Es sollte das "zweite Leben" von Mike Lynch werden. "Die Frage ist: Was stellt man damit an?", hatte der britische Tech-Unternehmer nach seinem völlig überraschenden Freispruch in einem Betrugsprozess in den USA sinniert. Nun wird Mike Lynch vermisst: Der 59-Jährige war an Bord der Luxusjacht "Bayesian", die in einem Sturm vor Sizilien sank.
Taucher suchen in rund 50 Metern Tiefe auch nach seiner 18-jährigen Tochter Hannah sowie nach vier weiteren Menschen, zwei Ehepaaren. 15 Passagiere wurden gerettet und eine Leiche gefunden, es soll sich um den Bordkoch handeln.
Überlebende berichten von dramatischen Szenen. "Im Wasser konnte ich meine Augen nicht offen halten. Ich rief um Hilfe, aber ich hörte nur die Schreie der anderen", erzählt eine Neuseeländerin namens Charlotte. Sie arbeitet für eine Kanzlei, die Lynch im Prozess vertreten hatte.
Mit ihr an Bord war ihre einjährige Tochter: "Ich hielt sie mit all meiner Kraft über Wasser, streckte meine Arme nach oben, damit sie nicht ertrank."
An Bord der "Bayesian" waren insgesamt 22 Menschen, zwölf Gäste und zehn Beschäftigte. Auch Lynchs Ehefrau Angela Barcares überlebte das Unglück – jedoch unter großem Einsatz.
Der italienischen Zeitung "La Repubblica" berichtete sie, dass sie mitten im Sturm aufgewacht sei. Zunächst habe sie sich keine Sorgen gemacht, dann habe das Geräusch von zersplitterndem Glas jedoch Panik an Bord ausgelöst.
Genau über solches Glas musste Angela Barcares demnach laufen, um sich selbst zu retten. Dadurch zog sie sich schwere Verletzungen zu und sitzt derzeit im Rollstuhl.
Derweil wartet und hofft sie darauf, dass ihr Ehemann und die gemeinsame Tochter geborgen werden.
Mike Lynch wird von Boulevardmedien in seiner Heimat als "britischer Bill Gates" bezeichnet. Die "Sunday Times" schätzte das Vermögen des ehemaligen Regierungsberaters auf rund 587 Millionen Euro. Lynch ist Mitgründer der Softwarefirma Autonomy, die 2011 für elf Milliarden US-Dollar (aktuell 9,94 Milliarden Euro) an den US-Konzern Hewlett Packard verkauft wurde.
Der Autonomy-Kauf gilt als eines der schlimmsten Übernahme-Debakel im Silicon Valley. Um diesen Deal drehte sich ein Betrugsprozess in San Francisco: Lynch soll Hewlett-Packard über den finanziellen Zustand des Unternehmens getäuscht haben.
Doch die Geschworenen sahen es anders – und entschieden überraschend auf Freispruch.
Besonders mysteriös: Ausgerechnet wenige Tage vor dem Jacht-Unfall wurde der frühere Finanz-Manager Steve Chamberlain, ein Kollege Lynchs und Mitangeklagter im Prozess, beim Joggen von einem Auto erfasst. Er starb im Krankenhaus an den Folgen des Unfalls.
Lynch wollte offenbar seinen Prozesserfolg auf der Jacht feiern. Er lud Freunde und Unterstützer:innen auf die "Bayesian" ein. Bei den Vermissten handelt es sich laut BBC um einen Finanz-Manager, der für Lynch aussagte, und einen Anwalt sowie deren Partnerinnen. Der Chef des Spezialversicherers Hiscox bestätigte, dass der Aufsichtsratsvorsitzende Jonathan Bloomer und dessen Frau vermisst würden.
Aber was als Party auf der Luxusjacht vor der malerischen Küste Siziliens begann, endete dramatisch. Das gewaltige Schiff lag in der Nacht zum Montag eine halbe Seemeile vor dem Hafen von Porticello vor Anker.
Am frühen Morgen wurde die Nordküste Siziliens von einem schweren Unwetter mit starkem Wind heimgesucht. Ein sogenannter Wassertornado erfasste das Schiff. Bei diesem Wetterphänomen entstehen starke Bodenwirbel. Als die Wasserhose das Schiff erfasste, brach der 75 Meter hohe Mast.
Es ist unklar, wieso das Schiff bei den schwierigen Wetterverhältnissen eine halbe Seemeile vor der Küste vor Anker lag. "Wir haben es nicht kommen sehen", zitiert die Zeitung "La Repubblica" den Kapitän der "Bayesian". Er wird ebenfalls im Krankenhaus behandelt.
Ersten Erkenntnissen der Behörde kenterte das Schiff unmittelbar danach. Offenbar so schnell, dass sich nicht alle Passagiere aus ihren Kabinen im Unterdeck befreien konnten.
Karsten Börner, der deutsche Kapitän eines Schiffs in der Nähe, das den Überlebenden zu Hilfe kam und sie an Bord nahm, schilderte italienischen Medien das Unglück: "Zuerst kippte das Boot auf die Seite, und innerhalb weniger Minuten war es gesunken. Es ging alles sehr schnell." Er selbst habe kämpfen müssen, um sein Schiff stabil zu halten.
(mit Material der dpa und von afp)