Es sind Szenen, die vor lauter Grauen kaum fassbar sind. Jeden Tag wird in deutschen und internationalen Nachrichtensendungen von erneuten Angriffen auf den Gazastreifen berichtet, doch die Realität ist wohl viel härter als Bilder sie jemals abbilden könnten.
Am 7. Oktober 2023 griff die radikal-islamistische Terrororganisation Hamas mehrere Ziele in Israel an und tötete Dutzende Zivilist:innen. Die damit provozierten Gegenangriffe haben der Hamas zufolge mittlerweile ebenfalls Tausende Todesopfer nach sich gezogen.
Omar ist vier Jahre alt und konnte diesem Schicksal knapp entrinnen. Doch schon jetzt hat er so viel Leid erlitten wie wahrscheinlich kaum ein Kind in Westeuropa. Die schlimmste Nachricht steht dem Jungen aus dem Gazastreifen allerdings noch bevor.
"Er weiß, dass er keinen von ihnen gesehen hat, und doch hat er das Bedürfnis zu fragen: 'Wo ist Mama? Wo ist Oma?'", beschreibt Omars Onkel Moein Abu Rezk die Situation gegenüber der BBC. Er ist der einzige von 35 Verwandten des Jungen, der vergangene Woche nicht bei einem Angriff des israelischen Militärs getötet wurde.
Vor knapp einer Woche starben Omars Eltern und weitere Angehörige durch Raketenangriffe auf die palästinensische Stadt Dair al-Balah südlich von Gaza-Stadt. Die Familie besuchte dort gemeinsam Omars Großmutter, die im Flüchtlingslager Nuseirat gelebt hatte und durch die Raketenangriffe ebenfalls ums Leben kam.
Omar selbst hatte insofern Glück, als dass er bei der Detonation durch einen Schacht im Haus seiner Großmutter fiel. Sein Arm wurde dabei allerdings derartig verletzt, dass er direkt von medizinischen Hilfskräften vor Ort amputiert werden musste.
"Solche Raketen haben wir noch nie gesehen. Sie zerstörten das gesamte Wohngebiet drumherum" beschreibt Moein den Angriff. Welche psychologischen Auswirkungen allein dieser Moment auf den vierjährigen Omar haben dürfte, kann noch niemand wirklich abschätzen.
Aktuell sorgt sich der Onkel um die medizinische Versorgung von Omars Wunden. Am Donnerstag könnte der Junge bei einem Transport über den ägyptischen Grenzübergang Rafah in ein Krankenhaus gebracht werden.
In Dair al-Balah stehen aktuell hingegen keinerlei Schmerzmittel zur Verfügung. "Die medizinische Ausrüstung ist so begrenzt, dass wir mit der Situation eher auf praktische als auf gesunde Art umgehen müssen", erklärt er. So versuche er oft, seinen Neffen mit Witzen von der Grausamkeit des Alltags abzulenken.
Trotz akutem Blutverlust habe man für den Vierjährigen in Deir al-Balah kein Krankenhausbett finden können. Durch die Raketenangriffe sind auch die Kliniken selbst größtenteils zerstört. Das israelische Militär vermutet unter den Krankenhäusern in Gaza nämlich Kommandozentralen und andere Strukturen der Hamas.
Das Schicksal von Omar und seinem Onkel ist entsprechend kein Einzelfall. Tausende Menschen waren im Zuge der israelischen Angriffe gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und werden seitdem immer wieder durch weitere Angriffe vertrieben oder im schlimmsten Fall getötet.
Seit dem Ende einer kurzzeitigen Feuerpause intensiviert die israelische Armee die Kämpfe im Gaza-Streifen und hat dabei laut eigenen Angaben bereits mehr als 7000 Mitglieder der Terrororganisation Hamas getötet. Zusätzlich gehen Expert:innen allerdings von einer nicht abschätzbaren Zahl im Bereich Tausender Zivilist:innen aus, die bei den Angriffen ebenfalls ums Leben kamen.