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Es wurde viel diskutiert über die ersten beiden Auftritte von Julian Nagelsmann als Bundestrainer. Zum Beispiel: Woher bekommt man dieses todschicke Holzfällerhemd? Legt er sich seine Klamotten selber raus? Und wer ist eigentlich seine persönliche Stilikone? Als hätte es noch einen Beweis gebraucht, dass es bei der USA-Reise vor allem um performative Aspekte geht.
Was die beiden absolvierten Spiele angeht, so fällt die Stilkritik abseits modischer Vorlieben deutlich euphorischer aus. Ein 3:1 gegen die USA und ein 2:2 gegen Mexiko sind zwar ergebnistechnisch nicht die maximale Ausbeute, das neu ausgerichtete DFB-Team brachte aber vor allem wieder eine Sache auf den Platz, die zuletzt fehlte: Leidenschaft.
Die unter Hansi Flick vielfach gescholtenen Experimente scheinen beendet, acht Monate vor der Europameisterschaft im eigenen Land bildet sich allmählich ein Mannschaftskern, aus dem sich in den kommenden Partien eine Startelf kristallisieren soll. Einige etablierte Spieler werden um ihre sicher geglaubte Rolle bangen müssen.
Gerade im Mittelfeld, von Julian Nagelsmann als "Prunkstück" des Kaders geadelt, zeichnet sich ein erster Verlierer der Länderspiele ab: Joshua Kimmich. Aufgrund einer Erkältung musste der 28-Jährige die Nationalmannschaft vorzeitig verlassen.
Für ihn rückte mit Pascal Groß die womöglich größte Leistung von Hansi Flick in seiner Funktion als Nationaltrainer in das zentral-defensive Mittelfeld. Bei den zurückliegenden Länderspielen wurde Groß erstmalig für das DFB-Team nominiert. Unter Nagelsmann bewies der 32-Jährige nun erneut sein Können und zeigte, dass er womöglich mehr als eine Alternative zu Kimmich darstellen könnte. Auch, weil der Platz neben ihm mittlerweile felsenfest besetzt ist.
Lange galt İlkay Gündoğan trotz herausragender Leistungen bei Manchester City als Wackelkandidat in der Nationalmannschaft. In einer der letzten Amtshandlungen von Flick wurde Gündoğan schließlich leistungsgerecht zum Kapitän der Nationalmannschaft ernannt. Eine Entscheidung, die auch von Nagelsmann bestätigt wurde.
"Pascal und İlkay haben sich sehr schlau und sehr gut zwischen den Linien bewegt", sagte Julian Nagelsmann nach dem USA-Spiel. Groß' neu entdeckte Stärke könnte somit auch für den langjährigen Gegenpart von Joshua Kimmich zur Konkurrenz werden.
Leon Goretzka wurde in den Spielen gegen die USA und Mexiko lediglich eingewechselt, auch beim FC Bayern ist er nicht mehr unumstritten. Nun werden Kimmich und Goretzka weiterhin eine Rolle in der Nationalmannschaft spielen, mit Groß und Gündoğan hat sich aber bereits eine eindrucksvolle Alternative abgezeichnet. Und die Konkurrenzsituation ist größer geworden. Auch in der Defensive.
Weil Antonio Rüdiger in der Innenverteidigung gesetzt sein wird, ist daneben nur noch ein Platz zu vergeben – für mehrere Spieler, die sich in Stellung gebracht haben. Rückkehrer Mats Hummels hat seine erneute Nominierung spielerisch rechtfertigen können und auch Malick Thiaw, Jonathan Tah und Niklas Süle stellen berechtigterweise Ansprüche auf einen Platz in der zentralen Defensive.
Niklas Süle ist dabei noch der Spieler, der nach den Länderspielen am meisten an Status verloren haben dürfte, in beiden Partien machte er keinen sattelfesten Eindruck. Ohnehin dürfte aber der zuletzt sehr formstarke Benjamin Henrichs auf der rechten Abwehrseite gesetzt sein, aktuell fällt er aufgrund einer Verletzung aus. Süle würde entsprechend mit seiner angestammten Position in der Innenverteidigung vorliebnehmen.
Nico Schlotterbeck wurde hingegen für die Länderspiele nicht berücksichtigt und angesichts der qualitativen Dichte in der Abwehr gäbe es auch gemessen an der Leistung keinen Anlass, ihn für die kommenden Spiele zu nominieren.
Auch auf den offensiven Positionen zeichnet sich bereits das Stammpersonal für die EM ab. "Wir wären die einzige Mannschaft auf der Welt, in der die beiden besten Spieler nicht zusammenspielen können", sagte Nagelsmann über seine Doppel-Zehn aus Jamal Musiala und Florian Wirtz.
Entsprechend eng dürfte es für Julian Brandt werden. Der Dortmunder konnte bislang noch nicht an seine Leistungen aus der vergangenen Saison anknüpfen und kommt an der derzeitigen Verfassung von Musiala und Wirtz nicht ran. Auch Kai Havertz wird seine Rolle in der neu formierten Mannschaft noch finden müssen.
Denn – und das ist seine bislang wohl größte Leistung – mit Julian Nagelsmann hat auch das Leistungsprinzip in der Nationalmannschaft wieder Einzug erhalten.
