In weiten Teilen Europas sind die Zeiten längst vorbei, in denen der Vatikan das spirituelle und intellektuelle Epizentrum der Welt darstellt. Nur ein paar wenige Länder halten Pontifex und Petersdom noch in höchsten Ehren. Eines der nach wie vor religiösesten Länder des Kontinents ist Italien. Doch selbst hier schreckt man scheinbar nicht mehr vor einer Konfrontation mit dem Heiligen Stuhl zurück.
Dass das Rad der Zeit nicht mehr zurück ins Mittelalter gedreht werden kann, beweist die norditalienische Gemeinde Ledro. Dessen Bürger:innen wehren sich aktuell gegen die Fällung einer jahrhundertealten Rottanne und vieler weiterer Bäume. Die Anwohner:innen werfen dem Vatikan ein "Massaker" vor.
Was heute einen Sturm der Entrüstung auslöst, wäre vor Jahren wohl noch als große Ehre aufgefasst worden. Die Rottanne im Zentrum der 5000-Seelen-Gemeinde war nämlich dafür vorgesehen, den Vorplatz des Petersdoms zur Weihnachtszeit zu schmücken.
Obwohl sie jahrhundertelang einen festen Platz in der Kommune hatte, sollte sie gefällt und als Christbaum für wenige Wochen ausgestellt werden. Als schmückendes Beiwerk sollen nach Vorstellung des Heiligen Stuhl vierzig weitere Bäume um die Rottanne drapiert werden – allesamt aus Ledro.
Dagegen macht die Gemeinde mobil. Über 40.000 Unterschriften sammelte die Bürgerbewegung "Associazione Pro Ledro" gegen die zeremonielle Abholzung des Wahrzeichens. Vonseiten der Organisation heißt es in kampflustigen Woren dazu: "Schluss mit diesem sinnlosen Bäumemassaker für die Weihnachtszeit."
Das Komitee bezog in einer Veröffentlichung klar Stellung gegen die Tradition und für mehr Klimaschutz: "Es ergibt keinen Sinn, von Schäden durch den Klimawandel zu sprechen, wenn wir dann Bräuche wie diesen aufrechterhalten, dem eine jahrhundertealte Rottanne zum Opfer fallen soll."
Bis zum 7. Dezember soll die Rottanne aus Ledro gefällt, eingepackt und rund 600 Kilometer transportiert werden, um pünktlich zum zweiten Advent seine zermonielle Weihe auf dem Petersdom zu erhalten. Vonseiten der Gemeinde ist die rund 30 Meter hohe, extrem robuste Rottanne als Geschenk gedacht. Die Rechnung hat der Kommunalrat aber offenbar ohne seine Bürger:innen gemacht.
Die haben sich die Parole "Hände weg von unserer Rottanne" ans Revers geheftet und rebellieren gegen die Fällung. Dazu wurde unter anderem eine Unterschriftensammlung bei change.org gestartet.
Die Bürgerschaft wandte sich mit einem Schreiben aber auch direkt an Papst Franziskus persönlich, der bereits vor einem Jahr selbst zu mehr Klimaschutz und Verzicht aufgerufen hatte. Weitere Bittschreiben wurden an die Vereinigung der Gemeinden am Gardasee sowie die Kommunalverwaltung von Ledro gerichtet.
Die Kampagne appelliert an die Rücksicht für die Umwelt und schlägt vor, die Tanne intakt zu lassen und vor Ort zu schmücken. Gleichzeitig macht sie auf die alljährliche millionenfache Baumfällung weltweit im Vorfeld des Weihnachtsfestes aufmerksam. Demnach fielen dem eigentlich heidnischen Brauch jedes Jahr drei Millionen Tannenbäume in Italien und bis zu 30 Millionen Exemplare in den USA zum Opfer.
Bereits vor zwei Jahren gelang es einer Gemeinde in Abruzzen, die Fällung einer 200 Jahre alten Weißtanne zu verhindern. In Rosello hatten die Bürger:innen allerdings zusätzlich ein EU-Recht auf ihrer Seite. Denn der ursprünglich angedachte Christbaum steht auf einem Waldgebiet unter Schutz der EU.
Letztlich ließ sich Franziskus mit einem weniger imposanten Zögling aus der Baumschule abspeisen. Ruiniert hat das Weihnachten bestimmt nicht.