Per Ad-hoc-Mitteilung wurde die Nachricht am Montagmittag an den Börsen bekannt gegeben. Weil eine Meldung solcher Tragweite kursrelevant ist. Dass Borussia Dortmund dort überhaupt relevant ist, haben sie maßgeblich dem Protagonisten eben jener Mitteilung zu verdanken. Zum 31. Dezember 2024 wird Hans-Joachim Watzke aus der Geschäftsführung bei Borussia Dortmund ausscheiden.
Im Jahr 2005 hätte der BVB nach unternehmerischen Fehlentscheidungen und jahrelangem Missmanagement um ein Haar Insolvenz anmelden müssen. "Die Gläubiger haben auf meinen Sauerländer Dialekt vertraut", erzählte Watzke, der damals kurz zuvor die Geschäftsführung übernommen hatte, später. Unter seiner Ägide fand Borussia Dortmund wieder in die Spur. Die Ära Klopp, Deutsche Meisterschaften, Pokalsiege, Champions-League-Finale.
Zum 30. Juni dieses Jahres möchte der 64-Jährige nun spätestens die sportliche Gesamtführung abgeben, um sich auf "Strategie und Übergang" zu konzentrieren: "Es hat sich bei mir der Eindruck immer mehr verstärkt, dass jetzt der Punkt gekommen ist, zu sagen, es reicht jetzt auch." Wer seine Nachfolge antreten wird, ist offen. Der Verein selbst verfüge über "genug personelle Ressourcen", führte Watzke aus. Man habe keinen Druck.
Nach 20 Jahren wird sich die prägendste Figur des Vereins aus dem Geschäft verabschieden. Der hellste Stern am Dortmunder Firmament, der zeitweise sogar den aus dem Süden zu überstrahlen wusste. Wer beim BVB in Amt und Würden ist, ist es nach seinen Gnaden. Patriarch und Patron eines millionenschweren Unternehmens.
Das hat ihm über die Jahre einiges an Kritik eingehandelt – dem Verein aber auch zum ungeahnten Aufstieg verholfen. Watzkes Ausscheiden ist die Chance zum Neuanfang – und birgt die Gefahr zur Krise. Kurz- und langfristig.
Dass beispielsweise Edin Terzić trotz sportlich bescheidener Hinrunde als Trainer noch im Amt ist, lässt sich maßgeblich mit der Person Hans-Joachim Watzke erklären. Watzke ist vereinsintern der größte Fürsprecher von Terzić und pflegt ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm. Auch gegen kolportierte Widerstände aus der Mannschaft hielt er an seinem Cheftrainer fest.
Schließlich wäre eine Entlassung auch negativ auf Watzke selbst zurückgefallen. Sein Ausscheiden könnte nun auch Terzić' Stuhl zum Wackeln bringen, sollte der sportliche Aufschwung nicht gelingen.
Die Lücke, die Jürgen Klopp seit seinem Abgang 2015 in Dortmund hinterließ, wusste bislang niemand zu füllen, auch nicht Edin Terzić. Als Geschäftsführer fällt auch das in den Verantwortungsbereich von Watzke: In acht Jahren gab es sechs Trainer in Dortmund. Dass sich aussichtsreich scheinende Kandidaten nicht länger halten konnten, gilt als Folge Watzkes allmächtiger Strahlkraft.
So musste Thomas Tuchel dem Vernehmen nach den Verein als BVB-Trainer verlassen, weil er sich mit Watzke überworfen hatte. Aus sportlicher Perspektive gab es dafür keinen Grund. Auch mit dem aktuellen Sportdirektor Sebastian Kehl soll Watzke nicht immer einer Meinung sein.
Im Dezember vergangenen Jahres wurde etwa Kehls Assistent Slaven Stanic entlassen, weil er laut Sky bei einem Spiel in der BVB-Loge Edin Terzić offen kritisiert haben soll. Watzke aber habe sich auf die Seite seines Schützlings gestellt, und gegen Kehl.
Wenn aber eine Person immerzu alle anderen überstrahlt und keine demokratische Teilhabe neben sich erlaubt, dann hinterlässt dessen Ausscheiden unweigerlich ein folgenschweres Machtvakuum. Davon kann der FC Bayern ein Lied singen.
Denn was Watzke für den BVB war und ist, das waren Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge beim FC Bayern. Zwei Männer mit alles bestimmendem Einfluss.
Als dann aber die Transformation in die Zukunft eingeläutet werden sollte und Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić angelernt, fliegen und schließlich wieder fallen gelassen wurden, zeigte sich, wie sehr man in den Fußstapfen der Vorgänge versinken kann.
Mittlerweile sind Hoeneß und Rummenigge bei den Bayern wieder in Verantwortung. Wie der Verein ohne die beiden Sonnengötter aussehen könnte, lässt sich kaum ausmalen. Borussia Dortmund steht nun Ähnliches bevor.
"Ich wollte es frühzeitig öffentlich machen", lässt sich Watzke in der Vereinsmitteilung zitieren, "um den Übergang in den nächsten eineinhalb Jahren zu moderieren."
Dabei ist der Übergang bereits in vollem Gange. Jahrelang galt Borussia Dortmund als größter Ausbildungsvereins Europas. Jadon Sancho, Ousmane Dembélé, Erling Haaland, Jude Bellingham: Alle wurden günstig geholt, beim BVB zu Superstars entwickelt und anschließend profitabel weiterverkauft. Das brachte zwar wirtschaftliche Prosperität, gleichzeitig aber fehlende Konstanz im Kader mit sich.
Dem Konzept hat man seit ein paar Jahren abgeschworen, sportlich konnte daraus allerdings noch nicht Kapital geschlagen werden. Währenddessen schickt sich RB Leipzig immer mehr an, dem BVB die Rolle als Nummer zwei in Deutschland streitig zu machen, ähnlich verhält es sich mit Bayer Leverkusen. Aktuell rangieren beide in der Tabelle vor Dortmund. Und womöglich auch mittelfristig.
Sich in dem Feld zu behaupten – zumal inmitten einer größer werdenden Kluft auf dem internationalen Parkett –, wird die Aufgabe des noch zu findenden Nachfolgers. Der noch dazu völlig neue Machtstrukturen entwickeln muss.
Bei der Ankündigung seines Abschieds sagte Watzke, er freue sich am meisten auf den Tag, an dem er ein normaler Fan ist. Dann könne er sich über einen Sieg wieder richtig freuen und habe keine Magenschmerzen: "Und wenn wir verlieren, schimpfe ich einfach auf die Verantwortlichen: Alle blind, die haben alle keine Ahnung!"