstens: Das Gesetz vereinfacht die Verwendung von Balkonkraftwerken. Zweitens: Die Versorgung mit Solar in Mehrfamilienhäusern wird unkomplizierter.
Das Gesetz ist bereits im Mai in Kraft getreten. Millionen Menschen haben jetzt die Möglichkeit, noch leichter Strom selbst zu erzeugen. Bis 2030 soll der Anteil Erneuerbarer Energien am Stromverbrauch so auf 80 Prozent steigen – derzeit liegen wir bei rund 52 Prozent.
Balkonkraftwerke sind Solarmodule, die sich mit wenigen Handgriffen außen am Balkon befestigen lassen. Damit können Haushalte ganz einfach ihren eigenen Strom produzieren und machen sich unabhängiger von teuren Versorgern.
Durch das neue Gesetz müssen Nutzer:innen ihr Balkonkraftwerk nicht mehr beim Netzbetreiber anmelden. Zudem dürfen die Module leistungsfähiger sein (zwei Kilowatt, Wechselrichterleistung bis zu 800 Voltampere) und einen herkömmlichen Schuko-Netzstecker zur Stromeinspeisung verwenden.
Die Technologie ist nicht neu. Trotzdem sieht man Balkonkraftwerke bisher selten. Was viele nicht wissen: Mehrere Bundesländer und Kommunen fördern die Anschaffung eines Balkonkraftwerks. In Berlin können Mieter:innen einen Zuschuss von bis zu 500 Euro für den Kauf erhalten.
Der Hersteller Zweihorn Energy will Balkonkraftwerke bekannter machen. Das ehrgeizige Ziel: drei Millionen Balkonkraftwerke in Deutschland verbauen. Mit deren geballter Energieerzeugung könne ein Kohlekraftwerk ersetzt werden. Laut Unternehmen haben 60 Millionen Menschen in Deutschland Zugang zu einem Balkon oder einer Terrasse – möglich wäre das also.
Co-Gründerin Elisa Naranjo und ihre Kollegen Kian Pariwar und Waldemar Zeiler haben im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne 275.000 Euro gesammelt. Von dem Geld finanzieren sie aktuell die Produktion von 500 Balkonkraftwerken. Rund 50 Balkonkraftwerke davon sind für den Soli-Topf und gehen an Menschen, die sich die Investition nicht leisten können.
Denn: Das günstigste Zweihorn-Balkonkraftwerk kostet 549 Euro. Im Baumarkt gibt es bereits deutlich günstigere zu kaufen. "Im Gegensatz zu herkömmlichen Balkonkraftwerken wiegt unseres aber nur vier Kilogramm statt 20 bis 40 Kilogramm", sagt Naranjo im watson-Gespräch. Auch die Anbringung sei deutlich einfacher. Die Kraftwerke gibt es als 300-Watt- oder 600-Watt-Paket.
"Natürlich kann man sich nicht ausschließlich mit einem Balkonkraftwerk versorgen. Aber die Menschen haben endlich zu Hause Zugang zu Erneuerbarer Energie", sagt Naranjo. Das 300-Watt-Modul könne zehn Prozent der Stromrechnung abdecken. "Selbst an einem grauen Wintertag wird ein bisschen Strom produziert." Sie betont:
Mieter könnten auch profitieren, wenn es mehr großflächige Solaranlagen auf Dächer von Miethäusern gäbe, um alle Haushalte darin zu versorgen. Doch auch die sind noch spärlich verbreitet.
Laut Harry Wirth, Photovoltaik-Experte am Fraunhofer Institut, stehen in Deutschland rund 40 Millionen Gebäude. Bisher werden demnach jedoch weniger als zehn Prozent des Potenzials dieser Dächer und Fassaden für die Erzeugung von Solarenergie genutzt.
Das neue Solargesetz soll ermöglichen, dass Mieter:innen in Mehrfamilienhäusern günstigeren Solarstrom von gemeinschaftlichen Dächern oder Garagen direkt im Haus nutzen können. Bisher musste dieser erst über einen Umweg ins allgemeine Stromnetz eingespeist werden.
Friedrich Grimm, Mitgründer des Unternehmens Marcley, begrüßt das Gesetz: "Strom, der direkt dort verbraucht wird, wo er entsteht, ist die nachhaltigste Form der Energieversorgung. Damit sind Solaranlagen auf dem Dach die beste Voraussetzung zur Energiewende in Mehrfamilienhäusern."
Marcley ist ein Start-up aus Hannover, das Solaranlagen für Mehrfamilienhäusern anbietet. Für die Eigentümer ist das völlig kostenfrei. Den erzeugten Strom verkauft das Unternehmen an die Mieter:innen und verspricht dafür niedrige Preise. Dadurch sollen noch mehr Menschen Solarenergie nutzen können.
Bereits jetzt liefert Solarenergie relevante Beiträge zur Stromversorgung, schreibt Solarexperte Wirth in einer Analyse: "Mit einer geschätzten Stromerzeugung von 61,1 Terrawattstunden im Jahr 2023 deckte die Photovoltaik 12 Prozent des Bruttostromverbrauchs in Deutschland."
Wirth zufolge kann Photovoltaik-Strom künftig einen wesentlichen Teil unseres Energiebedarfs decken. Dafür müssen allerdings die Voraussetzungen gegeben sein. Mit dem neuen Gesetz ist ein weiterer Schritt getan. Um die Energiewende zu schaffen, muss der Ausbau der Photovoltaik – auch an Mehrfamilienhäusern – aber noch deutlich voranschreiten.
Zweihorn sucht aktuell Vermieter:innen, die mit ihnen eine komplette Hausfassade mit Balkonsolar bestücken. Von dem Projekt erhoffen sie sich einen Domino-Effekt – und mehr Vermieter:innen, die den Solaranbau an ihren Gebäuden befürworten.